Gevelsberg. 600 Euro bekommt jedes Gevelsberger Stadtratsmitglied zusätzlich überwiesen. Offiziell für iPads, inoffiziell kann man damit machen, was man will.
Ein steuerfinanziertes Weihnachtsgeschenk legen sich die Mitglieder des Gevelsberger Stadtrats auf Vorschlag der Verwaltung um Bürgermeister Claus Jacobi nun selbst unter den Tannenbaum. Wer will, bekommt mit der Zahlung der ersten Aufwandsentschädigung im neuen Jahr 600 Euro zusätzlich überwiesen. Offiziell bekommen die Politikerinnen und Politiker das Geld, um zukünftig digital anstatt auf Papier das politische Ehrenamt wahrzunehmen. Unterm Strich müssen sie dieses Geld aber nicht zweckgebunden für Tablets oder andere digitale Endgeräte einsetzen und sichern diesen Fall gleich schriftlich mit ab.
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Im Kern geht es darum, dass die Stadt Gevelsberg unter der Regie von Digitalmanager Dietmar Happe endlich ihren massiven Rückstand auf andere Kommunen aufholt, was die Digitalisierung der politischen Arbeit anbelangt. Ist im Vergleich zu den Städten Ennepetal und Schwelm oder auch zur Kreisverwaltung die Online-Aufbereitung der politischen Arbeit in Gevelsberg noch Kraut und Rüben, soll dies ab dem 1. Januar 2023 geändert werden. Zur ersten Ratssitzung im kommenden Jahr soll die Software einen Sitzungskalender mit Tagesordnungspunkten und den dazu gehörenden Unterlagen verknüpfen. Die Software soll dann laufen.
Keine Subventionen in Schwelm und Ennepetal
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Fehlt nur noch die Hardware – in den meisten Fällen nutzen die Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker dafür Tablets, in seltenen Fällen auch Laptops, ganz wenige ihre Smartphones. Bereits jetzt greifen viele Mitglieder des Stadtrats mit ihren privaten Geräten auf das alte System zu. Dieser Zugriff erfolgt künftig über das Internet oder die App; spezielle Geräte sind nicht erforderlich. In Schwelm beispielsweise nutzen die Mitglieder des Stadtrats ausschließlich die Geräte, die ohnehin in ihren Haushalten vorhanden sind. Das System läuft seit vielen Jahren, eine Diskussion über Kostenbeteiligung oder dass die Stadt ihren Vertretern die Geräte bezahlen soll, hat es in der Kreisstadt nicht gegeben.
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Genau wie in Ennepetal, wo allerdings wieder ein anderes System läuft. Die Stadt bestellt die iPads in der jeweils gewünschten Ausführung gesammelt, was den Preis pro Gerät natürlich drückt. Das Gerät zahlen die Mitglieder des Ennepetaler Stadtrats ab. „Die Kosten für das iPad werden mit unserer Aufwandsentschädigung verrechnet. Bei einem teureren Gerät wird entsprechend mehr fällig“, sagt CDU-Ratsherr Olaf Biermann, der die Digitalisierung der Gremienarbeit in Ennepetal bereits vor zehn Jahren massiv vorangetrieben hat. Wer im Laufe der Wahlperiode aus dem Rat ausscheidet, muss entweder die Restsumme zahlen oder das Gerät zurückgeben. „Wir haben uns als Politik damals bewusst für diese Variante entschieden, um die Stadtkasse nicht zusätzlich zu belasten“, sagt Biermann.
