Hagen. Nach drei Schwangerschaften drohte Christine Wröbel den Kampf gegen die Kilos zu verlieren. Doch sie fand einen medizinischen Ausweg.

Dass sie unter 100 kg wog, ist lange her. Gertenschlank war Christine Wröbel auch in jungen Jahren nicht. Als sie mit 20 ihren heutigen Mann kennenlernte, wog die 1,66 Meter große Frau auch schon 80 kg. „Aber ich war nicht sooo übergewichtig“, erzählt die 44-Jährige heute.

Doch mit der wachsenden Liebe schwand auch der Ehrgeiz, auf das andere Geschlecht besonders attraktiv wirken zu wollen. „Wir wurden beide etwas gemütlicher. Er hat auch gerne gegessen“, erinnert die gebürtige Oberschlesierin sich an einen Polen-Urlaub bei der Familie. „Danach ist die Waage explodiert“, versucht sie gar nicht erst den Fehler bei anderen zu suchen – von Nichts kommt Nichts.

Probleme mit der Schilddrüse

Christine Wröbel wog nach ihren Schwangerschaften mehr als 130 Kilo.
Christine Wröbel wog nach ihren Schwangerschaften mehr als 130 Kilo. © Christine Wröbel

Es folgten viele Vorsätze, aber wenige Taten und noch weniger Effekte: „Alles drehte sich bloß noch ums Essen. Ich habe morgens beim Frühstück schon überlegt, was wir mittags essen.“ Als die gelernte Kinderpflegerin mit 22 mit ihrer ersten Tochter schwanger wurde, wuchs ihr Körpergewicht von 100 auf 115 Kilo. Auch nach der Geburt nahm sie nicht wesentlich ab, zumal sie noch Schilddrüsenprobleme hinzukamen. Die 120-Kilo-Marke riss sie zwei Jahre später mit ihrer zweiten Schwangerschaft. „Gleichgültig war mir das nie. Schließlich wird man überall angeglotzt. Egal was man anhatte, man wird stets beobachtet, wenn man bloß ein Eis isst. Das hat mich natürlich schon gestört, aber man sagt sich nie: Mein Gott, siehst du fett aus – bist du doof?“

Zwar stürzte sie sich in Diäten, besuchte Abnehmgruppen, versuchte Sport zu machen, aber nach drei bis vier Monaten zerstörte die nächste Familienfeier das Wenige, was sie sich mühsam von den Rippen gehungert hatte. „Ich fiel immer zurück in den alten Trott. Es hat einfach nicht Klick im Kopf gemacht.“

Als mit 27 Jahren ihr Sohn zur Welt kam, zeigte die Waage mehr als 130 kg. „Da lässt man sich gehen.“ Wieder folgten Lügen, dass danach alles besser werde, obwohl sie es eigentlich besser wusste. „Wenn man vor dem Spiegel steht, sagt man sich: So schlimm ist es doch gar nicht, es gibt noch Schlimmere.“ Der verzweifelte Vergleich mit noch korpulenteren Menschen als Trost.

Ansprechpartner rund um die Uhr

Mehr als 2000 Betroffene suchten bisher Rat und Hilfe im Adipositas-Zentrums im Hasper Krankenhaus. Etwa 400 Operationen pro Jahr werden an schwer adipösen Patienten durchgeführt.

200 dieser Eingriffe dienen der Magenverkleinerung. Die anderen 200 OPs sind meist internistische Eingriffe, die bei schwer adipösen Menschen auch besondere Risiken bergen und besondere OP-Verfahren und OP-Ausstattung erfordern.

365 Tage ist rund um die Uhr ein spezialisierter Facharzt für Adipositaschirurgie in Haspe vor Ort. Denn das größte Risiko für den Patienten ist nicht die OP, sondern eine spätere Komplikation, die zu Hause auftritt.

Lebenslang bleiben die Patienten nach einer Magenverkleinerung zur jährlichen Kontrolle im Adipositas-Zentrum. Zudem stehen zahlreiche Selbsthilfegruppen den Betroffenen in Hagen und Umgebung zur Verfügung.

„Gestört hat mich das immer. Beispielsweise, wenn Hochzeiten waren und ich nicht das anziehen konnte, was ich wollte. Man wurde immer komisch angeguckt.“ Natürlich hat sie die Blicke gespürt und das Geläster gehört. „Guck mal, wie fett die sind und die müssen immer noch fressen“, erinnert sie sich an das schmerzliche Getuschel im Café. „Aber das sagt einem niemand ins Gesicht.“

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Letztlich die Zäsur: Bei Christine Wröbel wird ein Magentumor diagnostiziert, der entsprechend operiert werden muss. Für die 44-Jährige, die angesichts ihres Gewichts inzwischen bereits an Knieproblemen leidet, der entscheidende Anstoß, grundsätzlich die Reißleine zu ziehen und sich mit dem Eingriff einer Magenverkleinerung zu beschäftigen. Zwar wiegt sie zu diesem Zeitpunkt „nur“ noch 120 Kilo, aber aufgrund ihrer Schilddrüsenerkrankung tritt sie gewichtsmäßig bei allen Abnehmbemühungen auf der Stelle.

