Hagen. . In Großbritannien leben sehr viele Rumänen und Bulgaren. Was machen sie nach dem Brexit? In Hagen gibt es Befürchtungen.
Die Wirren rund um den Brexit werfen viele Fragen auf. Auf eine davon gibt es noch keine Antwort: Wird Hagen einen verstärkten Zuzug von rumänischen und bulgarischen Bürgern erleben, wenn Großbritannien die Europäische Union verlässt? Fast 400.000 von ihnen leben auf der Insel.
„Eine kurzfristige erhebliche Steigerung der Zuwanderung ist nicht zu erwarten“, lautet die offizielle Einschätzung der Stadt Hagen. Die inoffizielle von Beschäftigten in der Verwaltung, die sich mit der EU-Zuwanderung in Hagen beschäftigen – das ist das Ergebnis von mehreren Gesprächen mit dieser Redaktion – ist dagegen eine andere. Sie rechnen mit einem massiven Zuzug, wenn die innerhalb der EU geltende Freizügigkeit nicht mehr für Großbritannien gilt – zumal in den Jahren 2016 und 2017 Rumänen und Bulgaren aus Hagen in Richtung Großbritannien abgewandert sind. Man fürchte, dass man zurück in Anfänge der Zuwanderung geworfen würde. Was ist richtig?
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1. Warum könnte Hagen von starker Zuwanderung betroffen sein?
Schon jetzt leben viele rumänische und bulgarische Staatsbürger in Hagen. Rund 4900 sind es aktuell. Die Zuwanderergruppe ist im Durchschnitt erheblich jünger als die übrige Hagener Bevölkerung und hat überdurchschnittlich oft einen Minijob, der den Zugang zu Hartz IV ermöglicht. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Sozialausgaben und das Bildungssystem. Konkret: Es braucht mehr Schul- und Kita-Plätze. Die Fluktuation ist groß. Knapp die Hälfte ist kürzer als zwei Jahre hier. In Großbritannien – so eine Studie der EU – leben 78.000 bulgarische und 308.000 rumänische Bürger, die die Freizügigkeit in der EU nutzen.
2. Dürfen EU-Bürger nach dem Brexit in Großbritannien bleiben?
Nach allem, was man bislang weiß: zunächst ja. Sam Cox, Sprecher des Brexit-Ministeriums in London, versichert der WP, dass Großbritannien allen EU-Bürgern, die am Brexit-Tag im Vereinigten Königreich leben, ein Bleiberecht einräumen will – mit oder ohne Vertrag mit der EU. Nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts können Unionsbürger einen dauerhaften Aufenthaltsstatus („settled status“) erwerben. Ob die Mehrzahl der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien diese Bedingung erfüllen können, ist aber ungewiss.
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3. Wohin werden sie gehen, sollten sie nicht in Großbritannien bleiben dürfen?
Das ist völlig unklar. Aber es gibt Befürchtungen in Hagen. Beispiel Toflea. Schon jetzt leben etwa 500 Bürger aus diesem rumänischen Dorf in Hagen. Der dortige Bürgermeister weiß zu berichten, dass ebenfalls eine große Zahl von Bürgern aus Toflea nach Großbritannien ausgewandert sei. „In den Fällen, in denen Verwandte oder Bekannte bereits in Hagen sind, könnte dies auch zu einer Zuwanderung nach Hagen führen“, so Stadtsprecher Kaub. „Eine konkrete Zahl ist aber nicht zu ermitteln.“
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Auch nicht auf übergeordneter Ebene: Die Bundesregierung, so erklärt ein Sprecher, habe zu den Wanderungsabsichten keine Befragungen durchgeführt. Das NRW-Integrationsministerium hat sich des Themas ebenfalls noch nicht angenommen: „Uns ist derzeit nicht bekannt, ob und wohin in Großbritannien lebende Rumänen und Bulgaren nach dem Brexit gehen werden“, so Sprecher Fabian Götz. Und eine Sprecherin der EU-Kommission sagt: „Wir wollen wegen der völlig unklaren Brexit-Situation nicht spekulieren.“
4. Können Städte wie Hagen Hilfe von Bund, Land und EU erwarten?
„Nein“, ist die kurze und knappe Antwort von Stadtsprecher Michael Kaub. Informationen und Unterstützung zum Thema EU-Zuwanderung nach dem Brexit gebe es derzeit weder vom Bund noch vom Land. Das bestätigen auch Düsseldorf und Berlin. Der Bund verweist lediglich darauf, dass man ja gesetzliche Möglichkeiten geschaffen habe, um einen Missbrauch der Freizügigkeit und der Sozialsysteme zu verhindern. Kontrollieren müssten das vor Ort aber Stadt und Jobcenter. Und die EU verweist darauf, dass man speziell in Hagen ja Projekte zur Integration finanziere: Aufgeführt werden zwei Sprachkurs-Programme.
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5. Bemerken Praktiker in der Beratung schon eine Veränderung? Nein, sagt Carla Warburg, Fachdienstleiterin für Integration beim Caritasverband Hagen. „In den Beratungsstellen für Menschen aus Südosteuropa haben wir keine konkreten Anzeichen dafür, dass es vermehrt Zuzüge aus Großbritannien nach dem Brexit geben wird.“ In den Beratungen tauchten bislang auch nur sehr wenig Menschen auf, die über Großbritannien eingereist seien. Generell hofft sie auf mehr Unterstützung: „Wünschenswert wäre, wenn das derzeit durch EU-Mittel finanzierte BiBer-Projekt – ein Bildungs- und Beratungsangebot für EU-Zuwanderinnen und deren Kinder – zu einem Regelangebot in dieser Stadt wird.“