Gevelsberg. Zahlreiche Akten sind verschwunden, mehr als 40 Urteile nicht aufgeschrieben worden: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Richterin.

Einen solchen Durchsuchungsbeschluss haben die Polizeibeamten nicht jeden Tag auf dem Tisch. Im Fokus: eine Amtsrichterin (36) aus Gevelsberg. Gegen sie wird wegen Rechtsbeugung, Strafvereitelung und Urkundenfälschung ermittelt. In einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht Hagen war vorige Woche aufgefallen, dass das Urteil der ersten Instanz des Amtsgerichts Lüdenscheid in der Akte fehlte.

Es ist aber nicht verloren gegangen – es wurde schlicht nie geschrieben. Das wird der Richterin, die in Gevelsberg wohnt, nun zum Vorwurf gemacht. Die Juristin soll in mehr als 40 Fällen nach der mündlichen Urteilsverkündung im Gerichtssaal keine schriftliche Begründung abgefasst haben.

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Auch seien gut zehn Akten gänzlich verschwunden. Das berichten die Lüdenscheider Nachrichten und bezeichnen es als „eine Methode des Liegenlassens und Nichterledigens“. Sowohl Strafsachen als auch Familiensachen wären betroffen. Das ist besonders heikel, weil es dabei unter anderem um das Umgangs- und Sorgerecht oder um Kindeswohlgefährdung geht.

Mehrere Monate nach Bekanntwerden ihrer Versäumnisse hatte sich die Richterin aus Gevelsberg in ihrer Lüdenscheider Dienststelle krankgemeldet. Seit dem 1. September gilt sie offiziell als nicht dienstfähig. In der Zeit davor hätte sie gegenüber ihrer Dienstaufsicht, dem Präsidenten des Landgerichts Hagen, zwar stets Besserung gelobt, doch sei es bei Versprechungen geblieben, so die Lüdenscheider Zeitung.

Daraufhin hätte Präsident Prof. Dr. Dieter Coburger „mehrere Beauftragte“ zum Lüdenscheider Amtsgericht geschickt, „zur Sichtung und Sicherstellung von Akten und Korrespondenz im Büro der Beschuldigten“. Gefunden worden seien „zahlreiche Postsendungen in den Schreibtischschubladen – ungeöffnet, ungelesen, unbearbeitet“.

Bei der Durchsuchung der Privatwohnung der Richterin aus Gevelsberg entdeckten die Ermittler Umzugskartons im Keller: darin stapelweise Akten mit unerledigten Fällen. Kurz darauf musste die Juristin ihre dienstlichen Schlüssel herausgeben. Sie hat keinen Zugang mehr ins Lüdenscheider Gerichtsgebäude und in ihr Büro.

Auch Strafverfahren möglich

Gerichtssprecher Bernhard Kuchler fasst sich auf Nachfrage zu dem Fall kurz: „Zu Personalangelegenheiten sagen wir nichts. Das ist Sache des Ministeriums.“

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Dort braucht man 24 Stunden, um auch nichts zu sagen: „Es kann bestätigt werden, dass der in Rede stehende Sachverhalt aktuell Gegenstand einer dienstaufsichtsrechtlichen Prüfung ist.“

Mehr könne aus Personaldatenschutzgründen nicht herausgegeben werden.

Doch der Bochumer Oberstaatsanwalt Paul Jansen verrät, dass gegen die Gevelsberger Juristin wegen Rechtsbeugung ermittelt wird – auch Strafvereitelung im Amt und Urkundenfälschung stünden im Raum.

Dass Richter in den Tatverdacht der Rechtsbeugung geraten, kommt eher selten vor. Neben dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bochum, das sich mit einer Anklage zu einem Strafverfahren ausweiten könnte, läuft auch noch ein Disziplinarverfahren durch die vorgesetzte Dienstbehörde.

Zudem befasst sich das Dienstgericht für Richter im Justizministerium NRW mit der Angelegenheit. Geprüft werden Sanktionen wie die vorläufige Amtsenthebung oder die Kürzung von Dienstbezügen.

Für die Gevelsbergerin könnte es schwierig werden, jemals wieder als Richterin zu arbeiten. Ihr Anwalt Martin Cordt ist dennoch optimistisch, seine Mandantin unbeschadet durch die Straf- und Disziplinarverfahren bringen zu können. Sie leide an den Symptomen einer psychischen Erkrankung und befinde sich bereits in einer Therapie.

Traumberuf für Beschuldigte

In ihrem Fall ginge es weder um Burnout noch um Faulheit. Ihr sei es, so ein Gutachter, nur nicht immer möglich gewesen, den Umgang mit den Akten zu steuern. Diese Krankheit sei nicht chronisch. Die Richterin betrachte ihre Tätigkeit noch immer als „absoluten Traumberuf“.