26.200 Euro, wenn jeder mitmacht
Ein Gedanke, der in Gevelsberg nicht aufkam. „Aus Nachhaltigkeitsgründen wird beschlossen, den Mitgliedern des Rats der Stadt Gevelsberg mit der kommenden Aufwandsentschädigung 600 Euro für die Anschaffung eines mobilen Endgeräts in der aktuellen Wahlperiode – künftig zu Beginn der neuen Wahlzeit – zur Verfügung zu stellen, sofern sich ein Ratsmitglied für die regelmäßige Nutzung des digitalen Systems entscheidet und im Regelfall auf den Papierversand verzichtet“, schreibt die Stadt Gevelsberg in ihrer Vorlage. Bei aktuell 42 Ratsmitgliedern wären dies entsprechend 25.200 Euro, die bei kompletter Abdeckung aus der Stadtkasse auf die Konten der Politiker zusätzlich zur Aufwandsentschädigung fließen. Die Redaktion fragte im Rathaus nach, wie hoch die Quote derer ist, die das System in knapp zwei Wochen nutzen wollen. Antwort: „Die Abfrage läuft derzeit, so dass noch keine Quote genannt werden kann.“ Mit Blick auf die politischen Gremien in den Nachbarstädten und beim Kreis ist allerdings davon auszugehen, dass sich die Nutzerquote nahe der 100 Prozent bewegen wird.
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Den Einstieg in die Welt der Tablets gibt es übrigens für unter 100 Euro pro Gerät. Nagelneue iPads – Apple-Produkte aus dem Premiumsegment – gibt es zwischen 300 und 500 Euro pro Gerät. Teurer geht es natürlich immer. Wer da zugreift, surft schon mit der Luxusklasse der mobilen Endgeräte durch die pdf-Dokumente der Stadt Gevelsberg. Die Summe von 600 Euro erklärt die Stadtverwaltung Gevelsberg auf Nachfrage wie folgt: „Nach entsprechender Vorabstimmung mit den Fraktionen hat der Rat eine Lösung dergestalt beschlossen, dass ein auskömmlicher Pauschalbetrag zur Anschaffung eines mobilen Gerätes bereitgestellt wird. Der Betrag orientiert sich an einem Gerät höherer Qualität, das auch den Anforderungen häufiger Transporte etc. genügt.“
Was ist eine Tablet-Wartung?
Nun sieht es allerdings so aus, dass die Anzahl der Mitgliedern des Rats, die bereits über solche Geräte verfügen, weit mehr als die Hälfte abdeckt – vermeintlich auch in geeigneter Qualität für den Einsatz im überdachten und beheizten Ratssaal auf einer Tischplatte. Auch diejenigen bekommen die 600 Euro überwiesen, sofern sie mitteilen, dass sie diese Geräte für ihre politische Arbeit nutzen. „Dieser Beitrag könnte (...) als Kostenbeteiligung / Kostenersatz für bereits genutzte Hardware eingesetzt werden“, heißt es dazu in der Vorlage an den Rat, und die Verwaltung präzisiert auf Nachfrage der Redaktion: „Mit dem Pauschalbetrag ist auch ein Anteil für eigenverantwortlich zu leistende oder zu beauftragende Servicearbeiten verbunden. (...) Würde die Stadt adäquate Geräte unter Bereitstellung eines verwaltungsseitigen Supports zur Verfügung stellen, so würden die dafür entstehenden Kosten den Betrag von 600 Euro pro Ratsmitglied und Wahlperiode voraussichtlich deutlich übersteigen. Insofern dient der eingeschlagene Weg auch einer kostenbewussten Organisation des Ratsmanagements“, so lautet die Einschätzung des Digitalen Managements im Rathaus.
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Auf Verwendungsnachweise, die die Politikerinnen und Politiker für das Geld zur digitalen Unterstützung erbringen müssen – beispielsweise Rechnungen einer Tablet-Wartung oder Kaufbelege – verzichtet die Stadt Gevelsberg und lässt ebenso offen, was sie überhaupt unter einer regelmäßigen, kostenpflichtigen Wartung eines Tablets versteht. Die einzigen Dinge, die sich unter so etwas wie Wartung fassen lassen, sind ein Batterie-Wechsel – der innerhalb einer Wahlperiode normalerweise nicht notwendig wird – oder ein Display-Tausch, was bei den meisten Geräten einem wirtschaftlichen Totalschaden gleichkommt.
All diese Fragen kamen allerdings nicht auf. Einstimmig hoben die politischen Vertreterinnen und Vertreter der Gevelsberger Bürger in der Sitzung des Stadtrats am 7. Dezember die Hände, um sich von ihren Wählern dieses Weihnachtsgeschenk bezahlen zu lassen.
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