Gevelsberg. Die Gevelsbergerin Anna Rengevych-Bredt stammt aus der Ukraine, hat dort noch Verwandte und Freunde. So hilft sie nun den Geflüchteten.

„Das ist meine schwangere Freundin, die ich weinend in Dortmund abgeholt habe“, sagt Anna Rengevych-Bredt und zeigt ein Foto. Darauf gucken sie und ihre Freundin gemeinsam in die Kamera. Ihre Augen sind feucht, eine Träne steht Rengevych-Bredt noch auf der Wange. Trotzdem lächelt sie. Ihrer Freundin aus der Ukraine scheint das Lächeln – zumindest auf diesem Foto – schwerer zu fallen.

Es war ein Wiedersehen auf Zeit. „Die Freundin ist für die Entbindung wieder zurück zu ihrem Mann in die Ukraine“, erklärt die 33-jährige Gevelsbergerin. Sie selbst habe dort noch Verwandte. Ihre Schwester zum Beispiel. „Der Freund meiner Schwester ist Berufssoldat, sein Ort wurde auch schon beschossen“, sagt sie. „Ihm ist aber nichts passiert.“ Zum Glück.

Rengevych-Bredts Mutter lebt mittlerweile bei ihr und ihrer kleinen Familie in Gevelsberg. „Meine Mama hat mich am Anfang des Kriegs hier besucht“, erzählt sie. Später sei sie wieder zurückgereist, mittlerweile aber wieder in Gevelsberg.

Mit Wohnungen angefangen

Der Krieg belastet Anna Rengevych-Bredt. Auch wenn es ihr im Gespräch darüber nicht offen anzusehen ist. Ihr sei klar, dass sie es besser habe als die, die in der Ukraine sind oder die von dort aus flüchten, sagt sie und gibt zu: „Ich habe am Anfang wegen des Krieges richtig viel geheult.“

Aber sie hat für sich einen Weg gefunden, damit umzugehen: Helfen. Und zwar denen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Auch wenn ihr am Anfang wohl kaum klar gewesen sein dürfte, welches Ausmaß ihr persönlicher Einsatz noch annehmen wird.

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Als ihre Freundin nachgefragt habe, ob sie nach Deutschland kommen könne, erkundigte Rengevych-Bredt sich schon mal nach einer Wohnung. „Da war es noch nicht so, dass Städte die Leute untergebracht haben, sondern dass die eher privat untergekommen sind“, blickt sie zurück. „Irgendwann riefen mich immer mehr Leute an.“ Deutsche wollten über sie Wohnungen vermitteln, Ukrainerinnen und Ukrainer wollten über sie an eine Bleibe kommen.

Zur Schnittstelle geworden

Die Gevelsbergerin entwickelte sich zur Schnittstelle. Leute gaben ihre Telefonnummer weiter. Sie fing an, sich zu organisieren. „Ich habe Listen gemacht. Wer braucht eine Wohnung? Wer bietet eine Wohnung? Welcher Stock? Wie viele Leute?“, erklärt sie. „Es haben so viele angerufen, dass ich zwischendurch nicht mehr ans Telefon gegangen bin.“

Dass die 33-Jährige überhaupt die Möglichkeit hat, sich in diesem Maße zu kümmern, liegt daran, dass sie gerade in Elternzeit ist. Normalerweise arbeitet sie als Floristin. Gleichwohl habe sich die Situation auch wieder etwas beruhigt. „März und April waren die heftigste Zeit“, sagt Anna Rengevych-Bredt. „Heute gibt es Tage, da hab ich weniger zu tun. Dann gibt es Tage, an denen viel auf einmal kommt“, weiß sie.

