Hagen. Kinderarmut ist in Hagen zu einem riesigen Problem geworden. In einigen Stadtteilen sind 50 Prozent der Kinder arm oder von Armut bedroht.

Mehr als jedes vierte minderjährige Kind in dieser Stadt lebt in ärmlichen Verhältnissen. Und die Dunkelziffer ist hoch: „Die tatsächliche Anzahl an Minderjährigen, die in Haushalten leben, deren finanzielle Situation dem Mindestsicherungsniveau entspricht, wird sogar noch höher sein“, heißt es in einem Konzeptpapier, das die Stadt Hagen jetzt vorgelegt hat.

Die Zahlen sind erschreckend: Von den insgesamt 12,93 Prozent aller Hagener, die auf Arbeitslosengeld-II-Leistungen angewiesen sind, sind 9.036 minderjährig. 33.567 Kinder und Jugendliche unter 18 leben in dieser Stadt. 26,92 Prozent sind von Armut gefährdet oder direkt betroffen.

In Wehringhausen, Haspe und Altenhagen fast die Hälfte betroffen

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In Wehringhausen/Villa Post (49,89 Prozent), Haspe-Zentrum (47,81), Altenhagen/Eckesey-Süd (42,92), Zentrum/Remberg (41,31) und Eckesey-Nord (37,29) liegt der Anteil der Minderjährigen in Armutsverhältnissen weit über dem Durchschnitt. Auch in Eilpe/Delstern/Selbecke (27,93), Vorhalle-Nord/Süd (25,2) und Henkhausen/Reh (20,02) liegt er überdurchschnittlich hoch.

„Diese Datenerhebung bestätigt leider nur die Vermutung, die wir vorher bereits hatten“, sagt Jugendamtsleiter Reinhard Goldbach. Zahlen, die schockieren. Aber auch Zahlen, „die nicht zu einem Datenfriedhof werden dürfen und sollen“. Denn die Stadt will das Problem gemeinsam mit Akteuren aus der Jugendhilfe und Bildungseinrichtungen angehen und die Situation für die Kinder verbessern. Das Projekt treibt Sonja Rack bei der Stadt voran – sie hat im Rahmen eines Förderprogramms eine Projektstelle angetreten, soll aber auch darüber hinaus im Bereich der Jugendhilfeplanung eingesetzt werden.

Ein Blick auf die Ursachen

Hagen: Teilnahme an Projekt des Gesundheitsministeriums

„Bisher fehlte die Zusammenführung der Daten, um diese alltäglichen Beobachtungen zu belegen und bedarfsgerechte Maßnahmen zu entwickeln“, heißt es in dem 172-Seiten-Bericht.

Aus diesem Grund hatte sich die Stadt um die Teilnahme am Projekt „Zusammen im Quartier – Kinder stärken – Zukunft sichern“ des NRW-Gesundheitsministeriums beworben.

Vom 1. Juni 2019 bis zum 31. Dezember 2020 führte die Jugendhilfeplanung das Projekt durch. 2019 fanden Workshops mit Experten in den fünf identifizierten Sozialräumen statt.

Ein Indikator, der das Armutsrisiko erhöht, ist laut Rack ein Migrationshintergrund. „Von allen in Hagen lebenden Kindern und Jugendlichen haben etwas mehr als 64 Prozent einen Migrationshintergrund.“ Eckesey-Nord ist mit knapp 90 Prozent Migrationsanteil der Sozialraum mit dem höchsten Wert. Von 547 dort lebenden Kindern und Jugendlichen haben 482 einen Migrationshintergrund. Aufgrund des vergleichsweise alten Wohnungsbestandes und entsprechend preiswerter Mieten, ließen sich insbesondere Zuwanderer aus Süd-Ost-Europa vielfach in den Sozialräumen nieder, die bereits als Sozialräume mit besonderem Handlungsbedarf bekannt sind – „was sich im Hinblick auf das Thema Armut sowohl auf die Zuwandernden als auch auf den Sozialraum negativ auswirkt“, betont Goldbach.

Ein weiterer Risikofaktor: Haushalte mit Alleinerziehenden. Insgesamt leben 4268 Alleinerziehende in Hagen. 18,99 Prozent aller Kinder und Jugendlicher wachsen bei einem alleinerziehenden Elternteil auf – ebenfalls verschärfend kann es sich auswirken, wenn die Familien sehr kinderreich sind.

Stadt arbeitet an einem Konzept

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Nach der Auswertung der Stadt rücken jetzt zunächst ganz konkret fünf Sozialräume in den Fokus, in denen die Kinder- und Jugendarmut besonders hoch ausgeprägt ist und für die der größte Handlungsbedarf besteht: Altenhagen/Eckesey-Süd; Wehringhausen-Ost/West/Villa Post; Zentrum/Remberg; Haspe-Zentrum sowie Eilpe/Delstern/Selbecke.

„Hier wollen wir mit verschiedenen Projekten gezielte Präventionsarbeit leisten, aber auch niederschwellige und aufsuchende Hilfsarbeit betreiben“, betont die Projektkoordinatorin. Vieles passiere bereits in den Stadtteilen. „Das hat sich in den Workshops gezeigt, die wir sowohl mit Kitas, Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen durchgeführt haben, bevor die Coronawelle die Stadt überrollte, aber auch ganz konkret in Gesprächen während der Krisenzeit mit betroffenen Familien“, blickt Rack zurück.

Verbesserte Spiel- und Freiflächen

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Jetzt wolle man im nächsten Schritt ein umfassendes Umsetzungskonzept ausarbeiten. Grobe Eckpunkte gibt es bereits: Unter anderem geht es dabei um die Ermittlung kommunaler Möglichkeiten/Förderprogramme zur Unterstützung des Ausbaus von Digitalisierung, verbesserte Spiel- und Freiflächen in den dicht bebauten Sozialräumen, eine bessere soziale Integration (saubere Spielplätze, Müllproblematik, Vermeidung entstehender Angsträume), oder die Entwicklung flächendeckender präventiver Angebote für Kinder und Jugendliche in den Bereichen Bewegung, gesunde Ernährung sowie Freizeitgestaltung.

„Wir wollen dafür auch in Zukunft Hand in Hand arbeiten mit den Akteuren aber auch der Politik, um die Situation für Kinder und Jugendliche in Hagen zu verbessern und ihnen die Chance auf ein gutes Leben in unserer Stadt zu bieten“, betont Sonja Rack.