Bigge. Eine Mutter am Limit: Die Sauerländerin Antje Christine Humpert pflegt ihre schwerstbehinderte Tochter. Sie brauchen dringend 100.000 Euro.
Simone Biermann will ihrer Schwester helfen. Antje Christine Humpert ist alleinerziehende Mutter einer mehrfach schwerstbehinderten Tochter. Wie die kleine Familie aktuell lebt, ist nicht mehr tragbar. Nicht nur braucht Amelie dringend eine passende Schule, ihre Mutter möchte auch ein neues Zuhause für sie finden. Ihre Schwester Simone Biermann ist durch Zufall auf Gofundme gestoßen, die Spendenseite im Netz. „Ich will Geld sammeln, um ihr bei ihrem Neustart zu helfen.“ Der Westfalenpost erzählen die Schwestern in mehreren Gesprächen, wie heraufordernd und einsam es ist, in Deutschland eine pflegende oder alleinerziehende Mutter zu sein.
Simone Biermann sorgt sich um ihre Schwester
Simone Biermann faltet die Hände auf dem Tisch. Aus ihrem Wohnzimmerfenster hat sie einem atemberaubenden Blick auf die Umgehungsstraße nach Winterberg. Sie konzentriert sich, während sie spricht. „Der Spendenaufruf soll kein Bettelbrief sein. Wenn meine Schwester wieder gesund ist, dann kann sie wieder arbeiten gehen. Aber sie baut ab, wird immer dünner und schwächer. Sie hat keine Kraft mehr.“ Simone Biermann sorgt sich um ihre Schwester. Deswegen der Aufruf. 100.000 Euro will sie für ihre Schwester sammeln, rund 2400 Euro sind schon zusammengekommen.
Mit nur 410 Gramm nach 22 Schwangerschaftswochen und vier Tagen geboren
Amelie wurde im Januar 2012 mit nur 410 Gramm nach 22 Schwangerschaftswochen und vier Tagen geboren. „Sie war so klein. Ich stand am Brutkasten. Dort lag sie an winzigen Infusionsschläuchen und sie war nicht einmal halb so groß wie meine Hand. “, sagt Simone Biermann. Schon in der Schwangerschaft, so schildert sie es auf der Spendenseite, hat der Leidensweg der Familie begonnen. Antje Christine Humpert war mit ihrem zweiten Kind schwanger, litt aber unter schwerer Übelkeit und anderen Symptomen. Nach einer komplizierten Geburt lag sie monatelang mit ihrer Tochter in einer Spezialklinik, kämpfte für ihre Amelie. „Es war ein Auf und Ab der Gefühle, ein ständiges Bangen um das Überleben der kleinen süßen Maus. Die Ärzte gaben wenig Hoffnung und die Überlebenschancen schienen von Tag zu Tag weniger zu werden. Sie fragten beide Eltern, ob sie die Maximalversorgung aufrecht erhalten möchten. Es zerriss den Eltern das Herz bei der Frage, denn für beide stand fest, dass sie alles nur Erdenkliche tun würden, damit ihr kleiner Schatz leben darf“, schreibt Simone Biermann. Amelie aber ist eine Kämpferin. Nach vielen Operationen und Behandlungen hat sie sich ins Leben gekämpft. Allerdings ist sie stark pflegebedürftig. Amelie ist Autistin. Sie ist blind, kann nicht allein gehen, sich nicht wie andere Kinder in ihrem Alter ausdrücken. Essen kann sie nur passiert zu sich nehmen, selbst Wasser wird mit einem Löffel angereicht. Antje Christine Humpert kümmert sich Tag und Nacht um ihre Tochter. Der Stress setzt der Familie zu, die Ehe von Amelies Eltern zerbricht. Wegen der Kinder wohnen Vater und Mutter in einem Zweifamilienhaus weiterhin zusammen, kümmern sich um die Kinder. Mittlerweile ist ihr Sohn volljährig und Antje Christine Humpert bereit, für die passende Schule für Amelie an einen anderen Ort zu ziehen. Doch für diese Veränderung braucht sie Hilfe, denn arbeiten kann sie aktuell nicht. Und da beginnen die Probleme.
