Hohenlimburg. In einer Villa der Firma Waelzholz in Hohenlimburg leben Geflüchtete aus der Ukraine. Sie kamen zu Kriegsbeginn – nun ziehen sie langsam aus.
In einer Villa der Firma Waelzholz in Hohenlimburg leben Geflüchtete aus der Ukraine. Sie kamen mit einem Hilfskonvoi im März. Nun ziehen sie langsam aus.
Gekonnt schlägt Lena ein Rad. Das quirlige Mädchen ist stolz, zu zeigen, welche Kunststücke sie mit ihren neun Jahren schon kann. In ihrer Heimatstadt Kiew war sie in einer Tanzgruppe, heute tanzt sie in der Tanzschule „MStage“ in Hagen. Gemeinsam mit Mutter Elen Annenkova lebt sie seit neun Monaten in der Waelzholz-Villa in Hohenlimburg. „Wir sind sehr dankbar für das alles, was hier für uns getan wird“, betont Elen.
An diesem Heiligabend ist es genau zehn Monate her, dass auf dem Flughafen in ihrer Heimatstadt Kiew russische Soldaten per Militärhubschrauber landeten, um den Angriff auf das Zentrum der ukrainischen Hauptstadt vorzubereiten. Der Beginn des Ukraine-Krieges. Über einen Hilfstransport von der polnisch-ukrainischen Grenze kamen Elen und ihre Tochter in einer Gruppe von Frauen und Kindern nach Hohenlimburg. In einem Reisebus von Hausemann und Mager, organisiert in einer gemeinsamen Hilfsaktion vieler Menschen vor Ort. Eine Hilfsaktion, die so ohne zahlreiche Unterstützer nicht möglich gewesen wäre.
Bilder des Krieges
Rückblick: Machtlos fühlte sich Vadim Plotnikov damals, als er im Fernsehen die Bilder des Krieges von seiner Wohnung in Hohenlimburg aus verfolgte. Eines Krieges, der nun in seiner Geburtsstadt Kiew und in seinem Heimatland tobte. Doch die anfängliche Machtlosigkeit wich schnell dem Tatendrang. Irgendwie musste man helfen. Ein Impuls, den in diesen Tagen viele Menschen in Hohenlimburg, im Stadtgebiet, im ganzen Land teilten.
Und ein Impuls, der nicht dem persönlichen Geltungsbedürfnis entsprang. „Lass meinen Namen ruhig daraus“, sagt Plotnikov dem Reporter, der ihn für diesen Bericht kontaktierte. Ein Reflex, den alle anderen Helfer der Aktion teilen, die in diesem Bericht zu Wort kommen. Das Rampenlicht suchen sie nicht. Gleichwohl haben sie, so wie zahlreiche andere Ukraine-Helfer, Spender, Förder und Unterstützer auch, viel bewegt.
„Um Gottes Willen, ich hätte nie gedacht, was sich daraus entwickelt“, sagt Vadim Plotnikov heute. Dabei war es zunächst nur eine spontane Idee des Ex-Wasserballers, mit dem Vereinsbus seines Hohenlimburger Schwimmvereins einen Hilfstransport in seine Heimat zu organisieren. Doch schnell fanden sich weitere Unterstützer, darunter sein Arbeitgeber C.D. Waelzholz, Freunde und Funktionäre des Schwimmvereins – und das Reiseunternehmen Hausemann und Mager. Menschen wie Tanja Sturm und Heinz-Werner Schroth, zwei von vielen Beteiligten. Und so wurde aus dem kleinen Vereinsbus gleich ein ganzer Reisebus. Vor der Abreise in die Ukraine brachten viele Bürger Spenden für den Transport – Essen, Hygieneartikel, Kleidung.
Angekommen an der polnisch-ukrainischen Grenze, luden sie die Hilfsgüter aus dem Reisebus ab – und nahmen gut ein Dutzend ukrainische Frauen mit ihren Kindern und einen älteren Mann mit zurück nach Hagen. Doch wohin mit den Menschen?
