Hagen. Gandhi Chahine lässt Jugendliche aus Hagen auf der Bühne des Lebens strahlen. Er hat viele bedeutende Projekte in die Stadt geholt.

Ob das hier schon oder noch der Drei-Türme-Weg in Hagen ist? Was spielt das schon für eine Rolle. Das Gespräch ist gut. Das zählt. Es ist gut, es ist intensiv, und es ist zuweilen so anstrengend wie unser Weg selbst, der uns vom Jugendkulturzentrum Kultopia aus an diesem Tag hinauf in den Stadtgarten und dann weiter bergan führt.

Im Kultopia wirkt er vor allem, dieser Gandhi Chahine. Deshalb sind wir dort gestartet. Das gute, das intensive, das anstrengende Gespräch beginnt sofort. Und es wird noch mal ein bisschen intensiver, als wir uns im Stadtgarten auf einem Plateau in der Sonne das erste Mal niederlassen.

Viele positive Botschaften

Gespräche mit Gandhi Chahine – Jahrgang 1969 – können anstrengend sein im positiven Sinne: Er hat so viel zu erzählen. Er trägt so viele Botschaften in sich, die einfach rausmüssen. Der Mann ist Sozialarbeiter, nicht gelernt, aber im Herzen. Ein Überzeugungstäter durch und durch, der niemals jemanden aufgrund seiner Geschichte brandmarken würde.

Und weil das die Frage ist, die mich am meisten bei so einem Menschen beschäftigt, muss sie ziemlich schnell raus: „Gibt es bei all den Jugendlichen, mit denen du in den letzten Jahren gearbeitet hast, einen, den du aufgegeben hast?“ – Antwort: „Nein. Den Punkt habe ich nie erreicht. Ich habe mit tausenden Jugendlichen gearbeitet. Es war manchmal hart. Aber ich habe das ausgehalten. Es gibt junge Leute, die provozieren dich so lange, weil sie immer irgendwo rausgeschmissen wurden. Und ich sage ihnen dann: Du kannst machen, was du willst. Hier fliegst du nicht. Viele, die ich anfangs ausgehalten habe, zählten am Ende zu den Besten. Sie haben geglänzt.“

Die „Lichter der Großstadt“

Dabei sind es längst nicht nur die Wohlbehüteten auf vermeintlich feinem Elternhaus, um die sich Gandhi Chahine, der Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften studiert hat, kümmert. Die Truppe von Jugendlichen, die sich in der Gruppe „Lichter der Großstadt“ versammelt, ist so bunt, wie das Leben von Gandhi Chahine selbst. Hauptschüler, denen keiner jemals eine Chance geben würde, Flüchtlingskinder, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben, Gymnasiasten ebenso, bei denen manches, aber nicht alles rund gelaufen ist. Vor allem Jugendliche, die ohne diese Unterstützung keinen Zugang zu dieser Art von Bildung hätten.

Sackgasse am Chinesischen Restaurant – hier ist er nicht, der Dreitürme-Weg. Nur ein Hinterhof. Umkehr, neuer Anlauf.

Die Bühne ist das Leben

Gemeinsam auf dem Drei-Türme-Weg in Hagen unterwegs: Gandhi Chahine, Leiter Musicoffice Hagen, und WP-Redakteur Jens Stubbe
Gemeinsam auf dem Drei-Türme-Weg in Hagen unterwegs: Gandhi Chahine, Leiter Musicoffice Hagen, und WP-Redakteur Jens Stubbe © Michael Kleinrensing

Auch für so viele Jugendliche, die Chahine, der Musiker, der ausgebildete Regisseur und Theaterpädagoge, auf der Bühne strahlen lässt. Auf der Bühne, die in Wirklichkeit das Leben ist. Das gelingt, weil er auf ihre Fähigkeiten und Talente guckt anstatt auf ihre Defizite. „Ich frage niemanden danach, wo er herkommt oder was er bislang gemacht hat. Meistens ergibt sich das irgendwann im Gespräch. Aber im Grunde spielt es für mich und meine Arbeit keine Rolle. Wichtig sind Interesse und der Umgang mit den anderen.“

„Man kriegt die Jugendlichen in ihrer Lebendigkeit mit“, sagt jener Mann, der junge Menschen zum Teil über Jahre begleitet, der oft Fördermittel in sechsstelliger Höhe für Hagen generiert hat und dessen Projekte immer wieder renommierte Preis abräumen. Und: „Ganz zentral ist dabei das Thema Wertschätzung. Wer sich Zeit nimmt, wer bereit ist, sich auf Jugendliche einzulassen – der bringt ihnen diese Wertschätzung entgegen. Und das erkennen sie an.“