Bei der Arbeit pflegte sie Patienten. Nach Feierabend und in der Nacht ihre Tochter
„Meine Schwester opfert ihr eigenes Leben für ihre Tochter, sie ist kurz vor einem Burnout“, sagt Simone Biermann. Eigentlich hat Antje Christine Humpert lange als Krankenschwester gearbeitet. Bei der Arbeit pflegte sie Patienten. Nach Feierabend und in der Nacht ihre Tochter. Amelie hat das Non-24-Syndrom, kann Tag und Nacht durch ihre Blindheit nicht unterscheiden. Manchmal war sie die ganze Nacht hellwach. Für Antje Christine Humpert eine Anstrengung, die an ihren Kräften zehrt. Unterstützung erhoffte sie von Pflegekräften zu bekommen. Die Krankenkasse lehnte dies ab. In ein Heim soll Amelie nicht. Hinzu kommen die Behördenkämpfe, die die Familie führen müssen. „Meine Schwester wollte ein Spezialfahrrad und einen Rehabuggy für Amelie.“ Mit dem Kinderwagen kann sie nicht nach draußen, dafür ist Amelie schon zu groß. Mit dem Fahrrad könnte Amelie mit einer Begleitperson fahren, mit dem Rehabuggy von ihrer Mutter spazieren gefahren werden. „Sie hat also bei der Krankenkasse angefragt. Die hat auf den Kreis verwiesen. Der Kreis hat den Antrag direkt abgelehnt.“ Ein Teufelskreis. Kräfteraubend. Irgendwann gibt Antje Christine Humpert ihren Job auf, um sich erst einmal voll und ganz um Amelie kümmern zu können.
„Meine Schwester hat keine Lobby“
Simone Biermann schüttelt den Kopf, ihr Gesicht ist ernst. „Familien, die zu pflegende Angehörige haben, müssen sich alles erkämpfen und bekommen keinerlei Wertschätzung.“ Die Olsbergerin arbeitet selbst in einer rehabilitativen Einrichtung für Menschen mit Behinderung und Handicap. Sie findet klare Worte: „Heimbewohner haben uns, wir können Druck machen und uns einsetzen. Aber insbesondere alleinerziehende Mütter haben niemanden in der Gesellschaft oder der Politik, die sie unterstützen. Meine Schwester hat keine Lobby. So viele Familien stoßen an ihre Grenzen während jeder in ihrem Umfeld es anscheinend besser weiß. Pflegende Familien werden von der Gesellschaft vergessen. Wir sind eine reine Leistungsgesellschaft und es wird erwartet, dass wir alle arbeiten gehen, aber meine Schwester ist allein, sie kann nicht arbeiten gehen. Viele verstehen nicht, wie viel physisches und psychisches Leid mit der Pflege von Angehörigen einhergeht. Und leider betrifft das in Deutschland größtenteils Mütter.“ Ein Satz, der sitzt.
Die einzigen, die auf Amelie aufpassen können, sind ihre Mutter, ihr Vater, ihr Bruder
Simone Biermann schildert, dass ihre Schwester versucht hat, Hilfe zu suchen. Sie habe versucht, Amelie in einer Förderschule unterzubringen. Dort kommt es allerdings zu einem schweren Sturz, Amelie verletzt sich im Gesicht. Auch bei der Kirche habe man angefragt, dort wurde allerdings darauf verwiesen, dass die Stadt zuständig sei. Die einzigen, die auf Amelie aufpassen können, sind ihre Mutter, ihr Vater, ihr Bruder. Manchmal eine Bekannte aus der Nachbarschaft. Es ist dringlich, Amelie ist schulpflichtig und muss eine passende Schule finden. Eine, in der die Klassen nicht zu groß sind. In der auf ihr Non-24-Syndrom und die anderen Bedürfnisse Rücksicht genommen werden kann.
