Hochsauerlandkreis. Patienten sind sauer, weil sie beim Arzt nicht durchkommen. Ärzte aus Brilon, Olsberg und Winterberg sprechen Klartext über die enorme Belastung.
Jeder kennt es: Man braucht einen Termin, ein Rezept oder muss eine Frage loswerden - und niemand in der Arztpraxis geht dran. Warteschleife oder Besetzt-Zeichen beim sechsten Versuch sorgen für blanke Nerven. Das schildern auch Sauerländer auf WP-Anfrage ausführlich. Aber: Sowohl der Mediziner Tim-Henning Förster aus der Sauerlandpraxis, als auch die Kinderärzte Dr. Michael Ecken, Dr. Silvia Rummel und Dr. Christiane Bub schildern die Situation als belastend und geben einen erschreckenden Einblick in die Zahl der Anrufe.
Patienten im Sauerland sprechen von einer „absoluten Katastrophe“
„Keine Ahnung was sich geändert hat, aber hier kommt man kaum noch irgendwo durch“, schreibt Silke Walters. „Viele Praxen bieten eine Terminvergabe nur noch online an und es geht niemand mehr ans Telefon. Wenn man dann mal endlich einen Termin ergattern konnte, ist dieser oft Wochen wenn nicht sogar Monate entfernt.“ Sie ist nur eine von vielen Sauerländern im HSK, die ihre Ärzte nicht erreichen können. Ursula Maas schreibt schlicht: „Absolute Katastrophe, muss ich leider bestätigen.“ Andrea Schröder berichtet: „Unsere Hausärztin ist auch nur sehr schwer telefonisch zu erreichen. Da muss man echt viel Geduld haben und es immer wieder probieren.“ Ilona Primus sagt: „Leider habe Ich ebenfalls wiederholend diese Erfahrungen gemacht. Einen Termin bei der Gynäkologin zu vereinbaren war zeitweise unmöglich.“ Sandra Wismer berichtet: „Beim Kinderarzt habe ich an Spitzentagen über 50 Mal angerufen, um am Ende auf dem AB zu hören, dass man es aufgrund des erhöhten Patientenaufkommens später versuchen soll.“ Um welche Arztpraxen es sich handelt, schreiben die Betroffenen nicht.
Die meisten Anrufe werden angenommen bei Michael Ecken in Brilon
Die Westfalenpost hat in drei verschiedenen Arztpraxen nachgehakt, wie dort die Annahme der Telefonanrufe ablaufen und wie viele Anrufe eingehen, was die Medizinerinnen und Mediziner berichten ist erschreckend. Michael Ecken, Kinderarzt in Brilon, sagt: „Ich habe einen Blick in den Speicher meiner Telefonanlage geworfen, hier kommen die Fakten vom vergangenen Montag, dem 18. März: In der Zeit von 8.20 bis 9.20 Uhr sind bei uns 157 eingehende Anrufe aufgezeichnet worden.“ Innerhalb einer Stunde. Ecken: „Ein Großteil wurde von uns angenommen, eine kleine Zahl auch nicht, die allermeisten Anrufenden haben in der besagten Stunde also ein Besetztzeichen gehört.“ Wenn niemand in der Kinderarztpraxis ans Telefon gehe, liege das daran, dass sich die Empfangsmitarbeiterin zeitgleich um die Anmeldung eines Patienten kümmere. „Denjenigen widmen wir unsere volle Aufmerksamkeit, und in dessen oder deren Beisein wollen wir auch aus Datenschutzgründen nicht telefonieren“, betont Ecken. Während der Sprechstundenzeiten können Patienten die Praxis mit der genannten Ausnahme durchgehend telefonisch erreichen, eine Warteschleifenfunktion wird nicht genutzt. Außerhalb der Sprechstundenzeiten ist ein Anrufbeantworter geschaltet, der genaue Angaben zur Erreichbarkeit in der Mittagspause oder zum Kinder- und Jungendärztlichen Notdienst gibt.
Olsberger Kinderärztinnen haben manche Dienste online eingerichtet
Ähnliches schildern auch die Olsberger Kinderärztinnen Dr. Silvia Rummel und Dr. Christiane Bub. „Wir haben eine Medizinische Fachangestellte, die sich den ganzen Tag nur um das Telefon kümmert. Wenn sie auflegt, klingelt der Apparat sofort wieder.“ Die beiden Ärztinnen haben mittlerweile eine Struktur geschaffen, die dafür sorgen soll, dass so wenig Anrufe wie möglich eingehen. Es gibt eine Bandansage, Rezepte und andere Angelegenheiten lassen sich über einen Whatsapp-Dienst regeln. „Aber trotzdem klingelt das Telefon durchgehend.“
Briloner Kinderarzt bevorzugt noch immer Anrufe
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„Über eine Online-Terminbuchung haben wir immer mal wieder nachgedacht, uns aber letztendlich dagegen entschieden. Beim persönlichen Telefonat können alle nötigen Fragen von Seiten der Eltern und auch unsere Nachfragen zum genauen Gesundheitszustand der Kinder unmittelbar geklärt werden, sodass wir Dringlichkeit und Zeitumfang eines Termines besser einschätzen können“, erklärt Michael Ecken. „Oft ist dann auch eine direkte Weiterleitung des Gesprächs an mich nötig und möglich. Bei der telefonischen Bestellung eines Rezeptes können noch Details dazu besprochen werden, eine Beratung, die gerade im Hinblick auf das neu eingeführte E-Rezept wichtig ist.“ Telefonisch oder auch persönlich einen Termin zu vereinbaren sei in der Briloner Praxis besser als unangemeldet vorbeizukommen. „Zum Schutz aller Patientenfamilien versuchen wir weiterhin, möglichst ohne Wartezimmer zu arbeiten, was sich während der Corona-Pandemie bewährt hat, aber eine aufwändige Organisation erfordert“, so der Mediziner. „Natürlich sprechen uns die Familien auch darauf an, dass wir zeitweise – besonders montags nach dem Wochenende – telefonisch schlecht zu erreichen sind. Die meisten Betroffenen haben zum Glück Verständnis und auch die nötige Geduld, es ein zweites oder drittes Mal zu versuchen. Dafür sind wir sehr dankbar, denn auch bei uns gibt das ganze Team jeden Tag sein Bestes“, betont Ecken.
Sauerlandpraxis in Winterberg zählt täglich 300 Anrufe
Der Andrang ist allerdings nicht nur in Kinderarztpraxen riesig. Tim-Henning Förster von der Sauerlandpraxis schildert: „An einem Montag gehen circa 300 Telefonanrufe ein, Mails etwa 20 pro Tag. Wir haben gleich mehrere Optionen, in der Regel sind zu unseren Öffnungszeiten mehrere MFAs mit einem Telefon ausgerüstet, sollten alle im Gespräch sein gibt es ein KI gestütztes Programm, welches Rezeptwünsche oder Terminwünsche entgegen nimmt oder Rückrufbitten registriert. Außerhalb der Öffnungszeiten läuft ein Anrufbeantworter.“ Durch diese Ausstattung komme es nur noch selten dazu, dass Patienten mit Missmut reagieren, wenn sie niemanden erreichen. „In der Vergangenheit hatten wir diese Problematik häufiger, leider fehlt es dann oft an Verständnis, unsere MFAs bemühen sich dann die Situation zu erklären.“ Dennoch rät Förster: „Noch immer ist der Anruf sicher die beste Möglichkeit, das Anliegen kann in der Dringlichkeit von der MFA eingeschätzt werden und ein passender Termin vorgeschlagen werden.“