Hagen. Der Mietspiegel 2021 macht es transparent: Das Mietpreisniveau in Hagen verharrt im unteren Bereich. Das liegt auch am Standard des Angebots.

Es waren bittere und zugleich alarmierende Wahrheiten, die Prof. Dr. Guido Spars dem Hagener Stadtentwicklungsausschuss vor inzwischen mehr als fünf Jahren präsentierte: Der Wissenschaftler der Bergischen Universität Wuppertal (Institut für Raumforschung & Immobilienwirtschaft) hatte im Auftrag der Stadt sowie der kommunalen Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft (HGW) eine Wohnungsmarktstudie erarbeitet, die unmissverständlich deutlich machte, dass dem örtlichen Mietwohnungsmarkt der Kollaps drohe, wenn nicht umgehend drastisch und koordiniert gegengesteuert werde.

Gute Orientierungshilfe

Der aktuelle Mietspiegel, der nach wissenschaftlichen Grundsätzen durch den städtischen Gutachterausschuss für Grundstückswerte ermittelt wurde, bietet eine gute Orientierungshilfe, um die örtlichen Vergleichsmieten (Nettokaltmiete) zu ermitteln. Dafür wurden Wohnungsmieten aus Mehrfamilienhäusern (ab drei Wohneinheiten) erfasst – Mieten von Ein- und Zweifamilienhäusern wurden in der stichprobenartigen Untersuchung (15.000 Fragebögen, 40 Prozent Rücklaufquote) nicht erhoben.

Grundsätzlich gilt also: Der Mietspiegel gilt für klassische Mietwohnungen in frei finanzierten Mehrfamilienhäusern. Er kann jedoch hilfsweise ebenfalls für die Ermittlung von Wohnungsmieten in Ein- und Zweifamilienhäusern herangezogen werden. Bei der hier vorliegenden Erhebung lag der Fokus auf Standard-Wohnungen in mittlerer Wohnlage, die über Balkon oder Terrasse verfügen und zwischen 45 und 99 Quadratmetern groß sind.

Geschehen ist seitdem freilich wenig, was sich auch im aktuellen Mietspiegel zeigt, der für Hagen weiterhin einen relativ günstigen Mietzins signalisiert, während in anderen Großstädten die Preise kontinuierlich anziehen.

3500 Wohnungen sollen weg

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WP-Redakteur Martin Weiske
Von             Martin Weiske

Spars schrieb den Entscheidern in Politik und Stadtverwaltung seinerzeit ins Stammbuch: „In den nächsten zehn Jahren müssen 3500 Wohnungen zurückgebaut werden – das ist eine Riesenherausforderung, aber der Stadt bleibt gar nichts anderes übrig.“ Eine enorme Leerstandsquote von sieben Prozent und ein zu niedriger Qualitätsstandard bei Mietimmobilien hätten den Hagener Markt und das Preisgefüge versaut, so die These des Hochschullehrers. Deshalb plädierte er neben dem kontinuierlichen Abriss von unzeitgemäßen Bauten zugleich dafür, qualitätvollen neuen Wohnraum zu schaffen.

In den Altbauten rund um den Wilhelmsplatz lassen sich in Hagen keine hohen Mieten erzielen. Damit fehlen manchen Hausbesitzern auch die Mittel, in die älter werdende Bausubstanz zu investieren.
In den Altbauten rund um den Wilhelmsplatz lassen sich in Hagen keine hohen Mieten erzielen. Damit fehlen manchen Hausbesitzern auch die Mittel, in die älter werdende Bausubstanz zu investieren. © www.blossey.eu | Hans Blossey

„Ich will gar nicht empfehlen, Hagen niederzureißen, sondern es geht darum, die Stadt intelligent umzubauen“, mahnte der Wissenschaftler eine Doppelstrategie an. Neben dem Abbau von 350 Wohneinheiten müssten pro Jahr parallel auch 150 neue, zeitgemäße Objekte errichtet werden – und dies gleich über eine komplette Dekade. „Sie brauchen eine Ausdifferenzierung des Marktes“, legte er dem Stadtentwicklungsausschusses ans Herz. „Sie müssen den Markt wieder in Gang bringen, um attraktive Mieten erzielen zu können und damit Vermieter nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden.“

Vorbilder in Ostdeutschland

Beispielhaft verwies der Experte auf Entwicklungen in den ostdeutschen Bundesländern, wo ähnliche Umbauprozesse nach der Wende bereits vollzogen worden seien. Dort habe in Zusammenarbeit mit den vor Ort agierenden Gesellschaften oft eine auf die lokalen Befindlichkeiten zugeschnittene Wohnungsmarktstrategie gegriffen, die auch die soziokulturelle Entwicklung der Städte positiv beeinflusst habe. Ein Aspekt, der angesichts der sozialen Verwerfungen in Hagen rund um die anhaltenden Zuwanderungsproblematiken von besonders hohem Stellenwert ist.

Monatliche Nettokaltmieten für eine Standardwohnung in Hagen
Monatliche Nettokaltmieten für eine Standardwohnung in Hagen © Westfalenpost | Sascha Kertzscher

„Wir brauchen Investitionen in den Wohnungsmarkt – da müssen wir hinkommen“, appellierte daher Baudezernent Henning Keune jetzt erneut im Stadtentwicklungsausschuss: „Der Markt ist nicht gesund, weil die Mieten zu niedrig sind.“ Dazu müsse aber auch in den sozialen Wohnungsbau investiert werden, um hier den qualitativen Standard zu heben und Preissteigerungen zu erzielen. „Der Rückbau von Wohnungen allein ist keine Lösung – alles­ gemeinsam ist der Königsweg“, so der Appell des Stadtbaurates.

Von Zielen weit entfernt

SPD-Ratsherr Jörg Meier lobte den jetzt vorgelegten, aktualisierten Mietspiegel 2021 als ein orientierungsgebendes Instrument, das die Interessen von Vermietern und Mietern gleichermaßen betreffe: „Vermieter müssen auch das Geld verdienen können, um es wiederum zu reinvestieren. Von der Spars-Forderung, pro Jahr 350 Wohnungen vom Markt zu nehmen und 150 neuwertige, qualitätvolle Angebote zu schaffen, sind wir meilenweit entfernt.“

Hier eine Beispielrechnung: Anhand der Rahmendaten kann jeder Hagener feststellen, ob seine Wohnungsmiete zum ortsüblichen Rahmen passt.
Hier eine Beispielrechnung: Anhand der Rahmendaten kann jeder Hagener feststellen, ob seine Wohnungsmiete zum ortsüblichen Rahmen passt. © Westfalenpost | Sascha Kertzscher

Die Situation werde sich tendenziell sogar noch weiter verschlechtern, so die These von Grünen-Vertreter Hans-Georg Panzer, weil 80 Prozent des Hagener Wohnungsbestandes den Altbauten zuzurechnen seien: „Dort finden keine Investitionen mehr statt – das ist das Dilemma von Hagen.“