Ennepetal. Die Pläne der Stadt Ennepetal, das Kanalnetz auf den Ruhrverband zu übertragen, werden konkreter. Finanziell erscheint das Vorhaben reizvoll.

Der Rat beschloss in einer Sondersitzung einstimmig, dass die Verwaltung das Thema weiter verfolgen solle. Sollte das Vorhaben, über das schon länger nachgedacht wird, tatsächlich umgesetzt werden, winkt der Stadt eine Ausgleichszahlung in dreistelliger Millionenhöhe, die insbesondere zur weitgehenden Entschuldung eingesetzt werden soll. Einige andere Kommunen in NRW haben diesen Schritt bereits vollzogen. Erst im vergangenen Jahr hatte die Stadt Hattingen den Betrieb ihres Kanalnetzes an den Ruhrverband übertragen und dafür 115 Millionen Euro erhalten.

Professor Dr.-Ing. Norbert Jardin, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbands, erläuterte den Ratsmitgliedern ausführlich die Eckpunkte des Vorhabens und betonte die Vorteile, die für beide Seiten damit verbunden seien.

Was ist geplant?

Eins vorweg: Es handelt sich nicht um einen Verkauf des Kanalnetzes. Die Stadt bleibt auf Dauer juristischer Eigentümer der betreffenden Entwässerungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen.

Besonderheit in NRW

In NRW sind die Kommunen für die Abwasserbeseitigung zuständig. Das sei eine Besonderheit, so Norbert Jardin. Sonst kümmere sich immer eine Organisation um Kanalisation, Regenwasserbehandlung und Kläranlagen.

Nach einer Änderung des Landeswassergesetzes im Jahr 2016 können Kommunen ihre Abwasserbeseitigungspflicht an einen Wasserverband übertragen. Im Bereich des Ruhrverbands haben das unter anderem Schmallenberg und Hattingen getan.

Kritisch äußerte sich der Städte- und Gemeindebund zum Thema der Kanalnetzübertragung, insbesondere hinsichtlich rechtlicher Unsicherheiten. Jardin betonte, dass es bisher in keinem Fall Rechtsprobleme gegeben habe.

Bisher sind Stadt und Ruhrverband gemeinsam für die Abwasserbeseitigung zuständig: Die Kommune sammelt das Abwasser und leitet es fort, der Ruhrverband übernimmt und behandelt es. Das nun geplante Vorhaben klingt paradox: Die Stadt überträgt ihre Pflicht zur Abwasserbeseitigung und das wirtschaftliche Eigentum am Kanalnetz dauerhaft an den Ruhrverband und erhält im Gegenzug einen einmaligen Ausgleichsbetrag. Mit diesem schüttet der Ruhrverband im Prinzip die Gewinne aus, die die Stadt in Zukunft aus dem Gebührenhaushalt eingestrichen hätte. Der Gewinn basiert auf der Differenz zwischen bilanziellen und kalkulatorischen Kosten – zuletzt jährlich etwa 1,5 Millionen Euro.

Wo liegen die Vorteile?

Die Stadt könnte sich zu einem großen Teil entschulden. Nach grober Planung läge der Ausgleichsbetrag bei 110 bis 120 Millionen Euro für das „Altvermögen“, also das derzeit existierende Kanalnetz. Ein Teil, der dem aktuellen Buchwert des Kanalnetzes (etwa 50 Millionen Euro) entspricht, sollte Kämmerer Tim Strathmann zufolge zur Ablösung von Liquiditätskrediten (zurzeit etwa 70 Millionen Euro) genutzt werden. Damit könne man das Risiko durch steigende Zinsen, die den haushalt stark belasten würden, erheblich senken. Auch würde der Ruhrverband einen Teil der Investitionskredite für das Kanalnetz übernehmen. Den restlichen Betrag würde die Stadt nach und nach auflösen, indem ein Betrag in Höhe der sonst erzielten Gewinne in den Haushalt fließt. Für das „Neuvermögen“ – also künftige Neuinvestitionen ins Kanalnetz, würde die Stadt jährlich eine sogenannte Mehrwertkompensation erhalten.

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Norbert Jardin betonte, dass der Ruhrverband ein Interesse an der Übernahme des Kanalnetzbetriebs habe, weil man Synergien heben und durch die Gesamtverantwortlichkeit für die Siedlungsentwässerung ganzheitlicher planen könne. Schnittstellen würden wegfallen, Material und Personal könnten effizienter eingesetzt werden. Unter dem Strich entstehe ein erhebliches Kosteneinsparungspotenzial. Für Hattingen sei das auf 8,7 Prozent beziffert worden.

Was gibt die Stadt ab?

Die Stadt Ennepetal wird nach wie vor ein Abwasserbeseitigungskonzept, das insbesondere anstehende Sanierungs-, Neubau und Instandhaltungsmaßnahmen für das Kanalnetz beinhaltet, aufstellen. Die Beschlussfassung darüber und damit über die zu tätigenden Investitionen verbleibt beim Rat. Auch für die Gebührenkalkulation und -erhebung bleibt die Stadt zuständig.

Was kommt auf die Bürger zu?

Formal ändert sich für die Bürger nichts. Sie erhalten die Gebührenbescheide von der und leisten ihre Zahlungen an die Stadt. Diese leitet die Gebühren an den Ruhrverband weiter. Der Verband ist eine Anstalt öffentlichen Rechts und nicht auf Gewinnerzielung aus. Das heißt, dass die Gebühren wie bisher kostendeckend kalkuliert würden. Norbert Jardin betonte, dass der Ruhrverband für jedes Kanalnetz einen eigenen Wirtschaftsplan aufstelle, so dass der Netzbeitrag nur für den Aufwand in der jeweiligen Gemeinde gezahlt werde. Es gebe keine Quersubventionierung.

Was heißt es für das Personal?

Im Bereich der Entwässerung sind bei der Stadt nach Angaben des Kämmerers fünf Mitarbeiter für den Kanalbetrieb und vier Ingenieure tätig. Norbert Jardin betonte, dass man den entsprechend qualifizierten Mitarbeitern Angebote machen könne, wo sie eingesetzt würden, sei dann zu klären. Wirtschaftliche Nachteile würden durch einen Wechsel jedenfalls nicht entstehen. Tim Strathmann ergänzte, dass Mitarbeiter, die ein Ruhrverband-Angebot nicht annehmen wollten, problemlos von der Stadt weiterbeschäftigt werden könnten.

Wie geht es weiter?

Zahlreiche Nachfragen aus den Reihen des Rates beantworteten Norbert Jardin, Tim Strathmann, Bürgermeisterin Imke Heymann und der Erste Beigeordnete Dieter Kaltenbach. Einige Fragen blieben zunächst offen. Tim Strathmann betonte, dass es ihm darum gehe, ein Votum einzuholen, ob die Verwaltung an dem Thema weiterarbeiten solle. Die jetzt zu treffendende Entscheidung bedeute keine Festlegung, der Rat habe das letzte Wort, wenn alles ausgearbeitet sei.

Letztlich sprachen sich alle Ratsmitglieder dafür aus, den Prozess fortzuführen. Als Ziel für die Umsetzung, wenn sie denn vom Rat beschlossen werden sollte, nannte der Kämmerer den 1. Januar 2023.