Hagen. Elena Grunik und Anastasia Bokalo sind mit den Kindern Max und Oleg aus der Ukraine geflüchtet. Sie wurden von einer Hagener Wirtin aufgenommen.

Als sie am Samstag am Dortmunder Hauptbahnhof aus dem Bus aus Krakau stiegen, spürten sie das erste Mal seit Tagen wieder so etwas wie Sicherheit. Sicherheit vor den Bomben in ihrer Heimat Ukraine, Sicherheit vor einer ungewissen Zukunft im Krieg.

Als sie anschließend an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort im Waldhotel Lemberg im Hagener Stadtteil Dahl ankamen, mischte sich in ihre Erleichterung, unversehrt in Deutschland angekommen zu sein, die Sorge um ihre Liebsten: „Die Männer sind zu Hause geblieben“, sagen Elena Grunik (53) und Anastasia Bokalo (26), „sie stehen bereit, unser Land gegen die russischen Angriffe zu verteidigen.“

Ein Hotel mitten in der Natur

Das Hotel Lemberg liegt mitten in der Natur. Zahlreiche Wanderwege führen zu dem Gasthaus mit Fremdenzimmern und ukrainisch-russischer Küche. Wirtin Ludmila Polakova (59) hat die geflüchteten Frauen – „die Schwester meines Ex-Mannes und deren Tochter“ – sowie Max (7) und den 19 Monate alten Oleg in Dortmund abgeholt und in ihrem Betrieb aufgenommen: „Wir tun alles, damit sie bei uns ein wenig abschalten können.“ Denn hinter der Familie aus der Ukraine liegt eine wahre Odyssee.

„In Panik“, wie sie sagen, hatten sie ihr Zuhause in Lemberg in der Westukraine verlassen. „Wir wollten wegen der Kinder nur noch weg, hatten im Fernsehen Bilder gesehen von den schweren Kämpfen rund um die beiden größten Städte der Ukraine, Kiew und Charkiw.“ In ihrem Wohnort selbst hatten sie nur entfernt Raketendonner gehört, mutmaßlich auf Militäranlagen in der Nähe des Flughafens.

Sechs Stunden für zehn Kilometer

Den Großteil der 80 Kilometer in westlicher Richtung zur polnischen Grenze hatten die Frauen und die beiden Kinder mit dem Auto absolviert. Die letzten zehn Kilometer mussten sie zu Fuß bewältigen.

Sechs Stunden dauerte der Weg in der langen Menschenschlange. Anastasia Bokalo und Elena Grunik wechselten sich beim Tragen des kleinen Oleg ab.

Nur Frauen und Kinder dürfen das Land verlassen

„Wir hatten noch Glück“, sagen sie, „einen Tag später war die Schlange vor der polnischen Grenze 30 Kilometer lang. Alles Frauen mit Kindern.“ Wegen der Generalmobilmachung dürfen derzeit nur sie das Land verlassen.

Gastronomin Ludmila Polakova lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Die Verbindungen in ihre Heimat, zu Freunden und Bekannten, sind nie abgerissen.

Lemberg, das „Florenz des Ostens“

Zuletzt im Oktober 2021 hatte sie den Direktflug von Dortmund nach Lemberg genommen und unbeschwert Urlaub gemacht. Die Tage scheinen in diesem Moment unendlich weit weg zu sein. „Ich kann nicht mehr schlafen, bin fix und fertig“, sagt sie, „ich liebe die Ukraine, ich liebe Lemberg.“

Das Magazin „Geo“ hat die 730.000-Einwohner-Stadt mit Vergangenheit im Kaiserreich Österreich-Ungarn einmal als „Florenz des Ostens“ und „bunte Mitte Europas“ bezeichnet. Anastasia Bokalo und Elena Grunik halten per Telefon Kontakt. „In Lemberg sind noch keine Kämpfe“, sagen sie in ihrer Sprache, übersetzt von Ludmila Polakova. „Aber wir müssen befürchten, dass unsere Männer in den Krieg ziehen müssen.“

Zu Sachspenden aufgerufen

Ludmila Polakova spricht von einem „grausamen Weg“, den die Familien hinter sich hat: „Wie es in ihrem Innern aussieht, können wir uns wahrscheinlich nicht ausmalen.“

Sie hat bei Facebook einen Aufruf zu Sachspenden für die vier Flüchtlinge gestartet. Es kamen so viele Kleidungsstücke, Schuhe, Spielsachen und Lebensmittel an, dass sie damit jetzt auch Hilfslieferungen an die polnische Grenze bestücken. „Was wir derzeit aus der Ukraine hören: Es werden besonders Medikamente und Verbandsmaterial benötigt.“

Fernseher laufen rund um die Uhr

Seit Tagen laufen zwei Fernseher rund um die Uhr in Ludmila Polakovas Wohnung – einer mit deutschem Fernsehen, einer mit ukrainischem Programm. Korrespondenten berichten, dass Lemberg vor Geflüchteten platzt. Insbesondere rund um den Bahnhof versammelten sich Tausende.

„Man darf die Hoffnung nie aufgeben“, sagt die Wirtin am Ende des Gesprächs. „Vielleicht nimmt es doch ein glückliches Ende und meine Gäste aus der Ukraine können wieder zurück in ihre Heimat.“