Hagen. Es gibt viele Schulzirkus-Shows in Hagen – und doch ist jede besonders. Ein Besuch im Zirkus Johnny Casselly. Und eine persönliche Betrachtung:
Da saß ich da. Pippi in den Augen. Stolz wie Oskar. Nicht nur auf meinen Jungen, sondern auf alle Kinder seiner Schule, die diesen zaubervollen Abend Wirklichkeit werden ließen. Unter einem Zirkus-Projekt an einer Schule hatte ich mir vieles vorgestellt. Das hier nicht.
Als zum großen Finale einer echten und von Professionalität kaum zu überbietenden Show Viertklässlerinnen durch die Spitze eines Zirkuszeltes voller Sterne und ohne Netz und doppelten Boden flogen, da mussten viele Eltern schlucken vor Erstaunen. Was hatte der Zirkus Johnny Casselly Junior in nur vier Tagen mit den Kindern gemacht?
Eine stellvertretende Betrachtung durch die Augen eines Vaters, der wie so viele Eltern bei derartigen Schulprojekten in Hagen die Zeit rennen sieht.
Auftritt vor 300 Menschen
Vielleicht erkennen Sie sich ja in mir. Vielleicht haben Sie zuletzt auch auf einer solchen Tribüne in einer solchen Manege gesessen und haben gesehen, dass Zeit wie feiner, trockener Sand ist, der einem am Strand durch die Finger rinnt. Ich sah meinen Sohn mit einigen Mitschülern in einem echten Zirkuszelt vor 300 Menschen auftreten. Eine Clowns-Nummer, die so witzig war. Begleitet von Johnny Casselly, Zirkusdirektor in achter Generation. Komik auf den Punkt, geschaffen von Sechsjährigen.
Ich hatte schon zuvor mindestens 20-mal den Kopf geschüttelt. Sie alle wirbelten da, schluckten Feuer, tanzten, lagen auf Nagelbrettern, bauten Pyramiden, zauberten Popcorn, durchbohrten sich scheinbar mit Schwertern und flogen artistisch am Trapez durch das Zelt. Johnny Cassely hing daran und hielt sie an den Beinen oder Armen. Cascadas „Every time we touch“ in der Klavierversion. Ein Abend wie ein Märchen.
Besondere Freundschaften – unter Kindern und Eltern
Nur, dass die, die sie sonst erzählen, nun die waren, die sie erzählt bekamen. Wenn man in einem Viertel dieser Stadt lebt, dort Familie gründet, Kinder bekommt, dann wächst über die eigenen vier Wände etwas hinaus. Die Dinge verweben sich. Wo Kinder in Kindergärten kommen, entstehen Freund- und Bekanntschaften unter ihnen, aber auch unter ihren Eltern. Wo Schüler eingeschult werden, teilen die, die sie morgens an der Schule abgeben, die gleiche Geschichte: Sie alle geben dem Rad des Lebens erneut Schwung. Selbst aufgewachsen, ausgebildet und mitten im Leben angekommen, geben sie neuem Leben die Chance, diese Welt zu beeinflussen.
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Diese Gemeinschaften auf Emst, in Eilpe, in Wehringhausen, in Haspe oder auch in Boele sind kein Verein, kein offizieller Zusammenschluss, nichts Institutionelles. Sie sind ein Stück Zukunft. Ein stillschweigend unter allen eingegangener Bund mit einem kleinsten gemeinsamen Nenner: Man bejaht das Leben.
Über sich hinausgewachsen
Das ist es, was mir in diesem Zirkuszelt durch den Kopf ging als Viktoria, Fabian, Phillip, Lionel oder Lea, die ich genau so lange kenne wie meinen eigenen Sohn, über sich hinauswuchsen und jedem in diesem Zelt zeigten, dass es vielleicht das Schönste auf dieser Welt ist, dass es sie gibt. Magisch wirkt das, wenn Menschen ihrer selbst wegen berührt sind. Ich hatte das Cascada-Lied erwähnt, das erklang, als die Trapezkünstlerinnen den Atem stocken ließen. „Every time we touch, I get this feeling.“ Ja, Eltern wissen das. Großeltern, Tanten, die besten Freunde. Wer sich in der Seele berührt, der hat dieses Gefühl.
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Vier Tage lang waren die Schüler der Goethe-Grundschule in Boele jeden Tag zum Hilgenland gelaufen, wo der traditionsreiche Zirkus aus Xanten aufgeschlagen war. Förderverein und Bezirksvertretung Nord hatten das finanziell möglich gemacht. Eine Woche wie ein Brandbeschleuniger was den Mut, die Offenheit, das Wagnis und das Selbstvertrauen der Kinder anbelangt. Das halbe Dorf half mit, das Gastspiel zu ermöglichen.
Entfesselung nach der Pandemie
Mein Sohn sprach daheim über die Familie Casselly, die mit dem Schulzirkus-Programm durch das ganze Land tourt, mit leuchtenden Augen. Nach langer Pandemie, nach Zeiten der Entbehrung für die Kinder, war der Abend auch eine Entfesselung von alledem. So wie ihn viele Eltern in Zirkusprojekten erlebt haben mögen.
Die Botschaft, die über allem schwebt: Alles ist möglich. Wachse über dich hinaus. Wir werden daheim noch sehr lange über diesen Abend sprechen.