Hagen. In der Pogromnacht wird in Hagen die Familie Cohen von Nazis überfallen und enteignet. Ein Ur-Enkel will jetzt wissen, was wirklich passiert ist.

Es ist eine von unzähligen Gräueltaten. Es ist eine Gräueltat, an die aber nicht einmal ein blanker Pflasterstein im grauen Asphalt erinnert. Es ist eine Gräueltat, die für sich allein betrachtet die ganze Widerwärtigkeit eines Systems dokumentiert.

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Reichskristallnacht, 9. November 1938: Nazi-Schergen stürmen das Wohn- und Geschäftshaus am Hohen Graben 2., in dem der Metzgermeister Simon Cohen mit seiner Familie lebt. Sie erschießen zuerst den Hund, prügeln Cohen nieder, verletzen ihn schwer. Sie verwüsten die Wohnung und schmeißen das Klavier der jüdischen Familie aus dem Fenster hinaus in die Volme.

Tod ist Folge des grauenvollen Angriffs

Früher stand hier das Haus der Familie Cohen, die in der Reichskristallnacht von Nationalsozialisten überfallen wurde.
Früher stand hier das Haus der Familie Cohen, die in der Reichskristallnacht von Nationalsozialisten überfallen wurde. © WP | Michael Kleinrensing

Für den Schweizer Hartmut Blumenberg ist diese Gräueltat mehr als eine von vielen, die Nationalsozialisten an jenem Tag an Juden in Hagen und in ganz Deutschland verübt haben. Hartmut Blumenberg ist der Urenkel von Simon Cohen, dem Metzgermeister, der unmittelbar nach der Pogromnacht in die Schweiz floh und im Januar 1941 an den Spät-Folgen des Nazi-Angriffs starb. Ihn bewegt diese Gräueltat bis heute.

Und er kämpft um Aufklärung: Über das, was in jener Nacht geschah. Aber vor allem über das, was in den folgenden Jahren mit der Immobilie und dem Grundstück passierte, die über Umwege zunächst bei der Stadt landeten.

Familie wird enteignet - Haus fällt später an die Stadt

Fest steht: Die Familie von Simon Cohen wurde enteignet. Die Stadt Hagen gibt an, sie habe die Liegenschaft im Frühjahr 1939 von einem von der Bezirksregierung beauftragten Treuhänder erworben. Hintergrund sei die geplante Verbreiterung der Marktbrücke gewesen. 1954 wiederum sei das Grundstück an einen Privatmann veräußert worden.

Diese Aussagen decken sich nicht mit den Recherchen von Blumenberg, der davon ausgeht, dass die Stadt das Grundstück erst 1951 von einem Mann namens Emil Berges erwarb, der wiederum seit 1939 Besitzer des Hauses gewesen sein soll.

Familie hat Entschädigung erhalten

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Ganz gleich, welche Variante zutrifft – über all dem schwebt für Blumenberg die Frage: „Warum hat sich nach dem Krieg die Stadt nicht mit meiner Familie in Verbindung gesetzt? Es war bekannt, dass sie in die Schweiz geflohen war. Ihr waren Haus- und Grundstück ohne jede Rechtsgrundlage weggenommen worden.“

Es habe ja Kontakt zu den Nachkommen gegeben, argumentiert die Stadt. Sogar ein Vergleich sei mit einem bevollmächtigten Vertreter der Jüdischen Gemeinde Dortmund am 16. November 1951 geschlossen worden. Ergebnis: 62.500 D-Mark zahlte die Stadt an die Nachkommen. Zehn Jahre später aufgrund erneuter Verhandlungen noch einmal 12.000 D-Mark. All das gehe aus den Akten hervor.

Ur-Enkel hegt Zweifel an Ausgleichszahlungen

Diesen Vergleich aber zieht Hartmut Blumenberg in Zweifel: „Ich habe von der Stadt lediglich eine Abschrift der Abmachung erhalten, die keinerlei Unterschriften trägt. Ich wüsste auch nicht, dass tatsächlich jemals Geld an meine Familie geflossen ist. Ich habe mehrfach über verschiedene Behörden versucht, an das Original-Dokument zu kommen – ohne Erfolg.“ Für ihn bleiben viele Fragen offen: „Wer war wann der rechtmäßige Besitzer? Warum sind Haus und Grundstück nicht zurückerstattet worden? Durfte die Stadt in den 50ern Haus und Grundstück verkaufen?“ Und letztlich: „Wie will man rechtssicher belegen, dass eine Entschädigungszahlung überhaupt erfolgt ist?“

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Zumindest nicht mit einem unterschriebenen Vertrag. Denn den gibt es laut Auskunft der Stadt nicht mehr. Dafür ist man entschlossen, auf andere Art dafür zu sorgen, dass der nationalsozialistische Anschlag auf die jüdische Familie nicht in Vergessenheit gerät.

Überlegungen: Stolperstein an der Marktbrücke verlegen

So gibt es Überlegungen, die neue Brücke nach Simon Cohen zu benennen. Auch könnte ein Stolperstein verlegt werden, obwohl dies bislang immer nur für Menschen geschehen ist, die in Konzentrationslagern umgebracht wurden. Die Stadt hat versprochen sich jetzt, nach der Kommunalwahl, wieder mit Blumenberg in Verbindung zu setzen.

Der betont, dass es ihm bei all seinem Engagement, bei all den Nachforschungen nicht ums Geld gehe. „Wenn jemals eine Summe fließen sollte – ich würde sie spenden“, sagt Blumenberg, der in der Schweiz als Unternehmer tätig ist. „Ich möchte, dass die NS-Geschichte transparent aufgearbeitet wird. Eine Aufarbeitung umfasst für mich aber mehr, als Stolpersteine zu verlegen.“