Hagen. Gabriele Brüggemann aus Hagen leidet an Frühdemenz. Die Sorge, was auf sie zukommen mag, quält die 70-Jährige.
Es ist nicht das Vergessen, vor dem Gabriele Brüggemann sich fürchtet. Es ist die Sorge vor dem, was auf sie zukommt.
Seit drei Jahren lebt die Hagenerin mit dem Wissen, dass ihr Gedächtnis, ihre Konzentration und ihre Orientierung nachlassen werden. Irgendwann. „Der Arzt sagt, es kann morgen passieren oder in 20 Jahren.“
Untersuchung in der Tagesklinik brachte bittere Diagnose
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Gabriele Brüggemann hat Frühdemenz. Das weiß sie, seit sie 2017 aus gesundheitlichen Gründen in einer Tagesklinik war. Bei einer Untersuchung fiel auf, dass sie erste Anzeichen einer Demenz aufweist. „Das war heftig. Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, erinnert sich die 70-Jährige an den Tag zurück, als sie die Diagnose erhielt. „Aber ich bin danach gut aufgefangen worden.“ Die Ärzte in der Klinik ließen sie mit dem Befund nicht allein, haben mit ihr gesprochen und Hilfe vermittelt.
Geahnt hatte sie vorher nichts. Zumindest nicht offensichtlich: Vor ihrem Ruhestand hatte sie zuletzt als Beiköchin in einer Großküche gearbeitet. „Wir mussten auch Telefondienste übernehmen, wenn die Sekretärin weg war. Das fiel mir damals schwer.“ Sie habe das auf den Stress geschoben oder mit Überforderung erklärt. „Damals wurde Personal abgebaut, die Strukturen im Betrieb haben sich verändert.“ Dass sich hier schon erste Anzeichen der Frühdemenz zeigten, wurde erst im Nachhinein deutlich.
Neue Lebensrichtung mit Yoga und Ergotherapie
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Seither hat sich die Richtung, die ihr Leben hatte, komplett verändert. „Ich habe immer sehr viel gearbeitet und mich um andere gekümmert“, sagt Brüggemann. „Heute kümmere ich mich um das, was mir selbst gut tut.“
So kam sie über die Tagesklinik zum Yoga und zur Ergotherapie. Beides Aktivitäten, die sie bis heute betreibt und die sie gerne macht. Zum Training geht sie zu Fuß, obwohl sie ein Auto hat. In Bewegung bleiben – ein Merkmal, das ihr neues Leben mit Frühdemenz auszeichnet.
70-Jährige will aktiv
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Sie wolle nicht in der Ecke sitzen und trauern, sondern lieber aktiv bleiben. „Ich mache inzwischen auch gerne Kreuzworträtsel. Das fällt mir heute leichter als früher.“ Mit dem Lesen hat sie dagegen aufgehört. „Ich musste zuletzt bei den Büchern immer erst ein paar Seiten zurückblättern, um zu wissen, wo ich mit dem Lesen aufgehört hatte.“
Im Alltag notiert sie dies und das auf kleine Zettelchen, als Erinnerungsstützen. Es sind diese kleinen Signale, an denen sich die Frühdemenz zeigt. Auffälligere Symptome hat sie nicht. „Ich bin froh, dass es mir so gut geht und möchte das Beste aus der Situation machen.“
Selbsthilfegruppe gibt es seit 2017
Seit Ende 2017 geht sie in die Alzheimer-Demenz Selbsthilfegruppe in Hagen. Gerne würde sie häufiger und mit mehr Menschen über ihre Erfahrungen sprechen. Aber schon kurz nach ihrer Diagnose hat sie gemerkt: Dieses Thema ist ein Tabu.
Bissige Sätze wie „Du gehörst in die Klapse“ musste sie von Freunden schlucken. Sätze, die schmerzen und die scheu machen. Von sich aus spricht sie das Thema Alzheimer deshalb nicht mehr an. „Es wird eben gerne ignoriert.“ Akzeptiert werde Alzheimer dagegen meist erst, wenn sich das Vergessen so deutlich zeigt, dass Feingefühl eine bissige Bemerkung verbietet. Umso wichtiger sei es, die Menschen für das Thema ernsthaft sprachfähig zu machen, findet die Hagenerin. Das Sprechen über die Sorgen, die Ängste und die Folgen der Demenz hätte ihr geholfen und könnte auch vielen anderen Betroffenen und Angehörigen helfen. „Es bringt nichts, wenn man sich verstellt.“
In Bewegung bleiben
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Bleibt die Frage, was sich jemand für die kommenden Jahre wünscht, der genau davor große Sorge hat. „Ich bin immer eine Einzelkämpferin gewesen und ich wünsche mir, dass das so lange wie möglich so bleibt.“ Sie versuche, jeden Tag aufs Neue offen anzugehen und dabei in Bewegung zu bleiben – körperlich wie geistig.