Hagen. Die Stadt Hagen ächzt unter dem Zustrom von neuen Schülern. Für Zuwanderer aus der Ukraine und Rumänien wurde jetzt eine Schule eröffnet.
Wenn Rebecca Ortwald ihre Schüler dazu auffordern will, die Buntstifte zu benutzen, dann sagt sie das nicht. Die Kinder würden sie ohnehin nicht verstehen. Stattdessen hält die Lehrerin eine Karte in die Höhe, auf der Buntstifte abgebildet sind. Und dann sagt sie doch: „Buntstifte.“
Auf diese Weise verstehen die Kinder sie. Sehr gut sogar. „Durch die Verknüpfung von Worten und Bildern lernen die Schüler unsere Sprache am besten“, sagt die Pädagogin, in deren Klasse ausschließlich Kinder aus Rumänien und der Ukraine sitzen.
Eine besondere Schule in der Selbecke
Man darf wohl sagen, dass die neu eröffnete Schule Nordhof in der Hagener Selbecke eine besondere Schule ist. Überwiegend ausländische, zugewanderte Kinder werden hier unterrichtet. 30 insgesamt, Ukrainer und Rumänen vor allem, aber auch Araber. Und zwei deutsche Kinder, deren Familie erst kürzlich in die Selbecke gezogen ist.
Eigentlich sind solche Schulen, in denen ausschließlich nichtdeutsche Kinder unterrichtet werden, nicht gewollt. Groß war die Aufregung, als vor fünf Jahren in Halden eine Schule für Einwandererkinder eröffnet wurde. Nach zwölf Monaten ordnete die Bezirksregierung Arnsberg deren Schließung an, weil nur das gemeinsame Unterrichten mit Deutsch sprechenden Kindern und Jugendlichen die Integration ermögliche.
140 Grundschüler allein aus der Ukraine
Doch die Wirklichkeit ist mitunter schneller als ministerielle Vorgaben. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar und der daraus resultierenden Flüchtlingswelle schnellten die Schülerzahlen in Hagen nach oben. In diesem Schuljahr mussten allein 140 Grundschüler aus der Ukraine zusätzlich untergebracht werden, von dem weiterhin anhaltenden Flüchtlingsstrom aus Südosteuropa, Afrika und Asien ganz abgesehen. „Solch einen Ansturm haben wir selbst 2015 nicht erlebt“, berichtet Horst Hermann, zuständig für Schulentwicklung in Hagen: „So schnell, wie die Schülerzahlen in diesem Jahr gewachsen sind, können wir neuen Schulraum gar nicht schaffen.“
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Zusammen mit der Schulaufsicht und den Schulleitungen habe sich die Verwaltung darum bemüht, zugewanderte Kinder vorrangig in bestehende Klassen zusätzlich aufzunehmen, was auch zum Teil erfolgreich gelungen ist: „Aber die dortigen freien Plätze waren dann auch erschöpft.“
Schule in der Selbecke stand leer
Der Ausweg: das leer stehende Schulgebäude in der Selbecke, in dem bis 2016 die inzwischen aufgelöste Förderschule August Hermann Francke untergebracht war. Die Immobilie, in der zwischenzeitlich städtische Ämter sowie ein Corona-Testzentrum beheimatet waren, konnte mit relativ wenig Aufwand wieder für den Schulbetrieb hergerichtet werden. Die Klassenräume seien in einem annehmbaren Zustand, betonte Hermann. Sogar eine Turnhalle und ein Fußballplatz sind vorhanden.
Und so kam es, dass seit August in der Selbecke Kinder aus ganz Hagen zur Schule gehen, für die an den bestehenden Schulen kein Platz mehr vorhanden war. Zwar werden alle Fächer unterrichtet, doch das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf der Vermittlung der deutschen Sprache. „Sprachsensibler Unterricht“ heißt das im Fachjargon. „Wir vermitteln den Kindern natürlich Inhalte, aber mit Hilfe von Bildern und Karten“, berichtet Schulleiterin Daniela Scheuermann: „Sprachlastiges Lernmaterial können wir erstmal nicht nutzen.“
30 Kinder in drei Klassen
Dafür muten die Lernbedingungen (noch) paradiesisch an, die 30 Kinder verteilen sich auf drei Klassen. In solch kleinen Gruppen stellen sich zügig Fortschritte ein. „Die alltagssprachliche Verständigung funktioniert bereits nach wenigen Wochen“, so Rektorin Scheuermann.
Doch so abgeschieden-ruhevoll werden die Verhältnisse nicht bleiben. Die Lehranstalt wächst, nach wie vor siedeln pro Monat etwa zehn weitere Kinder im Grundschulalter aus der Ukraine nach Hagen über (allerdings kehren auch manche Familien in die Ukraine zurück). „Wir brauchen diese Schule, um flexibel auf jede neue Entwicklung reagieren zu können“, sagt Schulrätin Dagmar Speckmann.
Gemeinsamer Sportunterricht
Und spätestens im kommenden Sommer werden die Karten ganz neu gemischt. Die Schule ist organisatorisch an die Astrid-Lindgren-Grundschule angebunden, die bereits zwei Standorte in Eilpe und Delstern unterhält. Mit Blick auf die gewünschte Integration gibt es bereits Kooperationen mit den Schülerinnen und Schülern der beiden anderen Standorte, beispielsweise findet der Sportunterricht gemeinsam in der Selbecker Turnhalle statt. Dies sowie weitere Projekte zur Förderung der Integration machen den entscheidenden Unterschied zum damaligen Modell in Halden aus.
Und bei der Aufnahme der neuen Erstklässler 2023 wollen Stadt und Schule darauf achten, dass deutsch- und fremdsprachige Kinder gleichmäßig auf die drei Schulgebäude verteilt werden.