Hagen-Mitte. Immer mehr wird deutlich, welche baulichen Fehler in Hagen begangen wurden. Der Ex-Stadtbaurat Dieckmann (selbst beteiligt) blickt zurück.
Bausünde – die Beurteilung war knallhart. Bei einer ersten wissenschaftlichen Untersuchung des Bahnhofsviertels durch ein Team der Bergischen Universität Wuppertal hat der Berliner Platz vor dem Hagener Hauptbahnhof quasi die Note sechs bekommen. Eine Betonwüste, viel zu weitläufig, ohne städtebaulichen Kontext, keine Veranstaltungsmöglichkeiten und eine Aufenthaltsqualität wie auf einem Präsentierteller. Der Platz soll, so heißt es bereits aus dem Baudezernat, Teil eines Stadtumbaugebiets werden. Der ehemalige Stadtbaurat Johann Dieckmann erinnert sich im Zuge der nun aufkeimenden Debatte daran, warum der Bahnhofsvorplatz eigentlich so schlecht geworden ist wie er ist.
„Die Planungen für den Vorplatz dauerten 20 Jahre. Die Gestaltung ist das Ergebnis der darunterliegenden Tiefgarage, deren Erreichbarkeit über die Straße ,Am Hauptbahnhof’ schwierig ist“, beschreibt Dieckmann das bauliche Ergebnis. „Diese Tiefgarage würde heute im Zeichen der Verkehrswende nicht mehr gebaut werden“, glaubt er. „Grund für den Bau und die Größe des Platzes war auch, dass Veranstaltungen auf dem Vorplatz stattfinden sollten. Deshalb sind die Wasserfontänen so angelegt worden. Wegen der Tiefgarage war eine Begrünung des Platzes nicht möglich.“
+++ Lesen Sie auch: Wissenschaftler – das sind die richtigen Maßnahmen fürs Bahnhofsviertel +++
Tatsächlich hat bis zum heutigen Tag keine einzige Veranstaltung auf diesem Platz stattgefunden. Von den „Wasserfontänen“ nehme niemand Notiz, stellten auch die Wissenschaftler fest. Auf diese Weise sei es nur schwer möglich, die Hagener „Mehrheitsgesellschaft“ überhaupt auf diesen Platz oder in dieses Viertel zu locken. Die Wissenschaftler machten gleich mehrere Vorschläge. Kulturevents, Wochenmärkte, ein Café auf dem Berliner Platz. Parallel dazu sollen Streetworker sich um das schwierige Klientel auf dem Platz kümmern, der von Trinkern und Dealern bespielt wird.
Optisch erschwerend komme noch hinzu, dass der Zentrale Busbahnhof den Platz und die Bahnhofsstraße als Weg in die City voneinander „absperrt“. „Die vormals angedachte direkte Anbindung der Bahnhofsstraße (Lesen Sie: Die Bahnhofstraße soll zum Radweg werden) wäre jetzt durch die Fertigstellung der Bahnhofshinterfahrung möglich“, sagt Ex-Baurat Dieckmann. In Verbindung mit der Nutzung der Flächen hinter und vor dem Bahnhof seien Alternativen für die Verknüpfung mit dem Innenstadtbereich und dem Stadtquartier Altenhagen zu erarbeiten.
Wie zum Beispiel für die Hochbrücke in Altenhagen, deren weitere Nutzung in acht bis zehn Jahren zur Diskussion stehen wird.
+++ Lesen Sie auch: Wären die Hagener Unterführungen heute noch sinnvoll? +++
Dieckmann nimmt auch Bezug auf den Graf-von Galen-Ring. „Der Bau und die Gestaltung des Graf-von-Galen-Ringes erfolgten unter völlig anderen Vorgaben. Im Zeitraum von 1982 bis 1994 gab es keine Aussichten, die Bahnhofshinterfahrung in einem überschaubaren Zeitraum realisieren und damit den Graf-von-Galen-Ring vom Durchgangsverkehr entlasten zu können.“
Die alten Unterführungen
Zunächst war man von einer Tunnellösung ausgegangen. Der Bahnhof war damals nur durch eine Fußgängerunterführung zu erreichen. Die verkehrstechnische Leistungsfähigkeit konnte durch die ebenerdige Lösung nicht nachgewiesen werden, bei der anderen Lösung missfiel später die Tunnellösung.
+++ Lesen Sie auch: Die Top-10-Ordnungswidrigkeiten im Bahnhofsviertel +++
„Parallel zur Planung des Graf-von-Galen-Rings wurde ein Gutachten vergeben, um die Planung einer Bahnhofshinterfahrung zu untersuchen. Die Gutachter und Stadtplaner der Werkstatt hielten die Tieferlegung des Graf-von Galen-Rings aus städtebaulichen Gründen für den grundsätzlich falschen Ansatz. Danach wurde im September 1991 ein weitergehender Beschluss mit einem Planungsauftrag für den Graf-von-Galen-Ring mit 14 Punkten im Bahnhofsauschuss gemeinsam mit der Bezirksvertretung gefasst. Mit dem Beschluss war die Tieferlegung des Graf-von-Galen-Rings gestorben und die Grundlage der ebenerdigen Lösung für die weitere Planung beschlossen“, erinnert sich Dieckmann.
Erst 2003 ergab sich die Perspektive, dass von Seiten der Bahn die Güterbahnstrecke aufgegeben werden könnte und die Flächen für die Umfahrung des Bahnhofes eventuell genutzt werden könnten. In Verbindung mit weiteren Grundstücksankäufen konnte die Bahnhofshinterfahrung realisiert werden. Heute führt sie auf die Hochbrücke. „Die Brücke ist das gebaute Beispiel einer Brücke des Leitziels der autogerechten Stadt“, sagt Dieckmann. Sie würde heute nicht mehr gebaut.