Hagen.

Unsere Demokratie ist repräsentativ. Gewählte Volksvertreter ziehen in Parlamente ein und treffen Entscheidungen – eigenverantwortlich. Das ist wie Arbeitsteilung. Die unterschiedlichen Repräsentanten sollen Einzelinteressen ausgleichen, damit quasi ein Gesamtwille des Volkes abgebildet wird. Schließlich kann nicht die individuelle Meinung jedes einzelnen Bürgers abgebildet werden. Warum dieser systemische Diskurs? Weil die repräsentative Demokratie in Hagen im vergangenen Jahr (und immer noch) zweimal angezweifelt, hinterfragt und übrigens auch umgekehrt wurde. Ein Rückblick auf den sogenannten „Betrauungsakt“ und den nahenden Bürgerentscheid in Hohenlimburg.

WBH soll direkt mehrere Bereiche übernehmen

Vermutlich hätte das Thema bis zum Schluss nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt, wäre eine Beschlussvorlage aus nichtöffentlicher Sitzung nicht bei der Stadtredaktion gelandet. Der Gesetzgeber hat die Umsatzbesteuerung für Städte geändert. Ab 2023 bestand so konkret für Hagen das Risiko, dass ein Großteil der Leistungsbeziehungen zwischen Stadt und WBH umsatzsteuerpflichtig wird. Mögliche jährliche Belastung für Hagen pro Jahr: 2,5 Millionen Euro.

Zugriff bis zur Leistungsphase

Mit folgenden vier Bereichen soll der WBH daher betraut werden und diese künftig als eigene Aufgaben wahrnehmen, eine Ausgleichszahlung erhalten und das Steuerrisiko damit umgangen werden: Technische Planung, Bau und Unterhaltung von Straßen, Wegen, Plätzen, Radwegen, Fußgängerzonen, öffentlichen Brücken und anderen Dingen. Die Steuerung und Einflussnahme des WBH erfolge weiter durch Beschlussfassung über die laut Wirtschaftsplan zu zahlenden Zuschüsse. Eine direkte Einwirkungsmöglichkeit politischer Gremien sei bis einschließlich „Leistungsphase III“ (Entwurfsplanung) gegeben, bei darüber hinausgehender direkter Einflussnahme bestünden steuerliche Risiken.

Im vergangenen Sommer demonstrierten WBH-Mitarbeiter vor einer Ratssitzung und überreichten dem OB einen offenen Brief.
Im vergangenen Sommer demonstrierten WBH-Mitarbeiter vor einer Ratssitzung und überreichten dem OB einen offenen Brief. © WP | Mike Fiebig

Am Ende ist es so gekommen. Doch der Weg dahin zeigte, dass in der vermeintlich kaum politikinteressierten Hagener Öffentlichkeit großer Kampfgeist um demokratische Zugriffsrechte steckt. Es bildeten sich Bürgerinitaitiven, Verwaltungsprofessoren meldeten sich zu Wort. Bezirksvertretungen dürften ureigenste Zugriffsrechte nicht wegen Steuererleichterungen verschleudern.

Mitarbeiter des WBH demonstrieren

Für die geschätzten Mitarbeiter des WBH bekam die Diskussion einen falschen Zungenschlag. Sie sahen die Wertschätzung für ihr Tun den Bach runtergehen. Vor einer Ratssitzung demonstrierten über 100 von ihnen vor der Karl-Adam-Halle in ihrer orangefarbenen Dienstkleidung. Es war ein mächtiges Zeichen des Zusammenhaltes und zeigte in der komplexen Sachlage des Themas zwischen Steuern, Betrauungen, Zugriffsrechten usw., dass dahinter Kolleginnen und Kollegen stehen, auf die sich diese Stadt immer verlassen konnte.

Am Ende trägt der Rat Betrauung mit

Der WBH ist nun zwar „betraut“ (oder soll es formal noch werden), die Diskussion hat dennoch etwas gezeigt: Repräsentative Demokratie ist kein Freifahrtschein. Bürger verlieren nicht aus den Augen, was in ihrem Namen geschieht. Sie hängen an ihrem Recht. Wer in dieser Stadt was bestimmt, wer was auf den Weg bringt, wer wo Einfluss nimmt – das wurde zum Kern der öffentlichen Debatte. Und am Ende gar nicht mehr, dass es um den WBH oder irgendwelche Leistungsphasen geht. Unter dem zunächst öffentlichen Druck erklärten fünf Parteien, nicht mehr hinter dem Betrauungsakt stehen zu wollen. Am Ende entschieden die meisten von ihnen ihn mit.

Das Lennebad in Hohenlimburg: Ein Bürgerentscheid wird am 13. März über Abriss oder Fortbestand entscheiden.
Das Lennebad in Hohenlimburg: Ein Bürgerentscheid wird am 13. März über Abriss oder Fortbestand entscheiden. © Westfalenpost | Marcel Krombusch

Direkte Demokratie wird angewendet

In Hohenlimburg erleben wir, dass die repräsentative Demokratie in die direkte Demokratie verwandelt wird. Ein Bürgerbegehren gegen die Entscheidung des Rates, das sanierungsbedürftige Lennebad abzureißen und am Freibad Henkhausen eine Teilüberdachung zu errichten, um so das ganzjährige Schwimmen in Hohenlimburg zu sichern. Das Bürgerbegehren hat der Rat abgelehnt, was bedeutet, dass am 17. März der zweite Bürgerentscheid in der Geschichte der Stadt Hagen ansteht. Knapp 8000 Menschen hatten das Bürgerbegehren unterschrieben. Knapp doppelt so viele werden es beim Bürgerentscheid am 13. März stadtweit sein müssen, damit die Initiative das Lennebad retten kann.

Bürgerentscheide sind sehr selten

Bürgerentscheide sind selten. Das hat allein mit der fordernden Organisation und dem zähen Einsammeln gültiger Stimmen zu tun. So selten sie sind, so ein starkes Instrument direkter Demokratie sind sie. Sie sind der Akt, in dem die Bürger die Entscheidungs Gewalt zurück in ihre Hände holen und sie dem Rat abnehmen. „Ja oder nein“ – direkter und unmittelbarer können Bürger nicht über das entscheiden, was vor ihrer Haustür passiert.

Wahlbeteiligung extrem niedrig

Bleibt zu hoffen, dass der Bürgerentscheid am Ende nicht eines der großen Probleme der wahlberechtigten Hagener Öffentlichkeit erneut offenlegt: ihre Wahl- und Mitentscheidungsmüdigkeit. Bei der Kommunalwahl 2020 landeten nur Herne, Oberhausen, Duisburg und Gelsenkirchen in NRW hinter Hagen, was die Wahlbeteiligung anging. Nur noch gut 42 Prozent der Hagener ging wählen. Das ist ein historischer Tiefstwert und wenn der Trend der vergangenen 20 Jahre sich fortsetzt, wird bei der nächsten Kommunalwahl eine „3“ vorne stehen.

Dass die Hagener anders können, haben diese beiden Beispiele gezeigt. Der 13. März rückt näher.