Hagen. Elfi Nsukami aus Hagen hat Depressionen und will sich das Leben nehmen. Ein Nerv-Stimulator hilft ihr jetzt. Vom Leben und einem Pakt mit Gott.
Sie hat einen Pakt geschlossen. Nicht wie einst Faust mit dem Teufel. Einen Pakt mit dem lieben Gott. Und dieser Pakt sieht so aus: Zeig du mir einen Weg, wie ich mit meiner Krankheit leben kann, und ich bleibe so lange hier auf der Erde, bis auch die letzte medizinische Möglichkeit ausgeschöpft ist.
Beide haben sich bislang an ihren Teil der Verabredung gehalten: Elfi Nsukami, 41 Jahre alt, hat seit jenem Tag im Jahr 2017 nie wieder versucht, sich das Leben zu nehmen. Und der liebe Gott hat – in enger Kooperation mit den Medizinern des St.-Johannis-Hospitals in Boele – der zweifachen Mutter schließlich doch noch einen Weg aufgezeigt, wie sie trotz ihrer schweren Depression ein zufriedenes, ein glückliches, ein ausgeglichenes Leben führen kann.
Wieder Freude am Leben
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Ärzte haben ihr einen Vagusnerv-Stimulator eingesetzt. Ein Gerät, das alle fünf Minuten für 30 Sekunden einen Impuls ausstrahlt und dafür sorgt, dass sogenannte Transmitter ausgeschüttet werden.
Und so sagt Elfi Nsukami Sätze wie diesen: „Heute ist ein richtig guter Tag. Ein Tag, an dem ich einige sehr nette Menschen getroffen habe. Zum Beispiel im Zug einen Schaffner, der ein Auge zugedrückt hat, obwohl ich vergessen hatte, ein Zusatzticket zu lösen.“ Elfi Nsukami kann sich an den kleinen Dingen erfreuen. Sie empfindet wieder Freude an ihrem Leben.
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An einem Leben, das vor 41 Jahren in der ehemaligen DDR begonnen hat, das geprägt wurde durch eine Kindheit in Armut, verbunden mit Misshandlungen, mit sexuellem Missbrauch, mit Zeiten, in denen sie im Frauenhaus aufgewachsen ist. „Meine Mutter war fünfmal verheiratet, vier Ehen habe ich mitgemacht“, sagt Elfi Nsukami, „nicht alle Männer waren nett zu mir. Mein Stiefvater war Alkoholiker.“
Rückblick auf eine schreckliche Zeit
„Betroffene können geheilt werden“
Seit letztem Jahr bietet Dr. Philipp Görtz, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Johannis-Hospital, die Vagusnerv-Stimulation an. Es gibt in Deutschland nur wenige Kliniken, die diese Therapie für Betroffene ermöglichen. Die Operationen werden in der Klinik für Gefäßchirurgie durchgeführt. Das Verfahren ist von jeder gesetzlichen und privaten Krankenkasse anerkannt, die Kosten von 15.000 bis 20.000 Euro werden zu 100 Prozent übernommen. Über die Behandlungsmethode sprach unsere Zeitung mit dem Mediziner.
Wie genau funktioniert ein Vagusnerv-Stimulator?
Ein VNS-Stimulator hat die Größe und das Aussehen eines Herzschrittmachers. Er sendet nicht wahrnehmbare elektrische Impulse an den Vagusnerv. Der Vagusnerv ist ein wichtiger Nerv, der zwischen dem Körper und den inneren Organen vermittelt. Die elektrische Reizung durch den VNS-Stimulator kann dem Gehirn somit ein körperliches „Wohlgefühl“ vermitteln, dieses führt dann im Gehirn zu der Bildung von körpereigenen antidepressiven Botenstoffen. Diese können dann wirksamer als Medikamente sein.
Wann wird diese Methode angewandt?
Die Methode darf angewendet werden bei sogenannten „Therapieresistenten Depressionen“. Betroffene müssen vorher schon verschiedene psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungsversuche ohne dauerhafte Wirkung unternommen haben. Die Indikation wird nach klaren Kriterien gestellt.
Was bringt eine solche Stimulation für die Betroffenen?
