Ennepetal. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG) führt dazu, dass der Stadt Ennepetal ein Millionenloch in der Stadtkasse droht.

Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG), dass die gängige Praxis bei der Festsetzung der Entwässerungsgebühren für rechtswidrig erklärt, hat die Haushaltsplanungen von Kämmerer Tim Strathmann in die weit verzweigte Ennepetaler Kanalisation gespült. Für das Jahr 2023 werden der Stadt etwa zwei Millionen Euro fehlen, die als Gewinn aus jenen Gebühren einkalkuliert sind. Nun droht den Bürgerinnen und Bürgern eine Erhöhung der Grundsteuern. Das Urteil wird sich aber auch auf den Preis auswirken, den der Ruhrverband der Stadt im Falle einer Übertragung des Kanalnetzes zahlen würde. Statt 125 Millionen Euro würden nur 80 Millionen Euro in die Stadtkasse fließen.

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Das OVG hatte sich mit der Klage eines Bürgers aus Oer-Erkenschwick gegen die Festsetzung von Schmutz- und Regenwassergebühren für das Jahr 2017 durch die Stadt befasst. In einem Musterverfahren (Aktenzeichen: 9 A 1019/20) entschied das Gericht Mitte Mai entgegen langjähriger Rechtsprechung, dass die konkrete Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen rechtswidrig sei, weil diese zu einem Gebührenaufkommen führe, das die Kosten der Entwässerungsanlagen überschreite. Zum einen sei unzulässig, gleichzeitig eine Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert und eine kalkulatorische Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich Inflationsrate) vorzunehmen, weil dies einen doppelten Inflationsausgleich beinhalte. Zum anderen – und das wirkt sich erheblich gravierender aus – hält das OVG die bisherige Berechnung des kalkulatorischen Zinses (das ist der Zins, den die Stadt theoretisch mit dem angelegten Kapital hätte erwirtschaften können, wenn es nicht in die Anlagen investiert hätte) sachlich für nicht mehr gerechtfertigt.

Neuberechnung des kalkulatorischen Zinses

Bisher wurde der durchschnittliche Zins für bestimmte festverzinsliche Wertpapiere der vergangenen 50 Jahre zugrunde gelegt. Darauf konnten die Kommunen noch einen „Sicherheitszuschlag“ von 0,5 Prozentpunkten aufschlagen. Das OVG hält nun für angemessen, den Durchschnittszins der vergangenen zehn Jahre – ohne Zuschlag – bei der Gebührenberechnung zugrunde zu legen. Für Ennepetal bedeutet das, dass der kalkulatorische Zins nicht mit 5 Prozent angesetzt werden darf, sondern aktuell nur mit 0,46 Prozent. Unter dem Strich würden die Gebühreneinnahmen somit um etwa zwei Millionen Euro niedriger ausfallen.

Gewerbesteuereinnahmen nicht im Soll

Für das laufende Jahr (und weiter rückwirkend) wird das OVG-Urteil zu den Entwässerungsgebühren keine größeren Auswirkungen haben. Eine Gebührenerstattung könnten nur die Bürgerinnen und Bürger einfordern, die gegen ihren Bescheid Einspruch eingelegt hätten. so Kämmerer Tim Strathmann.

Allerdings sieht es dem Kämmerer zufolge auch für 2022 nicht rosig aus. Die Gewerbesteuereinnahmen würden nach aktueller Sollstellung um etwa 4 Millionen Euro hinter dem Ansatz von 39,6 Millionen Euro zurückbleiben. Dass der fehlende Betrag bis zum Jahresende noch vollständig hereinkommen könnte, hält Strathmann für höchst unwahrscheinlich. Unsicher ist auch noch, in welcher Höhe die außerplanmäßigen Aufwendungen (bisherige Belastung im Etat: 215.000 Euro) aufgrund des Ukraine-Krieges durch Bund und Land ausgeglichen werden.

„Mit einem solchen Urteil hat keiner gerechnet“, meinte Tim Strathmann. Der Kämmerer verkündete die Hiobsbotschaft in der jüngsten Sitzung des Hauptausschusses. Eigentlich sollte sein Haushaltsentwurf für das Jahr 2023 einen kleinen Überschuss von 500.000 Euro ausweisen. Nun droht – ungeachtet weiterer Einflussfaktoren – ein Minus von 1,5 Millionen Euro. „Der Gedanke, den Haushaltsausgleich über die Grundsteuer herbeizuführen, liegt nahe – wenn man die politischen Konsequenzen einmal ausblendet“, so Strathmann. „Das wären 170 Hebesatzpunkte.“ Für die Bürger würden sich die Entlastung bei den Entwässerungsgebühren und die Belastung durch die Grundsteuererhöhung weitestgehend ausgleichen. Aktuell liegt der Hebesatz in Ennepetal bei 740 Prozent (inklusive 28 Prozentpunkte für Straßenreinigung und Winterdienst). Strathmann wies allerdings auch darauf hin, dass derzeit auch noch die Grundsteuerreform erarbeitet werde, so dass es auch hier Verschiebungen geben könne.

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Auf den ersten Blick extreme Auswirkungen hat das Urteil auf die von der Stadt beabsichtigte Übertragung der Nutzungsrechte für das Kanalnetz auf den Ruhrverband. Der Preis werde laut Kämmerer statt 125 Millionen Euro nur 80 Millionen Euro betragen. Das Geschäft sei dennoch lohnenswert, erklärte Tim Strathmann. Es handele sich in dieser Hinsicht quasi um ein Nullsummenspiel. Für die dauerhafte Übertragung der Pflicht zur Abwasserbeseitigung und des wirtschaftlichen Eigentums am Kanalnetz (was nicht einem Verkauf gleichkommt, da die Stadt dauerhaft juristische Eigentümerin bleibt) erhält die Stadt vom Ruhrverband einen einmaligen Ausgleichsbetrag, der einerseits den aktuellen Wert der Anlagen beinhaltet und zum anderen im Prinzip die zukünftigen Gewinne, die die Stadt in Zukunft aus dem Gebührenhaushalt eingestrichen hätte.

Rat entscheidet noch über Kanalnetzübetragung

Das Geld, dass der Stadt zufließen würde, soll zum größten Teil zur Rückzahlung der städtischen Liquiditätskredite verwendet werden (zurzeit etwa 60 Millionen Euro). So könnte die Stadt das Risiko steigender Zinsen minimieren. Der andere Teil würde in Form eines Rechnungsabgrenzungspostens auf die kommenden Jahre jeweils in Höhe der ansonsten vereinnahmten Gebührengewinne verteilt. Vorgesehen ist, dass der Rat bis Ende September über die Vereinbarung mit dem Ruhrverband entscheidet. Noch sind die Vorarbeiten nicht abgeschlossen. Im Zuge der folgenden Haushaltsberatungen werden die Politiker dann auch klären müssen, ob und in welcher Höhe die Grundsteuer B angehoben werden soll.