Hagen. In Hagen leben derzeit 27 898 Menschen von Hartz IV. Wie viele erschleichen sich die Leistungen des Jobcenters? Und was tut die Behörde?

Die Einschätzung stammt aus einem internen Bericht der Bundesagentur für Arbeit: Hagen ist deutschlandweit eine von sieben Hochburgen, wenn es um Hartz-IV-Betrug durch organisierte Banden bei der EU-Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien geht – die WP hatte darüber im März berichtet. Scheinbeschäftigungen, die erst den Zugang zum Sozialsystem ermöglichen, sollen eine Masche sein. Das Einschleusen von Menschen, die nur für Behördentermine von Rumänien nach Deutschland gebracht werden, eine andere. Doch was steckt tatsächlich hinter dieser Einschätzung?

Zahl der Hartz-IV-Bezieher

In Hagen leben derzeit 27 898 Menschen von Hartz IV. Und zwar in 12 853 Bedarfsgemeinschaften – eine solche ist zum Beispiel eine Familie. 2572 Hartz-IV-Bezieher kommen aus Südosteuropa, sie machen also 9,2 Prozent aller Bezieher in Hagen aus (1856 aus Rumänien, 716 aus Bulgarien). Auffällig ist: Die Zahl der Menschen, die in einer Bedarfsgemeinschaft rumänischer Staatsbürger wohnen, ist im Durchschnitt mit 4,82 Personen mehr als doppelt so hoch wie im Schnitt aller Hartz-IV-Familien in Hagen ( 2,17 Personen). Bei bulgarischen Familien sind es drei Personen. Grund: Die Zuwandererfamilien sind meistens kinderreicher.

Betrugs-Dimensionen

Die allermeisten Hartz-IV-Bezieher verhalten sich korrekt. „Wenn man die Gesamtzahl der Anträge sieht, ist die Zahl derer, die auf Leistungserschleichung aus sind, gering“, sagt Jobcenter-Chefin Andrea Gebhardt. Schaut man auf alle 12 853 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, dann hat das Team Ordnungswidrigkeiten des Jobcenters 749 Fälle im Jahr 2017 bearbeitet. Davon wurden 220 Verfahren an den Zoll und 38 Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben.

Die allermeisten Fälle, bei denen Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien (zusammen 623 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften) davon betroffen waren, haben sich aus den Vor-Ort-Kontrollen von Stadt, Polizei und Jobcenter in den Zuwandererhäusern ergeben. Bei 18 dieser Termine in 153 Immobilien gab es 83 Fälle mit Verdachtsmomenten, in 40 Fällen davon kam es tatsächlich zu einer Streichung oder Reduzierung der Gelder. Unerlaubte Ortsabwesenheit, fehlerhafte Angaben und Scheinbeschäftigungen sind die häufigsten Gründe. Eingespart wurden so 121 000 Euro (75 000 Euro Land, 46 000 Euro Stadt).

Organisierte Strukturen

Hinter wie vielen dieser Fälle, die Südosteuropäer betreffen, steckt wirklich organisierter Betrug? „Sozialbetrug ist Alltagskriminalität bei uns“, sagt Oberstaatsanwalt Bernd Maas. Eine statistische Erhebung anhand dieser bestimmten Nationalitäten gebe es nicht. Es sei aber insgesamt auch keine Häufungen in einem Maße aufgefallen, das eine spezielle Schwerpunktermittlung nötig gemacht hätte.

1110 Zuwanderer aus Südosteuropa abgemeldet

Seit Ende 2015 gab es unter Federführung der Stadt 56 Kontrollen in 466 Zuwanderer-Häusern. Insgesamt wurden 12 782 Personen überprüft. Davon wurden 1110 abgemeldet, weil sie augenscheinlich dort gar nicht mehr wohnen. Und 681 Ausweisdokumente von Personen wurden eingezogen, die angetroffen wurden, jedoch gar nicht gemeldet sind.

Was geschieht mit den Menschen, die abgemeldet werden? „Von Nachbarn hören wir bei den Kontrollen oft, dass sie in ihr Heimatland in eine andere Stadt verzogen sind“, so Stadtsprecher Michael Kaub. „Wenn Letzteres der Fall ist und die Menschen, sich dort anmelden, bekommen wir im Nachhinein Bescheid. Ansonsten erfahren wir nichts darüber.“

Doch auch wenn die Fälle am Ende nicht strafrechtlich relevant werden, nach Ansicht des Jobcenters gibt es die Anzeichen für einen gezielten Sozialmissbrauch. Beispiel Scheinbeschäftigungen: Nur, wer als EU-Bürger mindestens eine geringfügige Beschäftigung vorweisen kann, bekommt auch Sozialleistungen.

Bei der Prüfung von Anträgen seien immer wieder Auffälligkeiten festgestellt worden – und seit 2015 auch an die Bundesagentur für Arbeit weitergeleitet worden.

Zudem geht das Hagener Jobcenter fest davon aus, dass es in Hagen zumindest vereinzelt Fälle gibt, in denen Hartz-IV-Bezieher eigentlich in Rumänien leben und durch organisierte Strukturen für Behördentermine nach Deutschland gebracht werden. Denn nur wer beispielsweise auch hier in Hagen lebt, hat auch Anspruch auf Hartz IV.

Gegen-Strategien

Jobcenter-Chefin Andrea Gebhardt hält die Zusammenarbeit der Behörden für sehr gut, das geltende Recht werde ausgeschöpft.

Sie setzt aber vor allem darauf, Zuwanderer aufzuklären und sie nicht zu Banden-Opfern werden zu lassen: „Wir haben Bildungsangebote mit rund 100 Teilnehmern im Monat: Dort lernen sie, schwarze Schafe auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt zu erkennen“, so die Chefin des Hagener Jobcenters.