Gevelsberg. Langsam neigt sich der Prozess gegen die Gevelsberger Richterin, dem Ende entgegen. Ihr droht lange Haft. Wieso hat sie Warnungen missachtet?
Kopfschütteln, Verzweiflung, Unverständnis – obwohl zahlreiche Kollegen die Gevelsberger Richterin, die am Lüdenscheider Amtsgericht Urteile nicht geschrieben hat und versucht haben soll, dies zu vertuschen, immer wieder darauf angesprochen haben, dass dies eine sehr ernste Angelegenheit ist, hat sie dies offenbar zu keiner Zeit ernst genommen. Wie ernst die Sache allerdings ist, wird sich bis Ende der Woche zeigen. Je nachdem, wie das psychologische Gutachten des Sachverständigen ausfällt, wird die Frau im Falle eines Urteils für mehrere Jahre ins Gefängnis gehen.
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Dr. Nikolaus Grünherz, der eben dieses Gutachten schreibt, und am Donnerstag erstatten wird, hörte dementsprechend ganz genau hin, was ein Richter, der mit der Angeklagten gemeinsam in Lüdenscheid arbeitete, über diese zu berichten hatte. Er zeichnete ein differenziertes Bild, das sich in vielen Dingen mit den Aussagen der anderen Zeugen, die die Frau persönlich kannten, deckt. Sie sei eine fachlich ausgezeichnete Kollegin gewesen, bei der sich andere Richter gern Rat holten, anerkannt bei der Staatsanwaltschaft ebenso wie unter den Verteidigern. „In der Prozessführung war sie mit Sicherheit besser als ich“, sagt der Kollege. Sie sei eine taffe Frau gewesen, die immer erst dann richtig warm lief, wenn es kompliziert geworden sei, die hunderte Fälle ausgezeichnet bearbeitet hätte. Gut vernetz, hoch geschätzt, sehr intelligent, stets distanziert – „eine Frau, die ihren Job wirklich liebte. Sie war niemals überfordert“, lautet die Einschätzung des 47-Jährigen.
Tragweite nicht erkannt
Die beiden kennen sich seit vielen Jahren, sprechen über Berufliches, ebenso über Privates. Da war es nichts Außergewöhnliches, dass der Richter seine gute Kollegin darauf ansprach, dass Unregelmäßigkeiten aufgetaucht seien. Sie habe geantwortet, dass sie sich dann mal darum kümmern müsse. Immer wieder habe er ihr mitgeteilt, dass die Sache ernst für sie werde. Eindruck hinterließ ein Gespräch, als er sich am Wochenende privat bei ihr gemeldet habe, kurz bevor im Februar 2020 das Disziplinarverfahren durch den Präsidenten des Hagener Landgerichts eingeleitet wurde. „Sie hat geantwortet, dass sie ja dann am Montag sehen werde, was in ihrem Mailfach sei.“ Er habe zu diesem Zeitpunkt, aber auch davor und danach nicht den Eindruck gehabt, dass sie die Tragweite, die Konsequenz ihres Handelns verstanden habe. „Ich habe dann zu meiner Frau gesagt: ,Jetzt ist es amtlich, die hat eine Macke’“, sagte der Richter im Zeugenstand. Es sei für ihn vollkommen unverständlich, warum die Kollegin, die er schätzt und mag, Urteile liegen gelassen habe, „die eine Sache von fünf Minuten waren.“
Die Richterin selbst hatte bei ihrer Einlassung zum Prozessauftakt von einer Blockade gesprochen, ihren Therapeuten zitiert, und eine psychologische Unstimmigkeit nach dem Modell Siegmund Freuds ins Feld geführt. Doch erklärt das auch den Eindruck, des Richters, dass sie nicht an sich herangelassen habe, welche Folgen ihr Handeln mit sich bringt? Ein Eindruck, den auch der Oberstaatsanwalt teilt, der die Durchsuchung ihrer chaotischen Wohnung geleitet hatte. „Sie stand neben mir und sprach, als ob wir Kollegen wären. Sie wirkte distanziert, gefasst, ruhig“, fasste er den Morgen zusammen, als er mit mehreren Polizisten um 8.50 Uhr bei ihr klingelte, anschließend die Wohnung und den Keller durchsuchte, wo die Akten mehrerer nicht bearbeiteter Fälle lagerten. Ein Eindruck, der sich auch zum Prozessauftakt bei einigen Verfahrensbeteiligten verfestigte, bei denen sie ebenfalls ankam, als wolle sie einen Plausch unter Kollegen halten und nicht wirklich verstanden habe, was die Anklage für sie bedeutet.
Lange Haftstrafe möglich
Im schlimmsten Fall wären dies mehr als vier Jahre Haftstrafe, womit sie auch nicht mehr als Freigängerin unterwegs sein dürfte. Sollte Dr. Nikolaus Grünherz nicht zu dem Schluss kommen, dass bei ihr eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegt, sieht das Gesetz auch für den am wenigsten brisanten Fall eine Mindeststrafe von einem Jahr vor. Dies allein zöge schon die Aberkennung des Beamtenstatus nach sich.
Nach dem Gutachten, ist derzeit geplant, dass Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers halten, bevor die Kammer um den Vorsitzenden Richter Christian Potthast am Freitag ihr Urteil sprechen wird.