Waelzholz öffnet Villa
Hier kam der Arbeitgeber von Vadim Plotnikov ins Spiel: Die Firma Waelzholz. Das Elternhaus von Geschäftsführer Dr. Hans-Toni Junius wurde für die Unterbringung der Geflüchteten hergerichtet. Eine leerstehende Villa in Hohenlimburg, für die es bis dato andere Pläne gab, wie Thomas Höll berichtet. „Es war geplant, das Gebäude zu sanieren und neu für die Firma zu nutzen“, so der Personalgeschäftsführer von Waelzholz. „Diese Pläne haben wir dann erstmal zurückgestellt.“
Denn auch im Unternehmen sei klar gewesen, dass man angesichts des Kriegsausbruchs helfen musste. Es gab eine Spendenaktion unter Mitarbeitern und innerhalb weniger Tage wurde dank lokaler Partner und Händler aus der Villa Waelzholz – 1882 erbaut, drei Geschosse – ein Zufluchtsort für die Geflüchteten. Als die Gruppe in Hohenlimburg ankam, war keinem bewusst, wie lange dieser Krieg dauern würde. Im Gegenteil: „Viele dachten, sie sind in drei bis vier Wochen wieder auf dem Rückweg in der Ukraine“, erzählt Plotnikov. Es kam anders. Wie lange das Kriegstreiben in der Ukraine noch andauert, ist bis heute ungewiss – und mehr und mehr werden die Geflüchteten, die blieben, zu Einwanderern.
Auszug aus der Villa
Längst wohnen nicht mehr alle Frauen und Kinder von damals in der Villa. Manche sind bereits ausgezogen, haben Wohnungen im Stadtgebiet gefunden. Andere planen den Auszug. Der nächste Schritt, der schwierige Weg von einem Leben in sicherer Obhut hin in die Selbstständigkeit steht bevor. Bis heute werden die Geflüchteten dabei von Helfern nicht allein gelassen. Sie unterstützen bei Behördengängen, Übersetzungen, helfen bei der Suche nach Arbeit und einer eigenen Wohnung, schlicht beim Ankommen in diesem für die Ukrainer fremden Land.
Noch hat Elen Annenkova für sich und ihre Tochter Lena keine eigene Wohnung gefunden. Aber sie ist zuversichtlich, dass sich im neuen Jahr etwas ergibt, sagt die ausgebildete IT-Projektmanagerin. Wohin sie geht, das wird auch mit der Suche nach einem Arbeitsplatz zusammenhängen. Sie gibt sich offen. „Vielleicht ziehen wir in eine andere Stadt.“ Den Kontakt zu Freunden in ihrer Heimatstadt Kiew hält sie bis heute aufrecht. Aktuell fehlt es dort an Strom und Heizung, erzählt Elen, wichtige Infrastruktur ist vom Krieg beschädigt.
Unterricht in zwei Schulen
Sie wischt mit dem Finger über ihr Smartphone, zeigt Videos und Fotos von Demonstrationen gegen den Krieg, für die sie mobilisiert. Wann glaubt sie, wird der Krieg in ihrer Heimat enden? Elen zuckt mit den Schultern. Wer weiß. „Wenn es nach mir geht, am liebsten schon morgen“, sagt sie. Tochter Lena geht in Hagen in die Schule. Vormittags Unterricht in der deutschen Schule, nachmittags per Internet dann Unterricht in der ukrainischen Schule.
Voraussichtlich bis zum März 2023 wird die Villa Waelzholz wieder leer sein. Ein Jahr, nachdem die Geflüchteten eingezogen sind. Dann sollen die aufgeschobenen Pläne vom Vorjahr wieder aufgenommen und das Haus neu hergerichtet werden. Wie genau das Gebäude dann genutzt wird, das sei noch in der Planung, so Thomas Höll, Waelzholz-Personalgeschäftsführer. Eine Nutzung als Gasthaus für auswärtige Firmenkunden stehe im Raum. Doch Eile für den Auszug der Geflüchteten gebe es nicht. „Wir werden niemanden auf die Straße setzen“, versichert Höll.