Fröndenberg. Im Fröndenberger Schmallenbach-Haus kostete das Coronavirus 17 Bewohner das Leben. Annette L. spricht nun über die schlimme Zeit.
Die Vögel zwitschern auf dem Hirschberg, langsam aber sicher kehrt ein Stückweit Normalität ein im Alten- und Pflegeheim Schmallenbach-Haus. Vor einigen Wochen, so beschreibt es Annette L., herrschten dort fast kriegsähnliche Zustände. Das Corona-Virus grassierte in der Einrichtung und kostete 17 Bewohner das Leben. Doch wie kehren Bewohner und Mitarbeiter nach einer solche einschneidenden Erfahrung zurück in den Alltag?
Annette L. war von Anfang an mitten im Hotspot des Kreises Unna. „Wir haben das ganze erst einmal erwartet als wäre es eine normale Grippewelle“, sagt die Alten- und Krankenpflegerin. Doch was ab Mitte März passierte, bezeichnet sie mehr als Tsunami denn als Welle. „Es ging Schlag auf Schlag“, sagt die 43-Jährige. Erst infizierten sich einige Bewohner, später dann auch Kollegen – eine Mendenerin starb.
Examinierte Kräfte aus Leihfirmen
An einen festen Tagesablauf war zu Hochzeiten nicht zu denken. Mehrmals täglich mussten die Dienstpläne angepasst werden; mehr als ein oder zwei Tage im Voraus sei nichts zu planen gewesen, als sich immer mehr Bewohner und Mitarbeiter infizierten. Geholfen haben teils examinierte Kräfte aus Leihfirmen. „Dass Kollegen bereit waren, zu uns zu kommen, rechne ich ihnen hoch an“, sagt Annette L. Aber ganz unbemerkt verlief der Personalwechsel nicht, erinnert sie sich. „Die Bewohner haben natürlich die Hektik gespürt. Wenn dann noch jemand fremdes da ist, ist das immer eine Veränderung.“ Zusätzlich habe das Besuchsverbot – das angesichts neuer Verdachtsfälle in den vergangenen Wochen immer wieder verhängt werden musste – auf die Stimmung gedrückt, ebenso wie die Schutzanzüge des Personals, die ein ungewohnter Anblick waren. Doch das sei unvermeidbar gewesen.
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Annette L. arbeitet seit nunmehr 13 Jahren im Schmallenbach-Haus. Einen Ausbruch wie in diesem Frühjahr aber habe sie noch nicht erlebt. Zu Hochzeiten „hat man nicht gewusst, in welches Zimmer man zuerst und in welches zuletzt gehen sollte“. Der Besuch in den Zimmern glich einem Glücksspiel. „Wenn man ins Zimmer kam, wusste man nicht, ob die Bewohner noch leben“, beschreibt sie. Und selbst wenn es zwei Bewohnern endlich etwas besser ging, gab es die Nachricht, dass es ein anderer Bewohner nicht geschafft hat. Ihr Blick wandert über den Parkplatz der Einrichtung. Draußen, an der Vogelvoliere des Schmallenbach-Hauses, ist von diesem Trubel nicht viel zu sehen. Es wirkt friedlich, die 43-Jährige grüßt noch ein paar Arbeitskollegen, die gerade Feierabend machen. Es gab, sagt sie, Tage, an denen sie binnen einer Stunde zweimal den Notarzt rufen musste. Das alles hat Spuren hinterlassen.
Virus sei unberechenbar
Annette L. hat selbst vier Corona-Tests in den vergangenen Monaten machen müssen; stets seien die negativ gewesen. Vor einigen Tagen aber ergab ein Test, dass sie Antikörper bildete und so höchstwahrscheinlich doch mit dem Virus in Kontakt gekommen sein muss. Es gab, sagt sie, eine Zeit, in der sie sich ein wenig schlapp fühlte, doch angesichts negativer Tests schien eine Infektion nahezu ausgeschlossen. Kollegen hätte es da deutlich schlimmer getroffen. Einige seien acht, neun Wochen ausgefallen, da sie immer wieder positiv getestet wurden; andere waren nach zwei Wochen wieder topfit. Das Virus – so scheint es – ist in jeglicher Hinsicht unberechenbar.
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Umso schrecklicher sind die Erinnerungen an eine Kollegin, die die Infektion nicht überlebte. „Ihr ging es eigentlich schon besser, das war dann natürlich ein Schock“, sagt Annette L. Sie habe die Hoffnung gehabt, dass es die Kollegin doch noch schaffen könnte. „Und man verarbeitet es immer noch. Man denkt oft darüber nach, das ist nicht einfach“, sagt die 43-Jährige. Eine normale Grippewelle hätte das nicht verursacht. „Das zeigt, dass man das Virus nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.“ Aber auch die verstorbenen Bewohner beschäftigten das Personal noch immer. Und so reiße das Virus auch Menschen aus dem Leben, die augenscheinlich noch so viel mehr Zeit gehabt hätten. Zwar grassierte in der Vergangenheit immer mal wieder auch ein Magen-Darm-Virus oder eine Grippe, doch all das sei nicht vergleichbar mit dem Corona-Virus.
Veränderungen im Arbeitsalltag
Das Virus hat derweil auch die Arbeit in der Alten- und Krankenpflege verändert. Dafür hat Geschäftsführer Heinz Fleck zuletzt sogar Terminals an den Eingängen auf dem Hirschberg installieren lassen. Dort melden sich Besucher wie Personal an, eine Wärmebildkamera misst die Temperatur. Zwar kehre so langsam wieder so etwas wie ein Normalzustand ein, doch noch immer sind keine Gruppenangebote möglich, das Essen wird mit Gesichtsvisier gereicht. Für die Bewohner – einige sind hochgradig dement – bedeutet das noch immer eine große Umstellung.
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Blindes Vertrauen
Doch auch die Beziehung zu den Vorgesetzten habe sich während der Corona-Pandemie verändert. „Wir haben die Pflegedienstleitung und unseren Chef (Heinz Fleck, Anm. d. Red.) nochmal ganz anders kennengelernt“, sagt Annette L. Das Miteinander habe – in all dem Trubel – jederzeit funktioniert. „Das gibt auch eine gewisse Sicherheit.“ Inzwischen, sagt die Alten- und Krankenpflegerin, habe sich so auch die Wertschätzung für die Kollegen verändert, es herrsche blindes Vertrauen.
Jetzt, gut viereinhalb Monate nach Beginn der Corona-Pandemie, freut sich die 43-Jährige erst einmal auf den Urlaub. Und der soll – nicht wie kurz vor Ostern – diesmal wirklich feststehen. Denn gerade nach den beschwerlichen Monaten müssten die Akkus einfach mal wieder aufgeladen werden.