Betroffene können durch diese Therapieoption von Depressionen dauerhaft geheilt werden. Dieses kann die Lebensqualität erheblich verbessern und vor Suizidalität schützen. Oft ist es auch möglich, Medikamente zu reduzieren und im Verlauf abzusetzen. Wie bei allen Therapieverfahren gibt es jedoch auch hier leider keine 100-prozentigen Erfolgschancen. Die Erfolgsquote einer Besserung liegt jedoch bei 70 bis 80 Prozent.
Sind parallel weitere Behandlungen notwendig?
Parallel erfolgt eine weitere psychiatrisch/psychotherapeutische Betreuung. Diese wird individuell angepasst, dabei kann es sich um psychotherapeutische und medikamentöse Verfahren handeln.
Wie lange bleibt ein solcher Stimulator im Körper?
Der VNS-Stimulator bleibt wie ein Herzschrittmacher dauerhaft im Körper. Nach acht bis zehn Jahren kann er ausgetauscht werden, da dann die Lebensdauer der Batterie erschöpft ist.
Die Folge: Elfi Nsukami leidet an einer schweren Depression, sie hat Borderline, Ärzte haben eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Das alles ist ein Mix aus Krankheiten und Belastungen, den sie lange nur schwer verkraften konnte. Elfi Nsukami wollte nicht mehr leben. Selbstmordgedanken kamen auf. Wieder und immer wieder. „Dabei drehte sich alles nur um mich“, sagt sie, „ich habe nie darüber nachgedacht, was es zum Beispiel mit meinen Kindern machen würde, wenn ich mich umbringe.“
Über Jahre fühlte sie sich wie lebendig begraben. „Ich bin ja eigentlich eine lebensfreudiger Mensch. Ich habe immer gedacht: Das bin doch gar nicht ich“, versucht sie ein Phänomen zu beschreiben, das sich eigentlich gar nicht beschreiben lässt. „Es gab Tage, da haben mich selbst meine eigenen Kinder nicht interessiert. Es gab nichts, das mich emotional berührt hat. Die Depression und tägliche Selbstverletzungen – das war der Alltag.“
Alles dreht sich um Suizid
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Die Gedanken kreisten nur noch um den Suizid. „Ich habe über den Tod nachgedacht, über die Art, auf die ich mir selbst das Leben nehmen wollte“, sagt Elfi Nsukami, „fest stand für mich eigentlich nur: Ich wollte niemand anderen in Mitleidenschaft ziehen. Und die Kinder sollten es nicht unmittelbar mitbekommen.“
Einmal wollte sie jenes Vorhaben, das ihr Leben bestimmt, in die Tat umsetzten. „Eigentlich war es aus einem Affekt heraus, aus einer Krisensituation. Es gab Streit in der Familie, ich war völlig überfordert“, sagt Elfi Nsukami, „ich habe Tabletten geschluckt – so viele, dass ich dachte, es würde reichen.“
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Es reicht aber nicht. Eine Freundin bringt Elfi Nsukami in die Klinik. Und am Ende passiert nichts. „Ich habe mich nur müde gefühlt.“ Und dennoch wird dieser erste und einzige Selbstmordversuch zu einem Wendepunkt in einem Leben, das noch nicht enden sollte. Es ist der Anlass für den Pakt mit dem lieben Gott. „Ich bin ein sehr gläubiger Mensch“, sagt Elfi Nsukami, „der Glaube hat mir in all den Jahren Kraft gegeben.“
Die Musik hält sie am Leben
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Der Glaube und die Musik. Denn Elfi Nsukami meldet sich schon als Neunjährige selbst in einer Musikschule an. Sie singt, sie spielt Geige, Trompete und Klavier. Sie studiert später Musik und Deutsch auf Lehramt. Hat schon gemeinsam mit ihrer Tochter auf der Bühne des Stadttheaters Hagen gestanden, wird für Auftritte mit dem Kammerorchester gebucht, gibt selbst Musikunterricht. „Die Musik hat mich immer am Leben gehalten.“
An ihre Seite ist jetzt noch Frieda gerückt – ein blinder Cocker Spaniel aus dem Tierschutz. „Ein Hund gibt meinem Tag Struktur“, sagt Elfi Nsukami, die der psychiatrischen Ambulanz am Johannis-Hospital angeschlossen ist und so jederzeit auf Rat und Hilfe zurückgreifen kann, „er schläft gern lang. Das ist doch perfekt für jemanden, der an Depression leidet.“
Ein Witz. Elfi Nsukami lächelt. Und auch dieses Lächeln hilft ihr, ihren Teil des Paktes einzuhalten.