Marsberg. . Vor 20 Jahren begründete der Marsberger Glashersteller Ritzenhoff seinen Ruf als Hersteller von Kult-Artikeln. Mehrere Hundert Designer weltweit arbeiten für das Unternehmen. Der Ruf als Produzent flippiger Glas-Kreationen - er begann mit einem Milchglas.
Für Biertrinker muss es wie der Vorhof zum Paradies sein: Biergläser von Krombacher, Veltins und Warsteiner stehen da vielversprechend neben denen von DAB, König Pilsener und Becks, darüber reihen sich Amstel und Heineken, Stella Artois und Estrella ein. Doch die Gläser bleiben leer, schließlich stehen sie ja nicht in irgendeiner Kneipe herum. Sie sind Beispiele für all die Brauereien, die bei Ritzenhoff ihre Gläser fertigen lassen. Weltweit bekannt wurden die Sauerländer jedoch nicht mit Biergläsern, sondern – aufgepasst: – einem Design-Milchglas. Als das Milchglas vor zwanzig Jahren auf den Markt kam, begründeten die Sauerländer einen Kult, dem Designer und Design-Fans bis heute ungebrochen frönen.
Milchglas gab den Anstoß
Manchmal sind es ja ganz einfache Anstöße, die etwas Besonderes auslösen. So wie damals, Anfang der 90er-Jahre, als ein Molkereiverband zur Ankurbelung des Milch-Absatzes ein hübsches Milchglas suchte. Ritzenhoff legte einen Entwurf vor, der dann doch nicht den Geschmack der Milchproduzenten traf. Sie lehnten ab. Die Marsberger aber brachten ihr Design-Glas mit den markanten Kuhflecken dennoch heraus, stellten es auf Messen vor – „und der Erfolg war bombastisch“, erinnert sich Detlef Eßbach, Vorstandsmitglied der Ritzenhoff AG. „Mit der Idee, ein schön gestaltetes Glas zusammen mit einem hochwertigen Geschenkkarton herauszubringen, waren wir die ersten auf dem Markt“, sagt er. Und staunt noch immer, wie schnell und vor allem dauerhaft Ritzenhoff mit seiner Design-Linie zum Kultobjekt wurde. Den Milch- folgten Bier- und Schnapsgläser, Champagner-Flöten und Sektkelche. Garant des Erfolges waren die ungewöhnlichen Glas-Bedruckungen. Dafür gewannen die Marsberger renommierte internationale Designer. Anfangs klopften sie selbst bei vielen Designern an, mittlerweile fragen viele Designer nach: Dürfen wir auch mal ein Glas verschönern?
In den vergangen 20 Jahren entstanden ganze Serien mit witzig-verspielten Motiven oder auch streng-geometrischen, bunten Mustern. „Anfangs haben wir die Designer sehr aufwändig gebrieft“, sagt Eßbach. Da wurden schon mal, um die Kreativen auf Sommermotive einzustimmen, ganze Sandkisten, Sonnenmilch und Strandschirme verschickt. Heute gibt Ritzenhoff eher Themen und Farben vor – wie beispielsweise den neuen „Hugo“-Gläsern, die von acht verschiedenen Designern gestaltet wurden, aber auf dem Sommer-Tisch durchaus nebeneinander ein stimmiges Bild abgeben.
Ritzenhoff-Entwürfe kommen von fast 300 Designer weltweit
Dass die flippigen Glas-Kreationen aus dem eher als bieder verpönten Sauerland stammen, dürfte die meisten der Käufer überraschen. Aber Ritzenhoff sieht das ganz entspannt und selbstbewusst. Inspiriert von den Marketing-Experten und Grafikern in Marsberg, kommen die Ideen und Entwürfe von Faïza Abou-Abdou aus Kanada, Riccardo Dalisi aus Italien oder Oscar Tusquets Blanca aus Spanien. Oder 297 anderen freiberuflichen Kreativen irgendwo zwischen Iserlohn und Vancouver.
Gefertigt, zum Teil sogar noch bei den aufwändigen Design-Gläsern in Handarbeit, wird bei aller Internationalität allein im Sauerland. Pro Jahr verlassen 36 Millionen Gläser die Fabrik im kleinen Ortsteil Essentho; nach dem Bau einer geplanten neuen Fertigungslinie sollen es im nächsten Jahr sogar 48 Millionen werden.
Den Großteil machen Biergläser aus. Kaum eine Brauerei in der Welt, die ihre Markenlabel nicht auf Gläser von Ritzenhoff drucken lässt. Mittlerweile haben die Sauerländer auch in den USA und Kanada im Bier-Geschäft gut Fuß fassen können. Wo früher Bier aus Pappbecher oder tumben Humpen getrunken wurde, stellen die Ritzenhoff-Manager einen Wandel zur Trinkkultur fest, die nach feineren Behältnissen fürs kühle Blonde verlangt.
So kann die Aktiengesellschaft, deren Anteilsscheine in Familienhand sind, auf eine rasante Umsatzentwicklung verweisen (siehe Infobox).
Aktiengesellschaft in Familienhand
Am Dienstag, 11. September 2012, eröffnet Ritzenhoff ein neues, zwei Millionen Euro teures Ausstellungszentrum. Händlern soll dort beispielhaft gezeigt werden, wie sie die Produkte präsentieren können.
Das Marsberger Unternehmen wurde 1800 gegründet, 1945 stieg der Glashändler Heinrich Ritzenhoff als Gesellschafter ein.
Gefertigt werden alle Gläser ausschließlich in der Fabrik in Marsberg. Geliefert wird in über 60 Länder.
In dem Werk arbeiten 430 Mitarbeiter. Die Aktiengesellschaft ist nicht börsennotiert, die Aktien befinden sich in Familienhand.
Der Umsatz stieg rasant – von 20 Millionen Euro im Jahr 1990 auf heute gut 70 Millionen Euro. Der Jahresüberschuss nach Rückstellungen beträgt zwei Millionen Euro. Der Exportanteil liegt heute bei 60 Prozent.
Seit 2005 vertreibt Ritzenhoff auch das Porzellan der australischen Marke „Maxwell & Williams“, die Australier vertreiben umgekehrt Ritzenhoff-Produkte auf der anderen Seite der Erde.
Design-Fan reiste um die Welt
Die weitere Entwicklung sieht Ritzenhoff sehr optimistisch – das drückt sich auch im neuen Showroom aus, der am Dienstag eröffnet wird. Ein architektonisch aufwändig gestalteter Ausstellungsraum, ganz in weiß, mit runden geschwungenen Formen, in denen die Design-Gläser, Tassen und Porzellanartikel präsentiert werden. Anders als der Fabrikverkauf im Nachbarort ist dieser Raum Großkunden vorbehalten. Allerdings würde Ritzenhoff-Vorstand Detlef Eßbach für Glas-Fans wie den schwedischen Golfprofi Stephen Liddell eine Ausnahme machen. „Als wir von seiner Sammelleidenschaft gehört haben, waren wir doch ein wenig überrascht – und auch etwas stolz“, gibt Eßbach zu. Liddell besitzt alle Ritzenhoff-Milchgläser seit 1992 – und er reiste um die ganze Welt, besuchte jeden der Designer, um sich das Glas persönlich signieren zu lassen. Wenn das kein Kult ist!