Marsberg-Erlinghausen. Lorenz Emmerich verarbeitet die Schicksalsschläge durchs Schreiben. Entstanden ist eine Geschichtensammlung: „Vier Flügel zum Himmel“.

Lorenz Emmerichs Buch beginnt mit einer Frage: „Weißt du noch, wie oft ich dir die folgende Geschichte erzählt habe, wenn du in den letzten schweren Wochen nicht einschlafen konntest?“ Sie richtet sich an seine Tochter: „Geliebte Cara“ ist die Überschrift seines ersten Kapitels in der Geschichtensammlung „Vier Flügel zum Himmel“, mit der er den Tod seiner zwei Töchter verarbeitet. Seine „geliebte Cara“ verstarb im Alter von fünf Jahren an Lymphdrüsenkrebs. Für den heute 62-Jährigen war es ein fast vernichtender Tiefschlag: „Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, stattdessen habe ich mich verschlossen. Meine Gefühle habe ich nicht gezeigt“, erinnert sich Emmerich an die Familientragödie.

Nur noch von einer Beatmungsmaschine am Leben gehalten

Seine Ehe überlebte diese Zerreißprobe nicht, und Emmerich verlor seinen Glauben an Gott. Doch das Leben gab ihm eine zweite Chance auf Vaterschaft, mit einer anderen Frau. „Wir nannten sie Sina Marie“, sagt Emmerich. Sie war bei ihrer Geburt vollkommen gesund, doch dann begannen die Anfälle – hunderte pro Tag. Kurz, doch häufig. Schließlich verlor Sina Marie das Sehen, das Hören. „Die Ärzte gaben ihr nur fünf Jahre“, erklärt er. Es sah aus, als würde sich diese düstere Vorhersage bewahrheiten, als Sina Marie mit fünf Jahren und einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus kam. Ihr Leben hing an Maschinen.

Die Eltern standen vor der unerträglichen Entscheidung, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden. Doch im Moment des Abschieds begann Sina Marie plötzlich wieder zu atmen – ein Wunder, das Lorenz Emmerich heute als Zeichen Gottes deutet. Sie lebte weitere fünfzehn Jahre, bettlägerig und pflegebedürftig, immer beruhigt durch den Gesang ihrer Mutter und die Geschichten ihres Vaters, bis sie im letzten Jahr endgültig im Alter von 20 Jahren an Christi Himmelfahrt verstummte.

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Doch wie verkraftet ein Vater den Tod seiner zwei Kinder? Das sei ein schwerer Weg gewesen, aber schon nach dem Tod der ersten Tochter begann der ehemalige Krankenpfleger und heutige Rentner mit dem Schreiben: „Ich war eigentlich immer kreativ, habe zu Schulzeiten sogar ein eigenes Science-Fiction-Fan-Magazin herausgegeben“, so Emmerich. Auch für den Marsberger Schachverein schrieb er Berichte. Nun wurde Schreiben zu seiner Therapie. Lorenz Emmerich, der seine Gefühle jahrelang unterdrückt hatte, bringt sie nun auf Papier – in Form von Engelsgeschichten. So handelt eine Geschichte davon, wie er mithilfe eines schottischen Priesters seinen Weg in den Himmel findet und durch einen Trick seine Töchter, jetzt strahlende Engelserscheinungen, mit in den Urlaub nehmen kann. Es sind ganz persönliche Geschichten und Erzählungen, die einen tiefen Einblick in das Seelenleben von Lorenz Emmerich erlauben: „Mir ist schon klar, dass vieles Träumerei und Fantasie ist“, aber für Emmerich erfüllen die Geschichten seinen größten Herzenswunsch: Dass seine beiden Töchter weiterhin ein Teil seines Lebens sind und bleiben werden.

Mutter zeichnet das Titelbild

Die Geschichten hätten ihm geholfen, mit dem Tod seiner Töchter umzugehen. Jetzt möchte er auch die Öffentlichkeit an seiner persönlichen Trauerbewältigung teilhaben lassen: „Ich habe mal mit einer Freundin darüber gesprochen und als die sagte, ich müsste die Geschichten unbedingt veröffentlichen, damit auch andere davon profitieren können, da war ich erst skeptisch. Mit ihrer Unterstützung habe ich mich dann aber getraut“, sagt Emmerich. Und auch seine Exfrau Elke Stracke, Mutter der verstorbenen Clara, beteiligt sich: „Sie hat das Titelbild gezeichnet“. Ein kleines Engelsmädchen ist nun das Coverbild für das Buch mit seinen 136 Seiten und seinen 21 Engelsgeschichten. Herausgegeben im Woll-Selbstverlag.

Das Cover zeigt ein Engelsmädchen. 
Das Cover zeigt ein Engelsmädchen.  © WP | Elke Stracke/Lorenz Emmerich

Im Vorwort seines Buches erzählt Emmerich von einer Begegnung mit einem Schmetterling. Er saß mit der Mutter von Sina Marie und ihrem neuen Ehemann am Twistesee, als sich der Schmetterling auf einem Arm niederließ. Die Eltern sahen sich an und wussten beide instinktiv: „Dieser Schmetterling wurde von unserer Tochter geschickt“. Bei Lorenz Emmerich bricht die Stimme, als er davon erzählt. Er muss sich die Tränen aus dem Auge wischen: „Ich weiß überhaupt nicht, wie ich die Lesung überstehe“, sagt er und lächelt wieder. Denn erst kürzlich hat der Autor eine freudige Nachricht bekommen: „Am 2. Juni lese ich in Obermarsberg aus meinem Buch vor“, kündigt er an, und auch ein weiteres Buch sei schon in Planung: „Vielleicht brauche ich dafür aber nur 12 Jahre, statt 24“, so Emmerich abschließend.

Lorenz Emmerich: Vier Flügel zum Himmel, Woll-Verlag, 2024, 12,80 Euro, ISBN 978-9-4037-3647-1, Kontakt zum Autor: seelensonne@gmx.net