Ennepetal. Am 3. November entscheidet der Rat der Stadt Ennepetal über die Übertragung des Kanalnetzes an den Ruhrverband. Bei einem „Ja“ fließt viel Geld.

Wenn der Rat grünes Licht gibt, dann könnte die Stadt Ennepetal mit Beginn des kommenden Jahres auf einen Schlag weit mehr als die Hälfte ihrer Schulden loswerden: Am 3. November werden die Kommunalpolitiker in einer Sondersitzung darüber entscheiden, ob das städtische Kanalnetz zum 1. Januar 2023 an den Ruhrverband übertragen wird. Für die Bürgerinnen und Bürger soll sich bei einem positiven Votum hinsichtlich der Abwasserbeseitigung nichts ändern. Die Gebührenbescheide kommen weiter von der Stadt, die auch Ansprechpartner hinsichtlich der Abwasserbeseitigung bleibt.

Lesen Sie auch:

Nach aktuellem Stand würde der Ruhrverband der Stadt für die Übertragung 103,3 Millionen Euro als Ausgleichsbetrag überweisen. Damit schüttet der Ruhrverband im Prinzip die Gewinne aus, die die Stadt in Zukunft aus dem Gebührenhaushalt eingestrichen hätte. Wichtig: Das Kanalnetz wird nicht verkauft, es geht nur das wirtschaftliche Eigentum mitsamt der Pflicht zur Abwasserbeseitigung auf Dauer an den Verband über. Juristische Eigentümerin der Entwässerungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen bleibt die Stadt. Bisher sind Stadt und Ruhrverband gemeinsam für die Abwasserbeseitigung zuständig: Die Kommune sammelt das Abwasser und leitet es fort, der Ruhrverband übernimmt und behandelt es.

Kämmerer Tim Strathmann hat einen klaren Plan, was mit dem großen Betrag getan werden soll: „Zum Teil ist unser Kanalnetz durch Darlehen in Höhe von 40,8 Millionen Euro finanziert, die wird der Ruhrverband übernehmen.“ Somit muss die Stadt dafür ab dem Zeitpunkt der Übertragung auch keine Zinsen – derzeit etwa 350.000 Euro im Jahr – mehr zahlen. Mit den verbleibenden 62,5 Millionen Euro will der Kämmerer die Kassenkredite weitestgehend zurückzahlen. „Aktuell haben wir Kassenkredite in Höhe von 64 Millionen Euro aufgenommen“, so Strathmann. „Die wären dann fast getilgt.“ Angesichts des Endes der Niedrigzinsphase würde so eine zusätzliche Haushaltsbelastung durch steigende Zinsen vermieden. Aktuell liege der Zinssatz für Kassenkredite bei null, so Strathmann, in einem Jahr rechne er aber mit einem Satz von zwei Prozent. „Das wären 1,25 Millionen Euro, die wir allein an Zinsen für Kassenkredite aufwenden müssten.“ Unter dem Strich würde die Zinsersparnis also bei 1,6 Millionen Euro liegen.

Tim Strathmann, Kämmerer der Stadt Ennepetal.
Tim Strathmann, Kämmerer der Stadt Ennepetal. © WP | Stadt Ennepetal

Auf der anderen Seite entgeht der Stadt natürlich künftig der kalkulatorische Gewinn aus dem Gebührenhaushalt, weil die Gebühren künftig an den Ruhrverband gehen – rund 1,3 Millionen Euro. Unter dem Strich bleibt also eine jährliche Haushaltsverbesserung von 300.000 Euro. Im kommenden Jahr verbleibt aufgrund des aktuell noch geltenden Nullzinses für die Kassenkredite eine Verschlechterung von etwa 1 Million Euro. Mit dem Senken des Schuldenstandes von aktuell knapp 170 Millionen auf 66 Millionen Euro und der einhergehenden Stärkung der Eigenkapitalquote verbessere Ennepetal auch die Position auf dem Kapitalmarkt, betont Tim Strathmann. Er stellt aber auch klar, dass angesichts der Haushaltsbelastungen durch Corona und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs die Kanalnetzübertragung nur dämpfend wirke. „Zusätzliche Spielräume haben wir nicht“, sagt er.

+++ Nichts mehr verpassen: Bestellen Sie hier unseren Newsletter aus Ennepetal, Gevelsberg und Schwelm+++

Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster brachte übrigens noch einmal Bewegung in die Verhandlungen der Stadt mit dem Ruhrverband. An der grundsätzlichen Thematik änderte sich nichts, allerdings musste der Ausgleichsbetrag neu berechnet werden. Das OVG hatte nämlich entschieden, dass der kalkulatorische Zins bei der Gebührenberechnung, der unter dem Strich als Gewinn in die Stadtkasse fließt, nicht in der Form angesetzt werden darf wie bisher. Dieser Zins dient als Kompensation für entgangenen Erträge, weil eine Kommune Kapital nicht gewinnbringend angelegt, sondern in das Kanalnetz gesteckt hat. Bisher konnten die Kommunen den Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre des Referenzzinssatzes zugrunde legen. Das Gericht urteilte, dass jetzt nur noch die Zinsen, die eine Kommune tatsächlich für Kredite zahlt, anzurechnen sind – plus dem Durchschnittszinssatz der vergangenen zehn Jahre für das im Kanalnetz gebundene Eigenkapital. Aufgrund der Niedrigzinsphase liegt der Satz sehr viel niedriger als die aktuell noch angesetzten 5 Prozent.

Die NRW-Landesregierung hat allerdings inzwischen einen Entwurf für eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes eingebracht. Demnach dürfen Kommunen nun den durchschnittlichen Zinssatz der vergangenen 30 Jahre ansetzen. „Diese Regelung unterstellen wir nun für unsere Vereinbarung, weil wir davon ausgehen, dass der Landtag das so beschließt“, erklärt Tim Strathmann. Sprich: Auf dieser Basis wurde der Ausgleichsbetrag in Höhe von 103,3 Millionen Euro berechnet.

Für die Bürgerinnen und Bürger heißt die Neuregelung, dass die Abwassergebühren zunächst sinken, danach aber wieder ansteigen würden – „im Fall der Kanalnetzübertragung aber geringer als ohne“, meint der Kämmerer. Der Ruhrverband habe nämlich aufgrund seiner Größe bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen und könne zudem Personal effizienter einsetzen und Material günstiger beschaffen – somit kostengünstiger arbeiten. „Wir haben berechnet, dass die Gebühren künftig mit der Kanalnetzübertragung um etwa 3,6 Prozent jährlich steigen würden, ohne aber um 5,5 Prozent“, so Strathmann