Breckerfeld. Die Gaspreise explodieren. Die Betreiber von Café Pfingsten geben deshalb nach mehr als 100 Jahren auf. Über Gründe und Hoffnung.
Noch einmal für das Foto hinter der Theke stehen, ein Brot in der Hand. Oder vielleicht mit einem Kaffee mit dieser köstlichen Milchschaum-Krone. Oder am Ofen, im Hintergrund die Backstube. „Nein“, sagt Anni Pfingsten. „Nein. Das wollen wir nicht. Das können wir einfach nicht.“ Die Emotionen sind zu stark. Das Foto, das sie und ihren Mann Paul Gerd zeigt, entsteht an diesem Tag in Breckerfeld nicht.
Dafür aber andere Bilder. Das von den knackigen Brötchen, die noch über die Ladentheke gehen. Das von dem Meisterbrief aus dem Jahr 1921, der noch an der Wand hängt. Und das des Cafés von außen, in dessen Fenster ein leuchtend gelbes Schild auf das Dilemma hinweist. Der Ofen in der Bäckerei und Konditorei Pfingsten ist aus. Im wörtlichen und damit auch im übertragenen Sinne. Anni Pfingsten und ihr Mann geben auf. Die Energiekrise zwingt sie in die Knie.
Worte von Kanzler Scholz klingen wie Hohn
Der Kanzler hat gesprochen. Nicht in Breckerfeld. Sondern mal wieder im Fernsehen. „Die Bundesregierungen lässt niemanden mit der Last allein. You’ll never walk alone.“ Das hat er gesagt.
Alone, alleingelassen, zurückgelassen – so fühlt sich Anni Pfingsten dieser Tage. Das, was Olaf Scholz (SPD) nach einem Treffen mit Gewerkschaftschefin und Arbeitgeberpräsident stolz verkündet, muss in den Ohren der Breckerfelderin wie Hohn klingen. „Die letzten Wochen waren wirklich schlimm für uns“, sagt Anni Pfingsten. Es waren die Wochen, in denen der Entschluss gereift ist, nach mehr als 100 Jahren aufzuhören. Der Ofen ist aus. Im übertragenen und leider auch im wörtlichen Sinne.
Wie Wirtschaftsminister Habeck prognostiziert
„Wir sind nicht insolvent“, sagt Anni Pfingsten. „Aber so kann es nicht weitergehen.“ Also ziehen sie und ihr Mann die Reißleine. Sie hören auf – mindestens bis zum Frühjahr. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht entscheidend ändern, sogar darüber hinaus. Endgültig.
Sie stoppen die Produktion. Und folgen damit – welch eine Ironie – dem, was Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor einigen Tagen arg hölzern in der ARD-Talksendung „Maischberger“ stammelte: „Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach aufhören zu produzieren.“
Einer der letzten Läden gibt auf
Stopp von Produktion und Verkauf – in einem der wenigen Läden, die es noch im Ortskern von Breckerfeld gibt. In einem Laden, seit vier Generationen in Familienhand, den Anni Pfingsten und ihr Mann seit mehr als 30 Jahren mit Leidenschaft führen. In dem sie Arbeitgeber für zwei Mitarbeiterinnen sind und Anlaufpunkt für Kunden, die wegen eines guten Brotes sogar aus den Nachbarkommunen anrücken. Dazu das Café einer der wenigen Treffpunkte im Ort.
„Die Menschen kommen ja nicht einfach so zum Einkaufen“, sagt Anni Pfingsten. „Wir kennen nahezu alle Kunden persönlich.“ Sie kommen, um sich mit Brot, Brötchen oder Kuchen zu versorgen. Aber sie kommen eben auch für ein gutes Gespräch. Auch das fällt jetzt weg.
Bäcker-Paar fühlt sich machtlos
„Wenn wir selbst irgendwas falsch gemacht hätten, wenn wir als Unternehmer eine schlechte Entscheidung getroffen hätten. Das wäre etwas anderes“, sagt Anni Pfingsten. „Man steht all dem so machtlos gegenüber. Ich habe das Gefühl, dass das Handwerk geopfert wird.“
Die Corona-Krise, für die sie ja auch nichts konnten, haben sie noch überstanden. „Auch da war ja für uns ein Café-Betrieb über Wochen nicht möglich“, sagt Anni Pfingsten. Auch, dass die Preise für die Lebensmittel wie Mehl oder Butter gestiegen sind, haben sie noch verkraftet. Jetzt aber steigen die Gaspreise ins Uferlose. Und die Regierung packt auch noch eine Umlage obendrauf. „Das würde uns das Genick brechen“, sagt Anni Pfingsten, „allein die Gasumlage macht bei uns alle zwei Monate zwischen 4000 und 5000 Euro aus. Das geht nicht. Wir müssten dann sieben Euro und mehr für ein Brot verlangen. Aber das kann man doch keinem zumuten.“
Gespräche mit dem Energieversorger AVU
Zwei Gespräche haben Pfingstens mit dem Energieversorger AVU geführt. Um auszuloten, was für einen kleinen Handwerksbetrieb möglich ist. Ergebnislos. Oder besser mit einem Ergebnis, das sich niemand gewünscht hatte: „Nach dem zweiten aber war klar, dass es keine Perspektive gibt“, sagt Anni Pfingsten. „Letztlich war das aber keine spontane Entscheidung. Wir können nicht Monat für Monat rote Zahlen schreiben.“
Also naht das Ende. Am Samstag, 1. Oktober, öffnet das Café Pfingsten zum letzten Mal. Und dann: „Wir sind zu jung für die Rente und zu alt für den Arbeitsmarkt“, sagt Anni Pfingsten (57). „Am Sonntag gehe ich erst einmal in die Kirche.“