Für die richtige Schule würde Antje Christine Humpert überall hin ziehen
Für eine solche Schule würde Antje Christine Humpert sofort umziehen. Das sagt sie in einem Telefongespräch mit der Westfalenpost. Nachdem ihre Schwester ihre Geschichte erzählt hat, findet sie ihre eigenen Worte. Für den Neustart in einem neuen Haus in einer anderen Stadt nahe einer passenden Schule braucht sie Startkapital. „Ich kann für einen Umzug keine neue Küche kaufen oder eine Kaution, geschweige denn Umzugskosten bezahlen.“ Antje Christine Humpert will kein Bürgergeld beantragen. Obwohl sie sogar ihre Krankenversicherung selbst bezahlt. Dennoch: „Das fühlt sich für mich nicht richtig an. Ich will auch wieder arbeiten gehen. Aber ich war völlig erschöpft bei der Arbeit, ich hatte Atemnot, ich hatte das Gefühl zu ersticken.“ Die Pflege auf der Arbeit und Zuhause raubt ihr ihre Kraft, sie ist am Limit. „Ich gehe abends erschöpft ins Bett und wache erschöpft auf. Ich funktioniere.“
Was Mütter leisten würde kaum wertgeschätzt
Sie tut alles, um Amelie zu fördern. Hat Gitarre gelernt, weil Amelie gut auf Musik reagiert. Kümmert sich um den Hund, der ihrer Tochter so gut tut. Um den Haushalt. Gleichzeitig kämpft sie, für die richtige Schule, die passenden Hilfsmittel. Nicht mal ein behindertengerechtes Auto bekommt sie.
„Was Mütter leisten, insbesondere pflegende Mütter, wird nicht gewertschätzt“, sagt sie. „Es wird gewertschätzt, dass Frauen arbeiten gehen, was ich leiste wird nicht anerkannt.“ Sie findet, dass die Arbeit, die sie 24 Stunden, sieben Tage die Woche leistet, als solche anerkannt werden solle. „Das muss mit einer normalen Arbeit gleichgesetzt werden, damit ich wenigstens sozialversichert bin“, sagt sie. Auch um ihre Zukunft, ihre Rente, sorgt sie sich: „Irgendwann werde ich im Rentenalter vielleicht eine Frau, die Flaschen sammelt um ihre Rente aufzustocken.“ Sie leistet viel. „Das muss doch dem selben Status entsprechen, als würde ich einer Arbeit nachgehen. Mit geht es nicht um das Geld. Ich will dass gesehen wird, was Mütter und pflegende Angehörige leisten. Ich will, dass diese Menschen durch Sozialversicherungen abgesichert werden, denn das haben sie verdient.“
Vor einigen Jahren war sie beim Arbeitsamt
Natürlich sei sie beim Arbeitsamt gewesen. Das ist einige Jahre her. Sie galt schnell als schwer vermittelbar. „Ich kann nur begrenzte Stunden arbeiten, musste daher einiges ablehnen. Schon hatte ich den Stempel, ich sei nicht vermittelbar. Daraufhin wurde ich jemandem zugeteilt, der Vorstellungsgespräche mit mir üben wollte.“ Die Termine empfindet sie damals als Schikane, ihr sei weder Freundlichkeit noch Empathie für ihre Lage entgegengebracht worden. Antje Christine Humpert will arbeiten, sie kann nur zur Zeit nicht. Sollte Amelie in eine Schule gehen, sich ein geregelterer Tagesablauf einstellen, vielleicht ist es dann wieder möglich.
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Mit dem Gofundme-Vorschlag ihrer Schwester tut sie sich am Anfang schwer. Sie will nicht, dass der Spendenaufruf als Bettelbrief verstanden wird. Einige Tage denkt sie darüber nach, bis sie zustimmt. Zu sehr drängt die Zeit auf Veränderung.
Spenden für einen Neustart
Simone Biermann schreibt bei Gofundme: „Ich möchte auf diesem Wege nun genügend Spenden sammeln für Amelie, damit ein passendes Zuhause gefunden werden kann und vielleicht ja sogar ein kleines Haus mit Garten, denn die Kleine liebt die Natur über alles. Wenn sie draußen schaukeln kann oder mit Lina im Garten ist, blüht Amelie auf und man sieht sie lächeln. Eine geeignete Förderschule mit ruhigem Klima und ausgelegt auf die speziellen Bedürfnisse von Amelie wären neben einem neuen Zuhause der Jackpot für Mama und Tochter. Wenn jemand solch eine Schule kennt, wäre es toll, Mama Antje die Informationen zukommen zu lassen. Über Spenden würde sich die Familie sehr freuen und könnte endlich mit Zuversicht in die Zukunft blicken.“
Gespendet werden kann unter www.gofundme.com/f/ein-zuhause-fur-die-kleine-amelie. Der Spendenbeitrag ist frei wählbar.