Hagen-Mitte. Mike Fiebig hat eine Runde gedreht auf dem Hagener Innenstadtring. Neben spürbaren Maßnahmen holpert es noch gewaltig.
Ich habe mir vorgenommen, wie ein Hagen-Gast zu denken. Wie einer, der die Dinge zum ersten Mal sieht. Der einfach mal probiert, mit seinem Fahrrad eine Runde über den Innenstadt-Ring zu fahren. Und der auch würdigt, dass auf dem teilweise bergigen Rundkurs endlich etwas passiert in Sachen Radverkehr. Doch schon knapp drei Minuten nach dem Losrollen am Pressehaus setzt das Kopfschütteln ein. An der nagelneuen Fahrradampel, wo Mittelstraße und Märkischer Ring kreuzen. +++ Lesen Sie auch: Viele Radwege-Versprechen in Hagen, aber wenig Umsetzung +++
Dies ist kein Test in einer beliebigen Stadt. Die ist ein Test in der fahrradunfreundlichsten Großstadt Deutschlands. Ein Titel, der verdient ist und jedes Jahr aufs Neue durch politische Untätigkeit verteidigt wurde. In der Schublade der Stadt liegt seit 2018 ein Radverkehrskonzept. Theoretischer Investitionsumfang: 20 Millionen Euro. Bislang geschaffene Radkilometer: keine fünf. Bleiben wir im Bild: Hagen kriegt das bislang (noch) nicht auf die Kette.
Anforderungstaster der Rad-Ampel funktioniert nicht
Ich drücke und drücke auf den Anforderungstaster, der wenige Meter vor der Ampel quasi in der Fußgängerzone steht. Kein Aufleuchten von „Signal kommt“. Das Ding scheint zu schlafen, die Ampel zeigt rot. Während ich den Taster mit der Hand suchend umkurve, springt die Ampel plötzlich auf Gelb, dann auf Grün. Wenige Sekunden. Und zurück. Ich reagiere nicht. Ich staune. Denn jemand hat den Mast, an dem der Taster hängt, geöffnet und die Elektronik freigelegt.
„Was macht ihr denn da?“ Stimme aus dem Hintergrund. Es ist Thomas Lichtenberg, Leiter des Hagener Ordnungsamtes. Wir zeigen ihm den Mast. Er staunt mit. Kaputt nach wenigen Tagen? Er weiß von nix. Thomas Lichtenberg wird dann dienstlich: „Eigentlich darf man hier mit dem Fahrrad jetzt gerade gar nicht fahren.“ Stimmt. In der Fußgängerzone werktags nur zwischen 19 und 9.30 Uhr. Ist ja gut. Wir wollten eh über den Ring.
Farbe blättert ab und zahlreiche Autos parken hier
Kopfschütteln, die Zweite. Der neue tiefrote Fahrradstreifen zwischen Honselstube und Elektro Böhme sieht aus, als wenn es ihn schon 15 Jahre gäbe. Die Farbe verliert die Deckkraft nach nur wenigen Wochen. Er sieht ranzig aus. Wurde der einfach nur angepinselt? Das wirkt schäbig.
Ich habe Glück, dass ich ihn überhaupt sehen kann, denn auf dem Streifen parken vier Autos. Zwei haben die Warnblinkanlage an, zwei gar nicht erst. Ich will drumherum fahren, rolle über die Autospur, da fegt ein BMW dicht an mir vorbei. 100 Prozent Tempo, null Prozent Rücksicht. Und an der nächsten Ampel stehen wir nebeneinander. Wie sinnfrei das Geheize von ihm ist.
Ein Schild „Viel Glück“ wäre gut
Nächster Streckenabschnitt: Bergischer Ring. Für Radfahrer wäre zwischen Restaurant Dubrovnik und dem Fichte-Gymnasium ein Hinweisschild sinnvoll. „Viel Glück“ könnte darauf stehen. Hier wird deutlich, was diese Stadt bislang wirklich von Radfahrern hielt: Sie nehmen Platz für Autos weg.
Hagen bleibt weiter eine Autostadt
Freies Schwimmen im Autoverkehr. Und das durch eine nicht einsehbar Kurve, inklusive plötzlich auftauchender Ampel vor der Reformierten Kirche. Zwischen Vorderrad und Randmarkierung der rechten Spur passt keine Gurkenscheibe. Der Radstreifen vor der Honselstube wäre jetzt toll. Egal, wie ranzig er schon aussieht. Wenigstens wäre noch sichtbar, dass Raum für mich auch wertvoll wäre.
