Hagen. Kerstin Blankenburg und Simone Hempel haben auch nach mehreren Fehlgeburten nicht aufgegeben und sich beide den Traum von einer Familie erfüllt.

Das gibt es doch nicht, sollte man meinen, dass eine Frau nach mehreren Fehlgeburten immer wieder schwanger wird, weil sie unbedingt ein Kind haben will. Das gibt es sogar öfter, als man denkt. Sie kenne eine Mutter, die sich nach vier Fehlgeburten nicht entmutigen ließ und dann ein gesundes Kind zur Welt gebracht habe, berichtet Kerstin Blankenburg (41): „Viele Frauen geben einfach nicht auf.“

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Kerstin Blankenburg darf das sagen, sie weiß, wovon sie spricht. Sie hat selbst zwei Totgeburten erlitten und sich doch nicht von ihrem Kinderwunsch abbringen lassen. Und wenn sie noch ein Kind verloren hätte oder sogar noch zwei: „Ich hätte es immer wieder versucht.“ Sie hat sich nicht beirren lassen von dem Gerede der Leute. Sie hat auf ihre innere Stimme gehört. Kerstin Blankenburg ist eine starke Frau.

Es passierte in der 30. Schwangerschaftswoche

Obwohl ein totes Kind im Bauch auch eine starke Frau ins Wanken bringt. Kerstin Blankenburg hatte schon eine Tochter und war mit dem Jungen in der 30. Schwangerschaftswoche, als sie keine Kindsbewegungen mehr wahrnahm. Ihr Mann, ihre Eltern versuchten sie zu beruhigen, aber als sie abends unter der Dusche stand, wusste sie es besser. Sie weinte bitterlich.

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Und als am nächsten Morgen der Wecker klingelte und das Baby in ihrem Bauch sich wieder nicht regte, obwohl es zuvor jedesmal auf das Geräusch des Weckers reagiert hatte, war das für sie nur eine Bestätigung. Am 22. Dezember 2005 um 17.20 Uhr kam ihr Sohn zur Welt, gestorben an Nabelschnurumschlingung, er trug einen Namen, er hatte himbeerrote Lippen, und immer, wenn Kerstin Blankenburg heute Himbeeren sieht, muss sie unweigerlich an ihn denken: „Es war ein wahnsinnig schönes Rot.“

Nabelschnur wird zum Verhängnis

Ein Jahr später war sie wieder schwanger, und diesmal hatte sie von Anfang an ein mulmiges Gefühl. Kann eine Mutter vorausahnen, dass etwas nicht in Ordnung sein wird? Diesmal war es ein Mädchen, wieder war dem Baby die Nabelschnur zum Verhängnis geworden.

Am 3. März 2007, genau ein Jahr nach dem errechneten Geburtstermin des verstorbenen Sohnes, kam die Tochter zur Welt. In der 19. Woche. „Die Kleine war so groß wie meine Hand. Ihre Haut war durchsichtig. Sie war winzig klein. Sie war klitzeklein. Sie war voll entwickelt. Sie war ein ganzer Mensch.“ Der Arzt machte ein Foto, es gehört zu den wertvollsten Dingen, die Kerstin Blankenburg und ihr Mann heute besitzen.

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Kerstin Blankenburg machte eine Psychotherapie und eine Kur. Der Boden war unter ihr aufgerissen und sie fiel. Sie fing sich. Sie wurde noch einmal schwanger und bekam einen Sohn. Sie hatte gekämpft für den Traum, den so viele von uns träumen: eine Familie, zwei Kinder, ein Reihenhaus, ein Garten, und quasi als Dreingabe Carlo, der Hund. Trotz der Narben auf ihrer Seele hat Kerstin Blankenburg ihr Glück gefunden.

Auch mit Simone Hempel (45) ging das Leben nicht zimperlich um. Sie war 2005 erstmals schwanger, auch sie träumte diesen Traum vom Glück mit zwei Kindern. Und so erzählte sie freudig allen Bekannten, sie sei schwanger, sie war stolz auf den Mutterpass, sie kaufte einen Schnuller, packte ihn ein und überraschte am Abend ihren Mann damit. Doch der Embryo entwickelte sich nicht, und in der zwölften Schwangerschaftswoche bekam sie einen Termin zur Ausschabung.

Das Kind bewegte sich nicht mehr

Sie erinnert sich, dass sie hinging in der Hoffnung, dass sich ihr Frauenarzt vielleicht doch getäuscht hatte und das Kind lebte. Sie erinnerte sich, dass der operierende Arzt nach dem Eingriff zu ihr kam und ihr mitteilte, er habe alles entfernt, dass sie Blutungen bekam und noch einmal operiert werden musste und dass sie nie erfuhr, was mit ihrem toten Kind geschah. „Ich habe das mit mir selber ausgemacht. In meinem Bekanntenkreis wurde es unter den Teppich gekehrt. Mein Mann war natürlich traurig, aber für einen Mann ist es ja doch etwas anderes als für die Frau.“

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Ein Jahr darauf wurde Simone Hempel wieder schwanger, ihr Sohn, der heute 13 Jahre alt ist, kam per Kaiserschnitt zur Welt. Sie wollte es nochmal versuchen, sagt sie, das war 2010, und bis zur 30. Schwangerschaftswoche sei ja alles gut gegangen, aber dann blieben die Kindsbewegungen aus. Sie habe es zunächst nicht wahrhaben wollen, sie habe keine bösen Gedanken gehabt, sagt Simone Hempel, sie habe auch keine Angst gehabt. Ein Junge, sie würde nochmals einen Jungen bekommen.

