Hüsten. Seit Sommer 2023 arbeitet die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Hochsauerland in Hüsten - und ist oft mit Kritik konfrontiert. Was sagt sie dazu?

Notfall. Der Rettungshubschrauber kommt. Zeitgleich fährt ein Krankenwagen mit Blaulicht vor. In der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Klinikums Hochsauerland in Hüsten warten zudem im Foyer Menschen mit kleineren Notfällen. Alltag im Leitstand: Patienten werden aufgenommen, gesichtet und nach einem fest vorgeschriebenen System triagiert. Zeit rettet Leben - deswegen haben die dringenden Fälle Vorfahrt. „Nach spätestens zehn Minuten muss ein Patient von speziell geschulten Pflegekräften oder einem Arzt triagiert sein“, erklärt Dr. Kevin Pilarczyk. Er ist seit Beginn vergangenen Jahres Chefarzt der Kliniken für Intensiv- und Notfallmedizin und maßgeblich am Aufbau der ZNA in Hüsten beteiligt gewesen. „Ab dann läuft für jeden Patienten die Stoppuhr“, erzählt er.

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Und diese Uhr gibt es nicht nur im übertragenen Sinne. Im Leitstand der ZNA, wo bis zu drei Aufnahmeplätze besetzt und ein Oberarzt greifbar ist, zeigen Dashboards den Patientenstatus an. Bei jedem Patienten läuft eine Uhr. „So sehen wir immer, wer schon wie lange wartet“, erklärt Dr. Pilarczyk. Ihm ist die Kritik in sozialen Netzwerken über zu lange Wartezeiten bekannt. „Jeder Patient, der lange warten muss, ist einer zu viel“, sagt der Mediziner, „aber ist es am Ende auch ein typisches Merkmal einer ZNA. Wir haben begrenzte Ressourcen.“

Der Rettungshubschrauber vor der ZNA in Hüsten
Der Rettungshubschrauber vor der ZNA in Hüsten © Martin Haselhorst

Und die sind eigentlich schon groß in der neuen ZNA, die quasi am Reißbrett als Neubau hyperoptimiert entworfen werden konnte. 25 Behandlungsplätze und drei Schockraumplätze - alle mit Monitoren überwacht - auf 2400 Quadratmetern. Hinzu kommen Räume mit hochmodernen CT-Geräten und Röntgentechnik, ein Herzkatheder- und ein neurologisches Labor sowie eine „Holding Area“, in denen Patienten auf Laborergebnisse und Weiterbehandlung auch über Nacht warten können und ständig von einer Pflegekraft beobachtet werden. „Die Nähe von CT und Schockraum war ja ein Argument für den Neubau“, erklärt Dr. Peter Lütkes. Seit dem 1. April ist er der Medizinische Direktor im Klinikum Hochsauerland.

Notfälle binden Ressourcen

Jeder Raum muss sofort einsatzfähig sein. „Es ist immer alles so vorbereitet, dass Patienten sofort behandelt werden können“, sagt Pilarczyk. Er spricht von Möglichkeiten „für eine Medizin auf Maximalversorgungsniveau“. Technik, Räume und Behandlungsplätze alleine machen keine ZNA aus. Es braucht Menschen. Fachkräfte aus Pflege und den Ärzteteams. Allein ein Schockraumplatz ist im Notfall im Kernteam mit mindestens sechs Personen besetzt. „Und die sind dann für mehrere Stunden gebunden“, so Pilarczyk.

Das Klinikum führt voll digitalisiert Statistik über seine Arbeit in der ZNA. So kennt man seine „Crowding time“, in der die ZNA erfahrungsgemäß am häufigsten besucht ist. „Wir haben daher ein sehr flexibles Schicht und Arbeitszeitmodell“, erklärt der Chefarzt. Genau aber, weiß man nie, wie es wirklich kommt. Seit Eröffnung sind 250 Notfallpatienten an einem Tag der absolute Höchstwert. „110 davon kamen in nur zwei Stunden“, erinnert sich Pilarczyk, „das ist dann mehr als Crowding Time. Wir haben da Fachärzte und Personal von den Stationen hinzubestellt.“ Stolz ist der Leiter der ZNA darauf, dass sich die Notaufnahme dennoch noch nicht ein einziges Mal abmelden musste.