Nach einem Löffel satt

Schließlich wird bei ihr im Sommer 2019 der Eingriff vorgenommen: „Nach einem Löffel Joghurt war ich satt – das Hungergefühl ist weg, man hat den ganzen Tag den Eindruck, nicht essen zu müssen. In den ersten sechs Wochen habe ich 15 Kilo abgenommen, ich konnte kaum glauben, was da passiert. Ich dachte, an der Waage sei etwas manipuliert worden.“ Bereits zu Weihnachten hat sie die magische 100-Kilo-Schwelle unterschritten, heute wiegt sie 93 Kilo. Und sie hat noch Ambitionen: „Bis 75 Kilo soll es schon noch gehen, so viel habe ich zuletzt als Teenie gewogen.“

Hasper bieten ganzheitliche Hilfe an

Das Adipositas-Zentrum im Ev. Krankenhaus Hagen-Haspe ist in Hagen und im Sauerland das einzige Zentrum, das von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein und Viszeralchirurgie (DGAV) als „Kompetenzzentrum für Adipositaschirurgie“ zertifiziert wurde. Dr. Claas Brockschmidt, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Mops, bietet mit einem interdisziplinären Team ganzheitliche Hilfe für Menschen mit krankhafter Fettleibigkeit.

Im Hasper Krankenhaus besteht das Team des zertifizierten Adipositaszentrums aus drei spezialisierten Fachärzten für Adipositaschirurgie, einem Expertenteam für Diabetes, Hypertonie, Herz- und Gelenkerkrankungen, Ökotrophologie (Ernährungsberatung), einem spezialisiertem Psychiater, examinierte Pflegekräfte und Physiotherapeuten sowie weiteren Experten. Mit „Adipositaschirurgie“ sind chirurgische Eingriffe zur Bekämpfung der krankhaften Fettleibigkeit gemeint. „Eine Operation reduziert nicht automatisch das Gewicht“, betont Dr. Brockschmidt. Deshalb ist die Operation eingebettet in ein Gesamtkonzept von Ernährungsberatung, Bewegungstherapie, psychologischer Beratung und Teilnahme an einer Adipositas-Selbsthilfegruppe.“

Krankhaft fettleibige Menschen haben einen sehr langen Leidensweg hinter sich. Zahlreiche Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Gelenkverschleiß machen zusätzlich Probleme. Daher betont unter anderem die Deutschen Adipositas-Gesellschaft, dass für die Nachsorge eine besondere Sorgfalt nötig ist. Dazu gehören zum Beispiel die Anpassung der Medikation bei Begleiterkrankungen, das Screening psychischer Erkrankungen sowie das Erkennen von Komplikationen und die Einleitung entsprechender Interventionen. Diese lebenslange Nachsorge findet im Ev. Krankenhaus Hagen-Haspe statt.

„Mir geht es inzwischen richtig gut, ich würde es immer wieder machen. Man hat ein ganz anderes Lebensgefühl. Man steht auf, ist fitter, hat mehr Energie, auch bei der Arbeit.“ Für Christine Wröbel gibt es keine Ausreden mehr. Ihr Blick auf korpulente Menschen hat sich verändert: „Das ist alles Kopfsache.“

Auch die Partnerschaft mit ihrem Mann hat sie neu entdeckt. Mit zunehmendem Gewicht war auch sexuell mit ihrem Mann nicht mehr viel gelaufen. Doch mit dem Purzeln der Kilos ist die Lust aufeinander zurückgekehrt. „Ich habe diese körperliche Nähe durchaus vermisst.“ Heute ist sie mit ihrem Mann viel mehr unterwegs, auch in der Woche nach der Arbeit. Wandern, bummeln, runter von der Couch. Zuletzt genoss das Paar die Hansestadt Hamburg bei einem Wochenendtrip 40 Kilometer zu Fuß – ein echter Zugewinn.“ Das Geld für üppige Lebensmitteleinkäufe fließt längst in andere Kanäle.

„Heute bin ich kein Tuschel-Thema mehr für andere.“ Gleichzeitig betont sie ausdrücklich, dass der Eingriff an ihrem Magen keine Schönheits-OP gewesen sei: Man müsse an dem Thema weiter arbeiten und diszipliniert bleiben, sonst habe dieser Weg kein Ziel.