Hagen. Corona, Ukraine-Krieg und jetzt das: Zahlreiche Ausbildungsstellen im Handwerk sind in Hagen nicht besetzt. Ein Gespräch über die Hintergründe.
Er ist der Neue seit dem 1. Juli. Und die Zeiten, in denen Sebastian Baranowski seinen Job als neuer Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Hagen antritt, sind durch Corona, den Krieg und die explodierenden Energiepreise nicht einfach. Ein Gespräch über Potenziale und Probleme einer Branche.
Sie sind neu. Fangen wir doch mal mit den positiven Seiten an...
Wir haben bei der Kreishandwerkerschaft eine junge, schlagkräftige Truppe zusammen. Wir wollen durchstarten. Dazu sind wir in das Haus des Handwerks, also in neue Räume eingezogen, die ja für die Vielfalt dessen stehen, was das Handwerk leisten kann. Wir wollen mehr an die Öffentlichkeit treten, sichtbarer werden. Da, so glaube ich, haben wir in den letzten Jahren zu wenig gemacht.
Was heißt das?
Wir haben gerade unser Logo aktualisiert. Wir brauchen dringend eine neue Homepage. Die geht spätestens Ende des Jahres an den Start. Wir starten Anfang des nächsten Jahres Werbekampagnen. Dabei geht es auch um digitale Fortbildung, die wir unseren Mitglieder anbieten wollen.
Ist das Thema Fusion noch eines?
Vor ein paar Jahren ist in Hagen darüber intensiver gesprochen worden. Ein Vorteil wäre, dass wir deutlich mehr Mitgliedsbetriebe hätten und so auch im Stande wären, mehr anzubieten. Es gibt Dinge, die können wir allein nicht stemmen. Im Falle einer Fusion wäre das anders. Nehmen wir mal eine Kreishandwerkerschaft, die einen eigenen Bildungsträger hat. Da hätten wir im Bereich der Weiterbildung ganz andere Möglichkeiten. Ob wir diesen Weg aber gehen, das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.
Aber braucht es eine Kreishandwerkerschaft nicht am Ort?
Absolut. Bedingung für eine Fusion wäre immer, dass wir in Hagen präsent bleiben. Sonst funktioniert es nicht, aus diesem Grunde haben wir ja auch die neuen Räumlichkeiten bezogen . Es braucht diese Verwurzelung, diese Verbindung auch zu anderen Akteuren in der Stadt. Eine andere Möglichkeit wäre letztlich auch eine Kooperation, eine engere Zusammenarbeit mit anderen Kreishandwerkerschaften. Aber auch da ist noch nichts entschieden.
Wie definiert sich denn die Kreishandwerkerschaft Hagen?
Wir sind wie ein Art Versicherung für unsere Mitglieder. Ein Dienstleister, insbesondere in Zeiten, in denen es mal nicht so läuft. Wenn es Probleme in den Handwerksbetrieben unserer Innungen gibt, dann sind wir der erste Ansprechpartner für unsere Betriebe.
Wie sind Sie selbst denn in Hagen angekommen?
Gut. Ich habe viele Gespräche mit unterschiedlichen Akteuren geführt. Es gibt einen Schulterschluss mit anderen. Beispielsweise mit der SIHK, die natürlich noch mal eine ganz andere Wucht hat. Wir stehen in Austausch mit der Wirtschaftsförderung, mit der Stadt, mit der Agentur für Arbeit. Wir haben viele gemeinsam Interessen, müssen zusammenarbeiten, denn letztlich ist es meine Aufgabe, das Handwerk in der Region zu stärken.
Worum kümmern Sie sich denn gerade mit Priorität?
Das Handwerk braucht Auszubildende, das ist das dringendste Thema. Ich kann kaum verstehen, dass sich das so extrem zuspitzt. Wenn ich auf mich schaue, bin ich als studierter Jurist letztlich selbst ein Opfer des Akademisierungswahns. Wenn ich damals gewusst hätte, welche Chancen sich im Handwerk auftun – vermutlich hätte ich auf ein Studium verzichtet. Ich denke, wir müssen sowohl die Schüler als auch die Eltern erreichen.
Und der Akademisierungswahn weitet sich aus?
Genau das fällt uns jetzt vor die Füße. Sie gewinnen kaum noch jemanden für das Handwerk, der gerade sein Abitur an einem Gymnasium gemacht hat. Die akademische Laufbahn ist leider dort der favorisierte Weg. Wobei das Handwerk für alle, unabhängig von der schulischen Bildung, doch viele Möglichkeiten eröffnet.
Also fehlt der Nachwuchs?
Ja. Und das in allen Gewerken. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Die Zukunft des Handwerks und damit des handwerklichen Wirtschaftsstandorts Hagen liegt in den Händen der Auszubildenden. Neben der handwerklichen Ausbildung gehören aber auch andere Kompetenzen dazu. Hier müssen wir als Kreishandwerkerschaft ansetzen.
Was schlagen Sie vor?
Wir planen spezielle Kurse anzubieten, in denen es um Kompetenzen neben der handwerklichen Kernausbildung gehen wird.
Wie ist denn die Situation konkret?
Im Friseur-Handwerk beispielsweise haben wir in diesem Jahr weniger als 20 Auszubildende. Und das in dieser Branche. Früher haben sich da Massen beworben. Wir haben Stand Ende August in ganz Hagen 212 Ausbildungsplätze, 60 sind noch frei. Was mach die Jungen heute? Dazu gehen ja Menschen in den Betrieben in den Ruhestand, Inhaber erreichen die Altersgrenze. Wenn wir da keine Wende erzielen, werden schon sehr bald noch mehr Betriebe schließen, weil sie einfach keine Nachfolger mehr finden.
Wie beurteilen Sie denn die Zukunftschancen in der Branche?
Für heutige Auszubildende gibt es im Handwerk doch glänzenden Perspektiven. Wenn man dem Handwerk mal dem Einzelhandel gegenüberstellt, da ist doch im Handel sehr ungewiss, wie denn die Zukunft aussieht. Immer mehr Menschen bestellen im Internet. Aber eines ist gewiss: Das Internet deckt mir kein Dach, es streicht auch keine Wand, und es schneidet keine Haare. Handwerker wird man immer brauchen. Hinzu kommen immer wieder Erfolgsgeschichten, die nur im Handwerk möglich sind.
Personal ist die eine Seite – was ist denn mit Lieferschwierigkeiten?
Ein Riesenproblem. Die Lieferketten bleiben angespannt. Gerade bei Elektrokomponenten und Metallen. Hinzu kommen die gestiegenen Materialpreise und die Energiekosten. Diese Preisdynamik führt dazu, dass bestehende Aufträge für Betriebe mitunter unwirtschaftlich werden. Das heißt, dass die Liquiditätslage in vielen Betrieben angespannt ist. Gerade die öffentliche Hand sollte bei Ihren Aufträgen von der Möglichkeit der Vereinbarung von Preisgleitklauseln Gebrauch machen, um die Belastungen für das Handwerk abzufedern. Aber eins ist sicher, das Handwerk ist bisher mit vielen Krisen fertig geworden, auch diese wird das Handwerk meistern.