Leitstand der ZNA Hüsten: Hier laufen die Fäden zusammen.
Leitstand der ZNA Hüsten: Hier laufen die Fäden zusammen. © WP | Martin Haselhorst

Es kann aber noch schlimmer kommen - beim „Worst Case“ in besonderen Lagen. Ein verunglückter Reisebus in der Region, ein Unglück bei einer Großveranstaltung. „Wir haben einen Katastrophenplan, der dann greift“, erzählt Pilarczyk. Diesen legt das Klinikum zum Beispiel auch dem Kreis und Land mit Blick auf denkbare Katastrophenszenarien rund um die Fußball-EM im Sommer vor. Für Kevin Pilarczyk aber ist klar: „Ab fünf Schwerstverletzten gleichzeitig ist jede ZNA am Limit.“ Vieles von dem bekommen die, die selbst nach Sport- oder Haushaltsunfällen zur Notaufnahme kommen, gar nicht mit.

Die ZNA in Hüsten arbeitet mit zwei unabhängig voneinander verlaufenden (aber verbundenen) Behandlungssträngen. Die einen kommen über die Liegendanfahrt mit Rettungswagen oder vom Hubschrauberlandeplatz, die anderen über den normalen Empfang. Wer dort nach der Triagierung wartet, sieht nicht, was in dem Notfallbereich mit Schwerverletzten, Herzinfarkten und Schlaganfällen vor sich geht. Und hier sei wichtig, dass die sogenannte „Door to needle time“ (übersetzt: Zeit von Betreten der Tür bis zur ersten Injektion) auf ein Drittel der früheren Reaktionszeiten reduziert werden konnte.

Einer der Behandlungsräume in der ZNA Hüsten.
Einer der Behandlungsräume in der ZNA Hüsten. © WP | Martin Haselhorst

Vor der Öffnung der ZNA hatte das Klinikum in seinen dezentralen Notaufnahmen 28.000 Patienten im Jahr gezählt. Nach einem spürbaren „Eröffnungseffekt“ und den nun eingependelten Zahlen geht Dr. Kevin Pilarczyk von 38.000 Notfallpatienten im Jahr in der ZNA Hüsten aus. Großen Zulauf gebe es insbesondere in den Triagierungskategorien „sofortige Behandlung“ (plus 95 Prozent), „sehr dringend“ (plus 50 Prozent) und „dringend“ (plus 75 Prozent). 45 Prozent dieser Patienten mündeten dann auch in einer stationären Aufnahme. „Diese Fälle binden die Ressourcen“, erklärt der Chefarzt und beschreibt damit zugleich den Flaschenhals, hinter dem sich die weniger dringenden, aber subjektiv trotzdem immer dramatisch empfundenen Fälle stauen.

Psychologie des Wartens

Der Arzt spricht von „einer Psychologie des Wartens, die mehr als 30 Minuten unerträglich erscheinen lässt“. Wert legt auch er darauf, dass die Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe und deren in Hüsten direkt benachbarten Notfallpraxis noch enger wird. „Da haben wir unsere Prozesse schon verbessert“, so Pilarczyk. Die Notfallpraxen der KV können und sollen Krankheitsbilder, die nicht zum Notfallbereich gehören, aufnehmen und so auch zur Entlastung der ZNA beitragen. Dazu bedarf es aber einer für Patienten verständlichen Navigation. Hier sind beide Seiten darum bemüht aufzuklären.

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Der 45-jährige Kevin Pilarczyk, der aus dem Ruhrgebiet stammt und derzeit noch zwischen Hüsten und seinem Familienwohnsitz in Großwittensee in Schleswig-Holstein pendelt, redet Wartezeiten nicht schön. Er betont aber, dass Patienten bei der Behandlungsreihenfolge immer „nach der durch die Manchester-Triage ermittelte Dringlichkeit und nicht nach ihrer Ankunftszeit behandelt werden“. Zugleich aber macht er ein Versprechen: „Kommst du mit einem wirklich schwerwiegenden Notfall, wird dir bei uns ganz schnell geholfen!“