Hagen. Eine zu hohe Leerstandsquote und schlechte Qualität prägen den Hagener Wohnungsmarkt. Die Fakten sind alle bekannt, doch es wird kaum gehandelt.

Die Lage auf dem Hagener Wohnungsmarkt ist kompliziert – das hat eine Studie des Wuppertaler Instituts für Raumforschung & Immobilienwirtschaft (Spars-Gutachten) Politik und Verwaltung bereits Ende 2016 unmissverständlich vor Augen geführt. Jetzt wurde diese Untersuchung durch ein weiteres Gutachten des NRW-Heimat- und Kommunalministeriums durch das Hamburger Forschungsinstitut GEWOS (Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung GmbH) noch einmal unterfüttert. Das Fazit: Es ist nichts besser geworden.

Mehr Wohnraum statt Reduzierung

Die Forscher kommen für Hagen zu dem ernüchternden und zugleich erschütternden Ergebnis, dass die seinerzeit vorgeschlagene Doppelstrategie aus Rückbau und Neubau in den vergangenen Jahren kaum verfolgt wurde. Seinerzeit hatte der Wuppertaler Hochschullehrer Prof. Guido Spars der Verwaltung ins Stammbuch geschrieben, innerhalb der nächsten zehn Jahre 3500 nicht mehr zeitgemäße Wohnungen vom Markt zu nehmen und durch etwa 150 neue Wohnungen pro Jahr den Mietwohnungsmarkt zu stabilisieren. Doch die Realität zeigt, dass – vom Jahr 2015 mal abgesehen – die Neubauten weiterhin den Abriss bei weitem überlagert haben. Zwischen 2011 und 2019 gab es sogar ein Wohnraumplus von 1,4 Prozent.

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WP-Redakteur Martin Weiske
Von                    Martin Weiske

Daher fordert die Wissenschaft angesichts des anhaltend prognostizierten Bevölkerungsrückgangs die Stadt Hagen erneut auf, hier moderierend einen Prozess zusammen mit Privateigentümern und Wohnungsgesellschaften in Gang zu setzen, um den Abwärtstrend auf dem Hagener Wohnungssektor zu stoppen. Hier acht wesentlichen Fakten zum Ist-Zustand:

1. Im Jahr 2019 gab es 29.934 Wohngebäude, davon 60,6 Prozent Ein- und Zweifamilienhäuser. Dort sind 22,3 Prozent der 102.871 Hagener Wohnungen angesiedelt, 74,3 Prozent in Mehrfamilienhäusern.

2. Während in Hagen sich der Zuwachs an Ein- und Zweifamilienhäuser etwa auf NRW-Niveau (+3 %) bewegt, sind bei den Mehrfamilienhäusern lediglich 0,8 Prozent (NRW: +4,9%) hinzugekommen. Hier besteht akuter Nachholbedarf, vorzugsweise im Sozialwohnungsbau. Grundsätzlich gilt, dass der Grundstücksbedarf für Ein- und Zweifamilienhäuser in Hagen angesichts der laufenden Bebauungsplanverfahren (Kuhle Hardt: 38 Einheiten, Im langen Lohe: 25 Einheiten, Auf der Gehre: 30 Einheiten, Quambusch: 32 Einheiten) gedeckt ist. Dennoch müssen natürlich weitere Areale bei der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes mitgedacht werden. Der anstehende Generationenwechsel in Hagen eröffnet allerdings die Chance, dass ein Großteil des Bedarfs an Ein- und Zweifamilienhäusern im Bestand gedeckt und somit auf Neubauflächen verzichtet werden kann.

Wenn die Stadt in den Wohnungsmarkt nicht steuernd eingreift, droht nicht bloß bei den Mietwohnungen, sondern auch bei Ein- und Zweifamilienhäusern ein Preisverfall.
Wenn die Stadt in den Wohnungsmarkt nicht steuernd eingreift, droht nicht bloß bei den Mietwohnungen, sondern auch bei Ein- und Zweifamilienhäusern ein Preisverfall. © www.blossey.eu | Hans Blossey

3. Der Wohnungsbestand in Hagen ist im Landesvergleich erheblich überaltert: 28,4 Prozent wurden bereits vor 1949 erbaut, 55,8 Prozent zwischen 1948 und 1978. Lediglich 15,3 Prozent sind in den vergangenen 40 Jahren entstanden, was in puncto Ausstattung, Technik, Energetik und Barrierefreiheit einen erheblichen Sanierungsbedarf signalisiert. Schon heute gibt es in Hagen ein Versorgungsdefizit an barrierearmen Wohnungen, so die Expertenschätzung, von 5680 Einheiten.

4. Im Jahr 2011 lag die Leerstandsquote in Hagen bei 9,6 Prozent, das Spars-Gutachten ging 2019 Aufgrund der Zuwanderung von etwa 7 Prozent aus. Da jedoch seit 2017 die Wohnbevölkerung wieder abnimmt, prognostizieren die Experten, dass auch die Leerstandsquote in Hagen wieder steigt und somit die Mietpreisentwicklung bedrohlich destabilisiert.

5. Insgesamt hat Hagen – Stand 2019 – die geringste Baufertigstellungsrate (0,59/1000 Einwohner) in NRW hinter Gelsenkirchen. Der Landesschnitt liegt bei 4,93 Baufertigstellungen pro 1000 Einwohner. Bei den Mehrfamilienhäusern ist hier der Abstand am größten.

6. 2020 gab es 5507 Wohnungen im öffentlich geförderten Mietwohnungsbestand. Damit ist der Bestand an sozialem Wohnungsbau seit den 1990er-Jahren um 75 Prozent gesunken und findet sich bevorzugt in zwischen 1949 und 1982 errichteten Gebäuden, also in den Altbeständen. Eine Leerstandsquote von gerade einmal 1,38 Prozent zeigt, dass hier die Nachfrage kaum gedeckt werden kann. Diese bestehende Versorgungslücke wird sich künftig durch aus der Bindung fallende Sozialwohnungen und fehlende Neubauten weiter verschärfen.

7. Die Mietbelastungsquote (Anteil der Mietausgaben am Haushaltseinkommen) lag in Hagen im Jahr 2018 – trotz stabiler Kaufkraft – bei unter 23 Prozent und somit klar unter Landesschnitt. Selbst Städte mit noch geringerer Kaufkraft wie Herne oder Gelsenkirchen weisen eine höhere Mietbelastungsquote auf. Hier spiegelt sich bereits der Preisverfall wider.

8. Die Bevölkerung wird bis 2040 um 2 bis 4 Prozent abnehmen. Das bedeutet für die verschiedenen Altersgruppe: 18- bis 25-Jährige (-0,7 %), 26- bis 44-Jährige (-8,7 %), 45- bis 64-Jährige (-19,1 %), 60- bis 80-Jährige (+17,9 %) und Über-80-Jährige (+16,2 %). Das bedeutet, dass Hagen nicht mehr, aber qualitätvolleren modernen Wohnraum benötigt. Die Experten rechnen bis 2040 etwa 2860 Einheiten in Ein- und Zweifamilienhäusern sowie mindestens 4840 Einheiten in Mehrfamilienhäusern hoch.