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Es blieb nicht beim Wohnungen vermitteln. „Ich habe Leute von Berlin nach Gevelsberg gelotst“, erinnert sie sich. „Mitten in der Nacht war ich deswegen auf und habe telefoniert. Fast jede Nacht. Das war der Horror.“ Ab Ende März, Anfang April sei es auch um behördliche Angelegenheiten gegangen. Anmeldungen für erste Hilfen zum Beispiel. „Da musste man erstmal zum Sozialamt, um sich auszuweisen“, sagt sie. „Wenn Du Kinder hast, musstest Du dich auch anmelden, falls Du später eine Betreuung willst.“

Hilfsangebote vermittelt

Sie gab Informationen über Hilfsangebote weiter. Wo ist die nächste Tafel? Wo gibt es Angebote für Kinder? Wo russischsprachige Ärzte? Wer bietet psychische Betreuung? „Die christliche Gemeinde Schwarzer Weg in Ennepetal hatte eine Kleiderkammer organisiert“, nennt die Gevelsbergerin ein weiteres Beispiel für Hilfsangebote.

Anna Rengevych-Bredt beim Gespräch mit der Redaktion am Berger See in Gevelsberg.
Anna Rengevych-Bredt beim Gespräch mit der Redaktion am Berger See in Gevelsberg. © WP | Max Kölsch

Über den Nachrichtendienst Whatsapp richtete sie eine sogenannte Gruppe ein, in der mehrere Personen auf einmal miteinander kommunizieren können. 145 Ukrainer aus dem gesamten Ennepe-Ruhr-Kreis sind darin aktuell organisiert und informieren sich so über Hilfen.

Später folgt eine zweite Gruppe, in der es um nützliche Dinge für die Wohnung geht. „Viele sind mittlerweile in ,eigene’ Wohnungen umgezogen“, erklärt Anna Rengevych-Bredt. So vermittelt sie Küchenutensilien, Kinderwagen und mehr. „Deutsche schicken mir zum Beispiel Fotos, wenn sie ausmisten. Ich vermittel das dann weiter“, sagt sie.

Ärger mit der Bürokratie

Die Geflüchteten seien dankbar, sagt sie. „Die Ukrainer nehmen die Hilfe gut wahr“, so die 33-Jährige. „Manchen kamen am Anfang Freudentränen, weil sie nicht erwartet hatten, dass man sie hier so aufnimmt und sogar Wohnungen zur Verfügung stellt.“

Seit zwölf Jahren in Gevelsberg

Bevor sie der Liebe wegen nach Gevelsberg kam, hat Anna Rengevych-Bredt in der Ukraine nahe der östlich gelegenen Millionenstadt Dnipro gelebt und studiert. Vor zwölf Jahren verschlug es sie dann zu ihrem Ehemann nach Deutschland.

In der Ukraine hatte sie studiert, um Übersetzerin für Englisch und Deutsch zu werden. Englisch konnte sie schon, Deutsch hat sie hinterher in Deutschland richtig gelernt. Hier machte sie eine Ausbildung zur Floristin.

Sie gibt aber auch zu, dass es Probleme gegeben hat. Streit unter den Ukrainern selbst, aber auch mit Deutschen. „Da habe ich dann vermittelt“, sagt sie. Was den Geflüchteten außerdem große Schwierigkeiten bereite, sei die deutsche Bürokratie. „Man braucht eine Aufenthaltserlaubnis, bevor man ins Jobcenter kann, dafür muss man dann erst einen Antrag stellen“, schildert sie eine beispielhafte Situation. „Bei der Ausländerbehörde wartet man aber lange.“

Mit ihrer Unterstützung aufzuhören, kann Anna Rengevych-Bredt sich im Moment trotz aller Widrigkeiten, die es mitunter gibt, nicht vorstellen. „Auch wenn ich zwischendurch schon mal am Ende meiner Kräfte war“, gesteht sie ein. Sie fühlt sich den Geflüchteten durch ihre eigene Herkunft verbunden. Und auch durch ihren Glauben fühlt sie sich ein Stück weit verpflichtet. „Ich bete für mein Land“, macht sie deutlich. „Es tut mir gut, zu helfen und nicht tatenlos zuzusehen.“