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Na gut. Man kann auf dem ganzen Ring nicht mit einem Mal eine Spur einkassieren, ich verstehe. Bis zu 30.000 Fahrzeuge täglich halten als Argument her. Und schließlich haben Verwaltung und Politik über 60 Jahre lang in dieser Stadt alles in ihrer Kraft Stehende getan, dem Auto den roten Teppich auszurollen. Und Hagen gehört beim Thema Radwege nicht gerade zu den Vorreitern in Deutschland. Im Gegenteil. Verkehrswende war hier lange ein Show-Geschäft. Bis man selbst im Rathaus merkte, wie der Wind sich dreht. Nun versucht man also was, fährt aber weiter hinterher.
Mal zu jenen Städten gehören, die mit Wucht ein richtiges Zeichen setzen und richtig viel Verkehrsraum zugunsten von alternativer Mobilität einkassieren? Bloß nicht. Lieber hier und da mal dem Zeitgeist entsprechen, aber bloß nicht volles Pfund. Schließlich sollen Herr und Frau Sowieso weiter auf Emst, in Boele oder in Haspe ins Auto einsteigen und in der Innenstadt bis vor die Läden fahren können. Sonst leidet ja der Einzelhandel. Dass dessen Leid größtenteils aus dem Internet rührt und mit dem Verkehrskonzept der Stadt Hagen nichts zu tun hat, wird ignoriert zugunsten des Status quo. Man fürchtet sich mehr vor einem Dieselverbot, als die Verkehrswende zu verpennen. Symptomatisch.
Zynismus aus. Blicken wir dahin, wo es gelingt. Also aus Radler-Perspektive. Mein treues Pegasus-Rad biegt vom Bergischen- auf den Graf-von Galen-Ring ab. Es wirkt, als hätte ein Operateur gerade eine ganze Vene abgeklemmt. Die komplette rechte Spur in Fahrtrichtung Arbeitsamt ist Radweg. So breit, dass Begegnungsverkehr möglich ist. Der Autoverkehr läuft einspurig und viel langsamer. Eine Gruppe geschäftig wirkender Männer vor einem Laden mit der Leuchtreklame „Internet, Faxen, Kopieren“ in Bahnhofsnähe guckt mich an, als käme der Schuldige endlich daher geritten.
Die Sache mit dem Fokus
Dass sie über mich reden, ist offenkundig. Die Blicke deuten an: „Da ist der eine Idiot, für den sie die Spur hier hin gemalt haben. An unsere Parkplätze.“ Dass Angebot hier Nachfrage schaffen könnte, spielt in ihren Überlegungen vermutlich keine Rolle.
Es ist so leicht, hier zu fahren. So leicht wie es den Verantwortlichen fiel, diese Spur hier einzuziehen. Schließlich soll der Verkehr weiter auf die Bahnhofshinterfahrung gelenkt werden. Zeichen der Verkehrswende also? Ja, in Teilen. Aber wohl auch eine willkommene Umleitungsmaßnahme. Womit wir wieder bei der Fokus-Sache wären. Folgt man diesem Gedanken nämlich, nimmt man die Auto-Perspektive ein. Gehen die 60 Jahre einfach weiter? Bitte nicht.
Ich will den Kindern irgendwann sagen, dass sie für den City-Besuch ruhig den E-Scooter oder sowas nehmen können. Ohne dabei umgefahren zu werden.
Ich halte an der Ecke Körnerstraße. Zur Altenhagener Brücke wird gerade der Radweg durchgezogen. Ich fahre rechts herum. Knapp 200 Meter geht es über den Bürgersteig, dann spuckt einen der gepflasterte Radweg auf die Bus- und Radspur-Körnerstraße, die bis zur SIHK breiten und sicheren Radbereich liefert. Da endet er. Vorerst. Irgendwie.
Probleme für E-Scooter
Wer mit einem E-Scooter den Weg über die neue Verkehrsinsel an der Marktbrücke nutzt, sollte die Lenkstange immer fest in der Hand halten. Denn was für Radfahrer kaum spürbar ist, schlägt den Elektroroller-Nutzern bei zügigem Tempo angesichts der deutlich kleineren Räder der Fahrzeuge fast die Haltegriffe aus der Hand. Denn die abgeschrägte Erhöhung, mit der auch schon an der Einmündung der Bahnhofshinterfahrung zur Philippshöhe operiert wurde, ist keineswegs risikolos zu befahren. Hier sollten die Planer für die Zukunft genau hinsehen, ob diese bauliche Umsetzung tatsächlich zu einer Stadt passt, die gerade ein flächendeckendes E-Scooter-Netz etabliert.