Hagen. Vor zweieinhalb Jahren erklärte der Allgemeine Soziale Dienst in Hagen, in einer Krise zu stecken. Jetzt hat sich viel getan.

Zweieinhalb Jahre ist es her, dass die damalige Leiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Hagen einen Satz äußerte, der die Alarmglocken in der Stadtgesellschaft schrillen ließ. „Die Realität ist, dass wir uns von einer Krise in die nächste bewegen.“ Und das in der Verwaltungseinheit, in der es um das Wohlergehen der Kinder dieser Stadt geht. Was ist geschehen seitdem? Wurde angemessen reagiert? Die Antwort ist, dass viele Optimierungen erfolgt sind.

Auch interessant

Da stimmte was nicht. Jahrelang hieß es, dass die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Hagen erfreulich niedrig seien. Ein Beispiel: Beim Landesamt für Statistik waren in Hagen für 2017 insgesamt 155 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls gelistet. Zum Vergleich: Städte wie Herne (rund 156.000 Einwohner) oder Hamm (rund 180.000) wiesen in den vergangenen Jahren stets Fallzahlen zwischen 600 und 800 auf. Als die Politik in Hagen nachhakte, wurde klar: Es gibt große Strukturprobleme im zuständigen ASD. Es gab keine Software, die gesondert aufschlüsseln konnte, welche Maßnahmen aus bestimmten Fällen resultieren. Man konnte also nicht differenziert sagen, in wie vielen Fällen es zu Erziehungshilfen oder gar zu Inobhutnahmen kommt.

Hagen Inobhutnahmen
Hagen Inobhutnahmen © WP Hagen | Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW

Als sich die Bewertungsmaßstäbe ändern, steigen plötzlich die Fallzahlen in Hagen

Das Hagener Jugendamt betonte gegenüber der WESTFALENPOST in dieser Zeit mehrfach, dass die niedrigen Fallzahlen mit der Fähigkeit der Mitarbeiter zu tun habe, die Fälle sehr gut einschätzen zu können. Doch von 2017 auf 2018 waren die Meldungseingänge in Sachen Kindeswohlgefährdung in Hagen plötzlich um 435 Fälle gestiegen, weil „Bewertungsmaßstäbe“ verändert worden seien.

Auch interessant

Kritiker, die in Hagen in den sozialen Bereichen arbeiten, die Berührungspunkte mit dem ASD haben, bemängelten, dass man spüre, wie hoch der Kostendruck sei und dass auf diese intransparente Weise nicht nachgewiesen werden könne, wo Geld für Hilfen ausgegeben werde und wo das vielleicht auch unter dem Spardruck nicht geschehe.

In einer Stadt mit schwieriger Sozialstruktur und vielen Kindern in benachteiligten Familien

Die Personalsituation im ASD war angespannt. Hohe Mitarbeiterfluktuation. Auch wenn Nachbesetzungen schnell umgesetzt wurden, erforderten die Wechsel ein hohes Maß von Anpassungsfähigkeit der Kollegen. Dazu gab es viele Vertretungen von Mitarbeitern. Eine besorgniserregende Bestandsaufnahme in einem Bereich, wo darüber entschieden werden muss, ob das Wohl von Kindern gefährdet ist, ob sie ihre Familien verlassen müssen oder nicht. In einer Stadt mit schwieriger Sozialstruktur und vielen Kindern in benachteiligten Familien.

Auch interessant

Qualitätshandbuch erarbeitet

Zweieinhalb Jahre später ist vieles anders. Eine Beraterfirma für Sozialverwaltungen hat sich den Hagener ASD angeschaut. „Wir betrachten es sehr positiv. Die Optimierungen wirken. Wir befinden uns in keiner Krise mehr“, sagt Susanne Lossau, die in der Zwischenzeit die Leitung des ASD übernommen. Und sie sagt das mit dem Selbstbewusstsein einer Abteilungsleiterin, die nun viel mehr Transparenz schaffen kann.

Jetzt gibt es ein Qualitätshandbuch mit verbindlichen Abläufen von Schritten bei bestimmten Familiensituationen. Gut auch für Neueinsteiger. Am Tag einer Meldung gehen zwei Mitarbeiter mit einer Checkliste raus. Die kompletten Netzwerkstrukturen des Hagener Hilfen-Netzes sind nun erfasst, es gibt ein Fach-, Fall- und Finanzcon­trolling. ein dreimonatiges Controlling gegenüber der Kämmerei und durch ein Handbuch sehr passgenaue Hilfen.

Auch interessant

Viele Hinweise erreichen den ASD in Hagen direkt aus dem Nachbarumfeld. Müssen Kinder woanders untergebracht werden, dann ist eine 80-prozentige Unterbringung in Hagen jeweils das Ziel.

Hohe „Kostendämpfungspotenziale“ vorhanden

In 60 Prozent der Fälle, so erklärt Susanne Lossau, in denen man Hinweisen nachgehe, lägen in Hagen keine Kindeswohlgefährdungen vor. In den anderen 40 Prozent schon bzw. dort sind erzieherische Hilfen nötig.

Und der Kostendruck? „Das betrachten wir im Rahmen der Bedarfsprüfung angesichts unseres Zieles erstmal als zweitrangig. Es geht darum, die Kinder in die Herkunftsfamilie zurückzuführen“, so Lossau.

Um wie viel Geld es dabei auch geht, zeigt ein Rechenbeispiel: Gelingt es, dass durch die standardmäßige Prüfung der Rückführungsoption insgesamt pro Jahr fünf junge Menschen in Einrichtungen drei Monate früher die stationäre Einrichtung verlassen als nach vorherigem Standard, ergibt sich daraus bereits ein Kostendämpfungspotenzial von 374.000 Euro.

Die aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2019 zeigen: Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen steigt. Bundesweit 55.000 Fälle – zehn Prozent mehr als 2018. In NRW ein Plus von 14,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.