Hagen. Die Marktbrücke in Hagen könnte bald Simon-Cohen-Brücke heißen. Das Bauwerk soll Gedenkstätte werden und an das Schicksal der Juden erinnern.

Spätestens am 9. November 1938 änderte sich das Leben für die 679 Juden in Hagen schlagartig und radikal. Mit der Reichskristallnacht nahmen Unterdrückung und Verfolgung ein bis dahin auch in Hagen nicht gekanntes Ausmaß an. Das Schicksal der Familie Cohen steht dabei nur stellvertretend für die Schicksale vieler Familien jüdischen Glaubens und für die grausamen Taten, die verübt wurden.

Bis heute erinnert nicht einmal ein Stolperstein im Pflaster an die Cohens, die nach der Pogromnacht in die Schweiz auswanderten. Das soll sich auf Initiative der Künstlervereinigung „Kooperative K“ nun ändern.

Antrag der SPD in der Bezirksvertretung

Pogromnacht in Hagen war von langer Hand geplant

SA-Leute, Mitglieder der SS, Angehörige der Hitler-Jugend (HJ) aber auch Mitläufer zogen am 9. November 1938 durch Hagens Straßen.

Ausgangspunkt war die Gau-Führerschule im Hohenhof, in der die Nationalsozialistische Partei ihren Nachwuchs ausbildete. Hier trafen sich die Gruppen.

Die Aktionen waren von langer Hand geplant. Die Hagener Synagoge wurde geplündert. In Haspe und der Innenstadt wurden Juden verprügelt.

Bereits seit April 1933 wurden Juden systematisch schikaniert. Jüdische Beamten und Angestellten wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Juden wurden durch die Geheime Staatspolizei und die Einwohnermeldeämter erfasst.

Ein Antrag der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Mitte kann zum Fundament für eine Umbenennung der neuen Marktbrücke werden. Und gleichzeitig könnte er in einer Zeit, da in der Stadt über das Abhängen einer jüdischen Fahne und vermeintlich fehlende Solidarität mit den Juden und mit ihrer Gemeinde diskutiert wird, dafür sorgen, das jener Ort, an dem einst das Haus nebst Rossschlachterei der Familie stand, zu einer Stätte des Erinnerns und des Gedenkens wird.

Der Hagener Künstler Dietmar Schneider war es, der mit Slavica Stoltenhoff und dem Hagener Musiker Sascha Miskovic vor zweieinhalb Jahren ein gelbes Klavier im Rahmen des Projektes „Ein Klavier an der Volme“ auf eine Tour schickte. Ein Klavier, das an die Cohens erinnern sollte.

Klavier landet im Fluss

In diesem Haus lebte bis 1938 Simon Cohen mit seiner Familie. Er wurde aus Hagen vertrieben, das Gebäude im Krieg zerstört.
In diesem Haus lebte bis 1938 Simon Cohen mit seiner Familie. Er wurde aus Hagen vertrieben, das Gebäude im Krieg zerstört. © Stadtarchiv Hagen | Stadtarchiv Hagen

Denn: „In der Pogromnacht wurden seine Wohnung und seine Metzgerei durchsucht und verwüstet“, erzählt Dietmar Schneider, der in engem Kontakt zu einem Urenkel des Hagener Metzgermeisters steht, der noch heute in der Schweiz lebt und dort als Unternehmer tätig ist. „Möbelstücke landeten auf der Straße. Sein Klavier schließlich in der Volme.“ Cohen selbst wurde brutal verprügelt, schwer verletzt und starb später an den Folgen dieses Überfalls, an dem SA, SS und auch Kursteilnehmer der staatlichen Gauführerschule teils in Zivil beteiligt waren.

Die „Kooperative K“, in der sich Schneider engagiert, hat den Kontakt zur Politik gesucht, um die Umbenennung der Brücke und die Idee einer Erinnerungsstätte voranzutreiben. „Die Nachfahren der Familie und auch die jüdische Gemeinde in Hagen begrüßen den Vorschlag ausdrücklich“, so Dietmar Schneider. „Neben dem Gedenken an die Familie Cohen ist eine Umbenennung ein Zeichen gegen rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft. Zudem hat sie eine symbolische Bedeutung, um an die Ermordung und Vertreibung jüdischer Mitbürger zu erinnern.“

Brücke soll ein Mahnmal werden

Die neue Brücke, die im Herbst fertiggestellt sein soll, soll dem Wunsch der Künstlervereinigung nach ein Mahnmal werden. „Uns schwebt eine Dokumentation der Ereignisse vor, die sich 1938 abgespielt haben“, so Schneider. „In Hagen wurden diese Schicksale nur zum Teil aufgearbeitet.“ Dabei will die „Kooperative K“ den Blick nicht nur zurück, sonder auch nach vorne wenden. „Die Umbenennung der Brücke soll vermitteln, wie gefährlich Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung sind.“ Der Ort solle zum Innehalten anregen und gleichzeitig zum Nachdenken über Gefahren, die die Demokratie immer noch bedrohten.

Konkret kann sich die „Kooperative K“ vorstellen, das auf Informationstafeln im Bereich der Brücke beschrieben wird, was genau sich in Hagen in der Pogromnacht vor fast 83 Jahren ereignet hat. Daneben soll genau dokumentiert werden, welches Schicksal die Familie Cohen erleiden musste. Am Geländer der neuen Brücke schwebt der Initiative eine Installation vor, die die Namen aller 679 Juden beinhaltet (in lateinischer und hebräischer Schrift). Dabei könne der Fachdienst Wissenschaft, Museen und Archive eingebunden werden. All das könne kombiniert werden mit Bildungsangeboten für Hagener Schulklassen.

Politik unterstützt Idee

Bei der Politik scheint der Vorstoß auf offene Ohren zu stoßen. Die SPD-Fraktion um ihren Vorsitzenden Jörg Meier hat einen entsprechenden Antrag formuliert und das Thema somit auf die Tagesordnung der Sitzung am 9. Juni gesetzt. Dabei dient ein Fragenkatalog als Grundlage für Diskussion und Entscheidung. „Dieser aus der Bürgerschaft initiierte Vorstoß ist zu Begrüßen“, so Jörg Meier, „er könnte ein weiterer Beitrag für die notwendige Erinnerungs- und Gedenkkultur in Bezug auf die NS-Verbrechen in unserer Stadt sein.“