Beckum. Ein Sturm lässt das Dach von Familie Raschka einstürzen. Der Kreis fürchtet Gefahr für Leib und Leben - und reißt das Fachwerkhaus ab.
Es ist der Albtraum eines jeden Hausbesitzers: Ein Sturm deckt nicht nur das Dach ab, sondern lässt es gar einstürzen. Genau das ist in Beckum passiert. Mittlerweile ist das gut 300 Jahre alte Fachwerkhaus an der Dorfstraße, in dem Familie Raschka lebte, dem Erdboden gleich gemacht worden. Die Eigentümer stehen vor den Trümmern ihrer Existenz - und attackieren den Märkischen Kreis, der aus ihrer Sicht überhastet und ohne Rücksprache beim Abriss vorging.
Existenz einer Beckumer Familie binnen einer Woche zerstört
Eigentlich wollte Familie Raschka in Beckum den Lebensabend genießen. In den eigenen vier Wänden. Doch daraus wird nichts mehr. Das 300 Jahre alte Fachwerkhaus an der Dorfstraße, das das Ehepaar seit 2001 in liebevoller Arbeit restauriert und umgebaut hat, steht nicht mehr. Warum, darüber kann die Familie derzeit nur rätseln.
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Am 28. April stürmt es im Dorf. Dabei stürzt ein Teil der alten Lehmdecke des Fachwerkhauses ein. Keine 24 Stunden später, so berichtet es Schwiegertochter Sophie Hemke, hätten bereits Mitarbeiter der Bauaufsicht des Kreises vor der Haustür gestanden, um sich einen Überblick zu verschaffen. 30 Minuten hätten die den Schwiegereltern dann Zeit gegeben, das Nötigste einzupacken und das Haus zu räumen. Einsturzgefahr. Seither haben die Eigentümer keinen Fuß mehr in ihr Heim gesetzt und sind zwangsläufig bei ihren Kindern untergekommen. Doch dabei bleibt‘s nicht. Die Kreis-Bauaufsicht macht schnell Nägel mit Köpfen, wie Sophie Hemke erzählt. Und am Ende blieben demnach nur zwei Optionen: Wenn es trocken bleibt, soll eine großflächige Plane über das Haus gespannt werden, ehe die Reparaturen losgehen. Fängt es an zu regnen, bleibe nichts weiter als der Abriss des 300 Jahre alten Fachwerkhauses. „Ich hab‘ mit allen möglichen Leuten telefoniert und auch eine Firma gefunden, die es repariert hätte“, sagt Hemke. Punkte, die ein Statiker den Eigentümern auflistet, hätten so abgearbeitet werden sollen. Das Problem: So kurzfristig gibt‘s für Familie Raschka keinen Platz in den Auftragsbüchern von Zimmerleuten.
Gleichwohl: Die Angehörigen seien vom Kreis aufgefordert worden, „Auftragsgegenstand und Auftragsvergabe bis Donnerstag, 2. Mai, 12 Uhr, schriftlich nachzuweisen“, erklärt Kreis-Pressesprecher Alexander Bange dazu auf WP-Anfrage. Ein entsprechender Nachweis sei leider nicht fristgerecht vorgelegt worden. „Maßnahmen zur Sicherung blieben gänzlich aus“, so Bange weiter. Das Problem: Der nächtliche Regen durchnässt Dachstuhl samt Fachwerkwänden. Es droht Einsturz.
Zu einer Reparatur kommt es so schlussedlich nicht. Vergangenen Freitag, 3. Mai, bemerkt Hemkes Ehemann Dominik Raschka zufällig, wie Menschen über das Grundstück seiner Eltern schlendern. Es sind Mitarbeiter eines Abrissunternehmens, die sich ein Bild machen wollen, ehe die großen Maschinen anrücken. Die Kreis-Bauaufsicht habe laut Hemke entschieden, dass Gefahr im Verzug sei und ein Abriss unumgänglich sei. Das bestätigt der Kreis auf WP-Anfrage. „Vor diesem Hintergrund hat sich die Bauaufsicht noch am 3. Mai entschieden, erforderliche Maßnahmen einzuleiten und die drohenden Gefahren für Leib und Leben durch Rückbau oder Abriss des Gebäudes schnellstmöglich zu beseitigen.“
Parallel zu den Vorbereitungen wird ein Bauzaun samt Ampelanlage an der Dorfstraße aufgestellt - und den Eigentümern prompt in Rechnung gestellt. Kostenpunkt nach drei Tagen im Einsatz: 600 Euo. „Das alles ist ohne Absprache mit den Schwiegereltern passiert“, kritisiert Sophie Hemke. Schriftstücke habe der Kreis zu keiner Zeit vorgelegt. „Wir haben alles mündlich in Erfahrung bringen müssen.“
Vorgang glich einem Durcheinander
Einen Tag später, am 4. Mai, passiert das, was die Familie eigentlich für unmöglich hielt: der Abriss. „Wir haben uns das Spektakel unter Tränen angeschaut“, sagt Hemke im Gespräch mit der Westfalenpost. „Meine Schwiegereltern waren machtlos. Innerhalb einer Woche ist eine ganze Existenz zerstört worden.“ Zeit, einen Anwalt zur Anordnung des Kreises hinzuzuziehen, habe die Familie nicht gehabt. Der gesamte Vorgang habe einem einzigen Durcheinander geglichen.
Um zumindest für den Übergang eine Bleibe zu finden, hat Sophie Hemke inzwischen eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Knapp 1000 der als Ziel gesetzten 100.000 Euro sind seit dem Wochenende bereits zusammen gekommen. Das Problem: Der Abriss des Fachwerkhauses werde wohl alleine in die tausende gehen. „Beim Ausräumen der beiden Wohnungen sind einige Dinge kaputt gegangen. Aber ich bin froh, dass schon ein paar Spenden eingegangen sind“, sagt Hemke. Alleine würde ihr 80-jähriger Schwiegervater das wohl nicht mehr fertig bringen.
Nachträgliche Ordnungsverfügung regelt Kosten
Ganz so will der Kreis die Vorwürfe allerdings nicht stehen lassen. „Das besagte Gebäude musste leider abgerissen werden, weil es unmittelbar einsturzgefährdet war. Es bestand demnach Lebensgefahr für Anwohner, Passanten und weitere Dritte“, erklärt Kreis-Pressesprecher Alexander Bange auf Anfrage der Westfalenpost. Nach einer ersten Ortsbesichtigung am Tag nach dem Unglück habe die Bauaufsicht des Kreises dem in dem Gebäude wohnenden Ehepaar die Nutzung untersagen müssen - „ausdrücklich zum Schutz von deren Leib und Leben“. Dem Ehepaar sei selbstverständlich die Chance gegeben worden, Inventar und Persönliches aus dem Gebäude zu holen. Die Dorfstraße wurde im unmittelbaren Gefahrenbereich halbseitig gesperrt.
„Im Rahmen einer nachträglichen Ordnungsverfügung über den Sofortvollzug der Ersatzmaßnahme wird die Kostenübernahme durch die Ordnungspflichtigen zu regeln sein. Das bedeutet: Die Kosten der Maßnahme tragen die Eigentümer“, erklärt Kreissprecher Alexander Bange. Aus Sicht der Bauaufsicht sei dieses Vorgehen „zwingend erforderlich und rechtlich geboten“ gewesen.