Gründer der „Sons of Gastarbeiter“

Anerkennung hat er sich selbst auch als Musiker erarbeitet. „Sons of Gastarbeiter“ heißt die Formation, die Chahine mit anderen gründet, die in den 90er Jahren den politischen Hip-Hop prägte, sich aber immer als deutsche Band definiert hat. Und als Ruhrpottler. „Der Proberaum war für uns immer ein geschützter Raum, in dem wir uns, die wir alle von Rassismus betroffen waren, auch austauschen konnten. Weil diese Politisierung für mich selbst so wichtig war, ist es genau das, was ich auch heute in meinen Workshops anbiete. Gleichzeitig konnte ich mit meinen Erfahrungen, mit meinen Vorstellungen durch die Musik an die Öffentlichkeit treten. Das ist etwas, was ich den Kids heute auch ermöglichen will. Wenn sie in einem Theaterstück oder bei einem Poetry-Slam auftreten, werden sie erst sichtbar. Sonst kriegt niemand etwas von ihnen mit.“

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Warum er nicht Profi-Musiker wurde… Das lag doch so nah. „Wir haben Mitte der 90er als Band erste Projekte gegen Rassismus in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche ins Leben gerufen“, sagt Gandhi Chahine, „da habe ich gemerkt, das ist noch einmal eine ganz andere Qualität für jemanden, der Leute erreichen möchte. Das war schon immer mein Antrieb.“

Flucht vor dem Bürgerkrieg im Libanon

Gandhi Chahine hat natürlich eine eigene Geschichte. Wir fragen nicht, wo er herkommt. Das ergibt sich so im Gespräch. Libanon. Beirut. Millionenstadt. Gehobene Verhältnisse. Privatschule für Hochbegabte. Arabisch und Englisch von Geburt an. Dann aber kam der Krieg. Gandhi Chahine war neun Jahre alt.

„So etwas vergisst man nicht. Das brennt sich ein. Als wir nach Deutschland geflüchtet sind, hatte ich so was von keinen Bock auf dieses Land. Wir kamen aus einer Metropole. Der Direktor von Sony war ein Freund meines Vaters. Ich war auf einer Privatschule. Wir hatten Freunde in Europa, in Japan. Dann kamen wir aus einer Weltmetropole nach Witten-Vormholz, und ich habe meine Eltern gefragt: Was wollen wir in diesem Dschungel? Das war ein Kulturschock. Aber die Menschen hier haben mich gefragt, ob ich Autos oder ausgebaute Straßen kenne. Und das Problem ist, dass man den Flüchtlingen noch heute dieselben Fragen stellt.“

Werte, die in der Schule nicht im Fokus stehen

Der erste Schultag in der neuen Heimat. Gandhi Chahine soll einen Mathetest ablegen. Nach ein paar Minuten gibt er den Zettel ab. „Ah, it was to difficult for you“, sagt die Lehrerin. – „Nein“, sagt Gandhi, „ich bin fertig.“ Null Fehler.

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    Begegnung in der Schule ist wichtig. In der Schule und im Kultopia, wo es um Werte geht, die im Unterricht nicht immer im Fokus stehen. Begegnung, die zuletzt so eingeschränkt war. „Wir haben gemerkt, wie sehr den jungen Menschen das gefehlt hat“, sagt Gandhi Chahine, „einige haben eine Depression. Man hat einfach gemerkt, dass so wenige in der Pandemie junge Menschen auf dem Schirm haben. Sie sollen doch unsere Zukunft sein. Aber ich muss doch mit ihnen daran arbeiten, wie diese Zukunft aussehen soll. Eine Zukunft, in der Bildungsgerechtigkeit realistisch ist. In der wir alle einen Platz haben. In der interreligiöse Begegnung eine Selbstverständlichkeit ist. In der das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft eine Perspektive hat.“

    Junge Hagener Demokraten

    Er schwört auf Haltung, auf Partizipation, auf Demokratie. „Aber Demokratie lebt von Demokratinnen und Demokraten. Demokratie ist kein Naturgesetz“, sagt Gandhi Chahine, „Menschen haben sich das einfallen lassen. Und genau die gleichen Menschen sind es, die sie auch wieder abschaffen können.“

    Rückweg. Bergab. Die Sonne strahlt. Als wir uns vor dem Kultopia verabschieden, sitzen sie da und strahlen, die jungen Demokraten, die Lichter dieser Großstadt. Junge Hagenern, denen Gandhi Chahine den Weg auf die Bühne des Lebens ebnet.