Hagen. Bei „Markus Lanz“ wird über die Gewaltszenen auch aus Hagen diskutiert. Integrationsforscher El-Mafaalani ordnet die Lage mit neuem Fokus ein.

Am Dienstagabend hatte es Hagen mit seinen Silvester-Krawallen in eher unrühmlichem Kontext in die Sendung von Markus Lanz im ZDF geschafft. CDU-Chef Friedrich Merz, Journalistin Eva Quadbeck, der Soziologe Aladin El-Mafaalani und Ökonom Michael Fratzscher sprachen über das, was sich unter anderem in der Alleestraße an Silvester zugetragen hatte: Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte und hemmungslose Randale. Vor allem ging es um die Frage: Welche Rolle spielt der Migrationshintergrund der Täter und wie kann Ursachenbekämpfung aussehen?

Der Bildungsexperte Aladin El-Maafalani. Auch er diskutierte bei „Markus Lanz“ über die Silvester-Vorfälle in Hagen mit.
Der Bildungsexperte Aladin El-Maafalani. Auch er diskutierte bei „Markus Lanz“ über die Silvester-Vorfälle in Hagen mit. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Brennpunkte wie Altenhagen habe man in Deutschland zu lange Brennpunkte sein lassen, befand CDU-Chef Friedrich Merz. Wenn die Polizei unterjährig kaum noch in solche Bereiche gehe, dürfe man sich nicht wundern, wenn es an Silvester eskaliere. Einige Bundesländer würden „diesen Leuten“, wie Merz die Krawallmacher nannte, nicht stark genug die Grenzen aufzeigen.

Polizei müsse härter durchgreifen

Eine Aussage, die in Hagen nicht zu stützen sein dürfte. Polizei und Ordnungskräfte sind unterjährig in Altenhagen vor Ort, dokumentierten zudem mit Rückblick auf die Silvesternacht deutlich, wie man vorgegangen sei. „Wir sprechen hier über Leute, die eigentlich in Deutschland nichts zu suchen haben, die wir hier seit längerer Zeit dulden, die wir nicht abschieben und bei denen wir uns dann darüber wundern, dass es hier solche Exzesse gibt“, sagte Friedrich Merz bei „Markus Lanz“ darüber hinaus.

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Doch auch damit schießt Merz am Hagener Kontext vorbei. Die 20-köpfige Tätergruppe, die den Kern der Silvester-Randale in Altenhagen bildete, hat jeweils „deutsch-türkischen und deutsch-tunesischen“ Hintergrund, wie die Polizei auf Anfrage erklärte. „Das sind Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit“, hielt Aladin El- Mafaalani dagegen, seines Zeichens Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück. „Die, die hier geboren sind und vom ersten Atemzug an hier sind, das sind unsere Kinder. Die schiebst du nicht ab. Ein Einwanderungsland das selbstbewusst in die Zukunft blickt, zieht nicht immer die Araber-Karte.“

CDU-Chef Friedrich Merz (rechts) im Gespräch mit Markus Lanz.
CDU-Chef Friedrich Merz (rechts) im Gespräch mit Markus Lanz. © Cornelia Lehmann

Keine Anerkennung

El-Mafaalani gibt den Vorfällen in Altenhagen eine andere gedankliche Dimension: „Wie sich Gewalt ausdrückt, das ist ganz unterschiedlich. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir nicht mehr ohne Weiteres Hierarchien akzeptieren und dementsprechend ist alles in Bewegung. Und wenn soziale Problemlagen dazu kommen, können solche Motive zusätzlich eine Rolle spielen. Was relevant ist, ist, dass es in bestimmten Stadtteilen passiert. Wir haben hier mit verschärften sozialen Problemlagen zu tun. Es gibt Geduldete, Neu-Zugewanderte und Menschen mit fehlender Perspektive. Welche Möglichkeit hat man da, Anerkennung zu bekommen? Gerade wenn es um Männlichkeit geht. Dazu kommt: Junge Mädchen im migrantischen Milieu sind oft erfolgreich unterwegs, brechen alte Rollenmuster auf.“ Männer seien oft an den Rand gedrängt. (Auch interessant: Zusage an Redaktion – Innenminister Reul kommt nach Hagen)

Volkswirtschaftlicher Schaden

El-Mafaalani schlug den Bogen zu Silvester. Warum würden sich die jungen Männer denn auf der Straße befinden? Weil soziale Kontakte fehlen würden, weil sie nicht zu Partys eingeladen werden oder Türsteher ihnen Zutritt verwehren würden. Und jene Bereiche, in die sich die jungen Leute dann begeben würden, wie Shisha-Bars, würden gesellschaftlich zu No-go-Areas deklariert und kriminalisiert. „Dabei sind diese Bereiche für die jungen Leute Safe-Places.“

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Ökonom Michael Fratzscher nahm mit Blick auf die Zugewanderten und Menschen mit Migrationshintergrund noch eine volkswirtschaftliche Perspektive ein. Schon allein, weil diese Menschen extrem wichtig für den deutschen Arbeitsmarkt seien, müsse der Dreiklang aus Schule, Sprache und sozialen Kontakte mit größerer Ernsthaftigkeit hinterlegt werden, statt das Bildungssystem weiter kaputtzusparen. „Es braucht bessere Möglichkeiten, arbeiten zu gehen, gesellschaftlich akzeptiert zu werden und Respekt zu erhalten. Wir als Gesellschaft müssen uns öffnen.“ In den nächsten zehn Jahren würden fünf Millionen Menschen der Babyboomer-Generation in den Ruhestand treten. „Wir haben das Fachkräfteproblem noch nicht richtig verstanden“, so Fratzscher.

Kein Druck auf Arbeitsmarkt

Merz erwiderte: „Wen brauchen wir und wer braucht uns?“ In Deutschland gebe es nicht, ähnlich wie in Kanada, einen Zuwanderungsdruck in den Arbeitsmarkt, sondern in die Sozialsysteme. Schon jetzt sei Deutschland 84 Millionen Menschen groß. „Woher kommen die Schulen und andere Einrichtungen, wenn noch mehr Zuwanderer kommen?“, fragt Merz.

Er sehe zudem Probleme, wenn Lehrkräfte die Kinder zur Ordnung rufen wollten und sich in der Folge deren Väter in den Schulen beschwerten. »Insbesondere, wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen. Da fängt es an“, sagte Merz. Wenn man den Lehrkräften nicht helfe, sich gegen diese Phänomene zur Wehr zu setzen, „dann sind es in der Schule die Achtjährigen und dann draußen auf der Straße in wenigen Jahren die 15-Jährigen. Da liegt doch das Problem“. Während der Deutsche Lehrerverband Merz’ Aussage prinzipiell unterstützte, hat ihm der Grundschulverband bereits widersprochen.