Hohenlimburg. Der Hohenlimburger Vadim Plotnikov kommt gebürtig aus der Ukraine. Seine Verwandten leben in Kiew. Ein Besuch am Abend des Angriffs

Der Fernseher läuft die ganze Zeit. Vadim Plotnikov sitzt auf der Couch in seiner Wohnung in Hohenlimburg und starrt auf den Fernseher. Es läuft ein Nachrichtensender des ukrainischen Fernsehens. Erst vor ein paar Wochen war der Hohenlimburger in der Hauptstadt Kiew, seiner Geburtsstadt. Nun muss er sich von der Nachrichtensprecherin berichten lassen, wie seine Heimat zum Schlachtfeld wird. „Gerade sagt sie, das Militär hat drei russische Hubschrauber abgeschossen“, übersetzt Plotnikov.

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Mutter will Heimat nicht verlassen

Zwischendurch geht sein Blick immer wieder aufs Handy. Seine Mutter lebt in Kiew, sie halten engen Kontakt. Trotz ihres hohen Alters von 83 Jahren will sie die Stadt nicht verlassen. Im Gegenteil: „Meine Mutter hat den zweiten Weltkrieg überlebt und sagt, sie wird auch diesen Krieg überleben. Sie ist ehemalige Kinderärztin und will sich melden, um zu helfen.“

Auch die Schwiegermutter lebt in Kiew. Sie sollte am Donnerstag mit dem Flugzeug in Deutschland ankommen. Doch kurz vor dem geplanten Abflug aus der Ukraine sei der Flughafen geräumt worden, berichtet Plotnikov. Auch sie bleibt nun in der Stadt. Die Nächte haben seine Mutter und seine Schwiegermutter in einem Bunker verbracht.

Vadim Plotnikov (55) zeigt Handyvideos mit Szenen des Krieges. Plotnikov hat viele Jahre erfolgreich Wasserball gespielt. Seine Karriere begann in Kiew, er durchlief die jungen Auswahlteams der damaligen UdSSR. Vor 29 Jahren kam er nach Hohenlimburg und spielte für den Hohenlimburger Schwimmverein (HSV) Sechs Jahre hatte Plotnikov die Verantwortung für das Bundesliga-Team des HSV. Bis heute hängt sein Herz an seiner Geburtsstadt Kiew.
Vadim Plotnikov (55) zeigt Handyvideos mit Szenen des Krieges. Plotnikov hat viele Jahre erfolgreich Wasserball gespielt. Seine Karriere begann in Kiew, er durchlief die jungen Auswahlteams der damaligen UdSSR. Vor 29 Jahren kam er nach Hohenlimburg und spielte für den Hohenlimburger Schwimmverein (HSV) Sechs Jahre hatte Plotnikov die Verantwortung für das Bundesliga-Team des HSV. Bis heute hängt sein Herz an seiner Geburtsstadt Kiew. © WP Hagen | Kro

Fernsehen berichtet vom Krieg

Es sind Schicksale, die Außenstehende schlucken lassen und die mitten im Europa des 21. Jahrhunderts bisher kaum vorstellbar waren. Doch sie sind real. Und auch wenn Hagen und Kiew gut 1.600 Kilometer Luftlinie trennen, bringen Fernsehen und Internet einzelne Szenen des Krieges in die Wohnzimmer.

Vadim Plotnikov zappt auf einen anderen ukrainischen Sender. Wieder Bilder des Krieges. Zu sehen ist ein Handyvideo, ein Mann schaut in die Kamera, Furchen im Gesicht. Er wird vom Sender vorgestellt als russischer Soldat, der von ukrainischen Kräfte Gefangen genommen wurde.

Der Mann wird von einer zweite Stimme im Raum verhört, die nicht im Bild zu sehen ist. „Sie sprechen russisch miteinander“, erklärt Plotnikov. Nicht ungewöhnlich, denn fast alle Ukrainer sprechen russisch. Es ist neben ukrainisch die meistgesprochene Sprache im Land.

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Freundschaft mit Russen

Er empfinde keinen Hass und keine Wut gegen Russen, betont Plotnikov. Im Gegenteil: Er hat russische Verwandte, Freunde, Bekannte. „Meine russischen Freunde hier in Deutschland haben schon angerufen, wir sind untereinander verwandt. Diese Situation ist einfach eine Katastrophe.“

Alleine gegen den Angriff

Seine Wut richtet sich gegen den russischen Präsidenten Putin – und gegen das Land, in dem er seit 29 Jahren lebt. „Ich bin deutscher Staatsbürger, aber diese Machtlosigkeit nervt mich einfach nur“, fehlt ihm von der deutschen Regierung eine Unterstützung, die über warme Worte der Solidarität hinausgeht. „Der Westen duckt sich weg – Hauptsache, es passiert nicht bei uns. Und die Ukraine wird allein gelassen.“

Freund aus Kiew ruft an

Das Fernsehbild wechselt. Zu sehen wieder die Nachrichtensprecherin. Sie spricht mit einem Mann, zugeschaltet per Video. „Das ist der Bürgermeister einer kleineren Stadt in der Ukraine“, übersetzt Plotnikov. Eingeblendet wird ein Foto von einem Bombenkrater auf einer Straße. Plötzlich vibriert das Handy auf dem Wohnzimmertisch, jemand ruft an.

Plotnikov nimmt ab. Es ist ein Freund aus Kiew, ein Unternehmer. Sie sprechen ein paar Minuten, dann legt er wieder auf. „Ich habe gesagt, sie sollen zu uns kommen. Wir haben eine große Wohnung, wir nehmen sie auf.“ Doch er habe abgelehnt. Er wolle seinen Betrieb und seine Mitarbeiter nicht im Stich lassen. „Er hat gesagt, erst werde ich kämpfen.“