Es geschah eher beiläufig, dass sie ihren Kollegen am Arbeitsplatz erzählte, das Kind rege sich nicht mehr, und diese sie umgehend zum Arzt schickten. „Ich weiß noch, wie ich mit meinem dicken Bauch im Wartezimmer saß, und dass mich dann der Arzt untersuchte und nichts sagte, ganz lange nichts sagte, und da wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert war. Ich glaube, ich habe geschrien und geweint, und dann habe ich meinen Mann angerufen, und er hat ganz fürchterlich angefangen zu schreien. Und dann hat er mich abgeholt.“

Hebamme nimmt Fußabdruck

Noch am selben Abend kam sie ins Krankenhaus, die Geburt wurde eingeleitet, zwei qualvolle Nächte lang musste sie warten und hoffte die ganze Zeit über, dass das Kind vielleicht doch leben würde, obwohl das Herzsymbol auf dem Wehenmesser durchgestrichen war, was sich einbrannte in ihre Erinnerung. Vorher sei sie sich nicht im Klaren darüber gewesen, ob sie den Anblick ihres toten Babys würde ertragen können, aber dann wickelte die Hebamme es in ein Handtuch und zeigte es ihr, machte zwei Fotos und einen Fußabdruck, das war gut, denn in einem Holzrahmen in der Vitrine ist ihr Sohn noch immer bei ihr.

Verlorene Kinder sind Teil der Familie

Verlust und Trauer leben zu dürfen – das ist das vielleicht größte Bedürfnis, das Eltern haben, deren Kind im Mutterleib verstorben ist. „Die verlorenen Kinder müssen einen Platz im Leben der Familien bekommen“, sagt Pfarrer Jürgen Krullmann.

Es wird geweint und gelacht

Krullmann betreut den Gesprächskreis „Sternenkinder“ in Hagen, in dem sich Eltern, die ihr Kind vor, während und nach der Geburt oder in der ersten Lebenszeit verloren haben, zusammenfinden.

Vor allem den Müttern sei es sehr wichtig, dass sie die gemachten Erfahrungen mit anderen Frauen, die das gleiche Schicksal erlebt haben, teilen könnten: „Der Gesprächskreis ist ein Ort, an dem auch Gefühle hochkommen dürfen. Es wird viel geweint und gelacht.“

Oftmals sei es für die Betroffenen von Bedeutung, wenn bei der Geburt Fotos oder Fingerabdrücke der totgeborenen Kinder gemacht würden. „Das hilft bei der Trauer.“ Dies sei umso wichtiger, da ja nur wenige Erinnerungen an die Kinder bestehen würden.

Gottesdienst für verstorbene Kinder

An jedem zweiten Sonntag im Dezember ist der „Worldwide Candle Lightning Day“. Diesen feiern die Mitglieder des Gesprächskreises in der Pauluskirche in Wehringhausen um 16 Uhr mit einem Gottesdienst für verstorbene Kinder.

Das Ungeborene war an einer Entzündung gestorben, die nächste Fehlgeburt war eine Eileiterschwangerschaft, bei der Simone Hempel selbst in Gefahr geriet, weil sie ihre Bauchschmerzen ignorierte und nicht zum Arzt ging, und als sie es endlich tat, war der Eileiter geplatzt und der Bauchraum voller Blut. Sie kam davon, sie hatte wohl einfach nicht wahrhaben wollen, dass wieder etwas schief gehen könnte. Und obwohl von vier Schwangerschaften nur eine einen guten Ausgang genommen hatte, habe sie es noch einmal versuchen wollen, sagt Simone Hempel, der Kinderwunsch war stärker und unbedingter als all die schrecklichen Erlebnisse.

Nach Schicksalsschlägen auch Glücksmomente

Die nun folgende fünfte Schwangerschaft inklusive Blasenentzündung, Sturz, Klinikaufenthalten und Verdacht auf Nierenentzündung sei der Horror gewesen, sagt sie. Zwei Wochen vor dem errechneten Termin war sie so fix und fertig, dass sie die Geburt einleiten ließ: „Weil ich nicht mehr konnte, ich war psychisch am Ende.“

Doch das Leben schlägt die seltsamsten Kapriolen. Ihr zweiter Sohn kam per Spontangeburt quietschfidel zur Welt, und auch wenn sie nach all den Schlägen, die ihr das Schicksal verpasst hatte, nicht so recht realisieren konnte, dass es nun gut und vorbei war, so habe sie doch ein glückliches Gefühl durchströmt.

Viele Leute hätten ihr gesagt, dass sie das Schicksal doch nicht herausfordern solle und nicht mehr schwanger werden dürfe, aber das wäre nicht ihr Leben gewesen, sagt Simone Tempel. Und dass sie es immer wieder so machen würde.