Hagen. . Rund 500 der in Hagen lebenden Roma stammen aus Brahasesti im Osten Rumäniens. Jetzt hat eine Delegation aus dem Rathaus den Ort besucht.
Dass die Hagener Bevölkerungszahl laut Auskunft der Stadt wieder auf 195.000 Menschen angeschwollen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Volmestadt ein begehrtes Ziel von Zuwanderern mit rumänischer und bulgarischer Staatsangehörigkeit ist.
5400 Einwanderer aus den beiden südosteuropäischen Staaten leben inzwischen hier. Wie viele von ihnen der Ethnie der Roma angehören, werde nicht statistisch erfasst, berichtet Sozialdezernentin Margarita Kaufmann: „Deshalb wissen wir es nicht genau. Aber es dürften etwa 90 Prozent sein.“
Vom Europarat finanzierte Reise
Grund genug für die Sozialdezernentin und sechs Mitarbeiter aus dem Rathaus bzw. der Caritas, der Gemeinde Brahasesti im Osten Rumäniens einen fünftägigen Besuch abzustatten, denn dort gehören fast 70 Prozent der etwa 8000 Einwohner zu den Roma. Mehr noch: Etwa 500 der in Hagen lebenden Einwohner stammen aus Toflea, einem Ortsteil von Brahasesti.
Die vom Europarat finanzierte Reise sollte der Hagener Delegation Erkenntnisse über die Lebensweise der Roma-Familien liefern und dabei helfen, die schwierige Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern.
Lage bisweilen unübersichtlich
„Leider gibt es kein Förderprogramm und keinerlei Maßnahmen für eine Sozialintegration der Roma“, beschreibt Frau Kaufmann das Dilemma: „Offiziell wird ja kein entsprechender Bedarf diagnostiziert, als könne man davon ausgehen, dass die Roma, die hierher kommen, ohne weiteres wüssten, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Aber so wird das Zusammenleben nicht funktionieren.“
Dabei ist die Integration der Roma mit ihrer oft fremd anmutenden Lebensweise für Kaufmann eine der wichtigsten aktuellen Aufgaben in der Stadt. In der Verwaltung wird deshalb an einem speziellen Integrationskonzept für Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien gearbeitet. Zwar ist die Lage bisweilen unübersichtlich, denn viele Roma ziehen wieder fort, doch inzwischen sei klar erkennbar, so Frau Kaufmann, dass ein großer Anteil von ihnen in Hagen eine dauerhafte Bleibeperspektive entwickele.
Keine Arbeitsplätze
Nahezu die Hälfte der Einwohner Tofleas ist inzwischen ausgewandert. Hauptgrund ist die hohe Arbeitslosigkeit. „Wir haben dort praktisch keine Arbeitsplätze gesehen“, berichtet Reinhard Goldbach, Leiter des Fachbereichs Jugend und Soziales, der ebenfalls zur Hagener Delegation gehörte.
Die Roma in Toflea gehören der örtlichen Pfingstgemeinde an, hat Frau Kaufmann erfahren: „Neben dem Bürgermeister, der übrigens katholisch ist, ist der Pfarrer die einflussreichste Persönlichkeit in der Gemeinde.“ Die Roma seien tiefgläubig, tränken keinen Alkohol, vorehelicher Sex sei tabu – allerdings dürfe nach der Hochzeit auch nicht verhütet werden. Der soziale Druck sei groß, wer nicht zum Gottesdienst komme, werde nach den Beweggründen für seine Abwesenheit befragt.
Kirche für 3000 Gläubige
Derzeit werde eine neue Kirche errichtet – eine riesige Halle, die Platz bietet für 3000 Gläubige. Es könne keine Rede davon sein, dass die Roma in Slums hausten: „Jedenfalls nicht in Toflea. Die Unterkünfte mögen einfach und zum Teil auch ärmlich sein, aber sauber und ordentlich.“
Auch interessant
Es gibt Kindergärten, und es besteht Schulpflicht. Dennoch wird, so die Erfahrung der Delegation, der Unterricht in einem größeren Maße geschwänzt – obwohl der Staat dies sanktioniert mit Abzügen beim sogenannten Familien- bzw. beim Kindergeld, das umgerechnet 43 Euro (bei Kindern bis zwei Jahre) bzw. 18 Euro (von zwei bis 18 Jahre) pro Monat beträgt.
Spärlich gefüllte Klassenräume
Für die nur spärlich gefüllten Bänke in den Klassen in Toflea gibt es allerdings auch einen anderen Grund: Als die Hagener dem Unterricht beiwohnten, fragten sie die Lehrerin, warum nur fünf von 24 Schülern anwesend seien, woraufhin diese antwortete: „Die anderen Kinder sind bei euch oder in Großbritannien.“
Bürgermeister Mircea Dumitru, einer von nur vier Roma aus Brahasesti, die einen Studienabschluss vorweisen können, hat die Infrastruktur verbessert: fließend Wasser, Strom, Müllabfuhr, geteerte Straßen. Doch die Auswanderung hält an. Demnächst, so kündigte der junge Bürgermeister halb im Scherz an, wolle er zum Gegenbesuch nach Hagen kommen, um die zweite Hälfte seiner Bevölkerung wiederzusehen.