Hochsauerlandkreis/Winterberg. Die Kolonne der Landwirte auf ihrer Protestfahrt war beeindruckend. Sauerländer Bauern erzählen nun, wie sie selbst den Tag empfunden haben.
6 Uhr morgens. Der Tag der bundesweiten Demonstration von Landwirten und anderen Berufsgruppen ist angebrochen. Für mich geht es mit dem Trecker-Konvoi zum Flugplatz Schüren. Zugegeben, ich bin etwas nervös. Die teils völlig ausgearteten Diskussionen und Androhungen der vergangenen Tage vor allem in den sozialen Medien hinterlassen Spuren. Von „Heuballen-Hisbollah, Mistgabel-Mob, Trecker-Terroristen“ war da die Rede, politische Untergangsszenarien wurden herbeigeschrieben. Alles Dinge, die eigentlich überhaupt nicht zum Sauerland passen. Dennoch ein Stoßgebet: Hoffentlich geht heute alles gut, hoffentlich ziehen nicht Einzelne mit unbedachten Aktionen die Aufmerksamkeit weg vom Kern der Demo.
Bürger haben geklatscht und teilweise Verpflegung verteilt
Landwirt Christian Niggemann aus Hesborn nimmt mich auf seinem Trecker mit. Schon in Züschen zeigt sich die gute Organisation, es klappt alles auf die Minute: Die Teilnehmer aus dem Hallenberger Stadtgebiet fahren pünktlich beim Ortsverbands-Vorstand Bernhard Völlmecke vor und ziehen weiter nach Winterberg. Die Medebacher melden, dass auch sie mit rd. 40 Fahrzeugen auf dem Weg sind. Michael Schreiber ist einer von ihnen und schildert später seine Gänsehautmomente: „Als wir den Schlossberg hochgefahren sind und im Dunkeln die vielen Rumdumleuchten blinkten, war das schon besonders. Unterwegs haben Mitbürger geklatscht und teilweise Verpflegung verteilt. Das war echt supernett und zeigt, dass unsere Aktion richtig ist. Wir sind ja für vieles mehr unterwegs, was im Moment nicht richtig läuft, z.B. die Bürokratie oder die Planungsunsicherheit für Betriebe“.
Im Gewerbegebiet Remmeswiese sammeln sich alle und bringen sich in Startposition zur Weiterfahrt. Gespannte Vorfreude und Gemeinschaftsgefühl sind zu spüren. Neben Treckern sind auch zahlreiche LKW und Handwerker dabei, mehrere Polizei-Teams begleiten den Konvoi. Vor uns liegen drei Stunden Fahrt inkl. Wartezeiten nach Schüren. Viel Zeit zum Unterhalten und Verstehen, was die Landwirte an ihrem Beruf so schätzen und was sie jetzt zu den Protesten antreibt. Christian Niggemann erzählt vom Alltag, der hohen Arbeitsbelastung, aber auch wie stolz er auf seine Frau und die vier Kinder ist und wie alle zusammen den Familienbetrieb mit 80 Kühen und 40 Kälbern wuppen. Die aktuell geplanten Kürzungen würden für seinen Hof bis zu 12.000 Euro im Jahr weniger bedeuten. Aber es geht nicht nur um das Geld, sondern auch um die Wertschätzung und Gängelung der Landwirtschaft.
Sympathiebekundungen entgegenkommender Fahrer
Der Morgen dämmert, später kommt sogar die Sonne nach wochenlangem Regen heraus. Wir tuckern durch die sauerlandtypische Landschaft: Weite, mit Schnee und Raureif überzogene Wiesen, Berge, Wälder, Dörfer, oft mit alten Fachwerkhäusern und -höfen. Und alles ebenso sauerlandtypisch sehr gepflegt. „Guck mal, wie schön wir es haben. Das hier sehen wir jeden Tag. Als Landwirt hast Du den Beruf mit der schönsten Aussicht“, sagt Christian Niggemann, als wir auf Altenfeld und Bödefeld zufahren. Wie würde die Landschaft aussehen, wenn sie nicht mehr von den Bauern bewirtschaftet würde? Zwischendurch packen wir unsere Butterbrotdosen aus – dicke Bütterkes mit Wurst und Käse, ein paar Apfel-Schnitze. Hm, alles landwirtschaftliche Produkte.
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Beeindruckt und dankbar sind alle Mitfahrenden über die offensichtlichen Sympathiebekundungen entgegenkommender Fahrer und viele Passanten am Straßenrand, die teilweise extra gekommen sind. Der Gewerbeverein Siedlinghausen verteilt unterwegs 200 Lunchpakete.
Kritik: Politiker oft zu weit weg von den Sorgen der Basis
Lukas Althaus aus Liesen hat vor 12 Jahren einen Betrieb für Transportdienstleistungen sowie Erd- und Abrissarbeiten gegründet. Er und sein Team sind mit vier Fahrzeugen dabei – aus Solidarität mit den Landwirten, von denen viele seine Kunden sind. Aber auch, weil er selbst betroffen ist: „Im Dezember ist relativ unbemerkt von der Allgemeinheit die Maut um 85 Prozent angehoben worden. Das macht für uns 50.000 bis 60.000 Euro im Jahr aus.“ Die Politik fordere zudem den Einsatz von Fahrzeugen, die mit alternativen Kraftstoffen betrieben würden, es fehlten aber E-Ladesäulen oder Tankstellen für Wasserstoff. „Wir wollen ja was für den Klimaschutz tun, aber es muss auch ermöglicht werden.“ Die Politiker seien oft zu weit weg von den Sorgen der Basis, für die sie Regelungen treffe. „Gerade hier im Sauerland sind viele Unternehmer mit Leidenschaft dabei und gucken dabei nicht auf die Uhr. Macht es uns nicht noch schwerer.“
Vor Schüren stockt der Winterberger Konvoi fast eine Stunde, weil so viele Fahrzeuge aus anderen Richtungen auf den Platz wollen. Auf dem Flughafen-Gelände selbst füllt sich der Platz. Die Parkschlange auf dem Rollfeld wirkt unendlich, es kommen immer noch weitere Fahrzeuge, die mit Beifall begrüßt werden. Die Kundgebung verschiebt sich dadurch um anderthalb Stunden. Trotz schneidender Kälte warten alle geduldig, viele kennen sich, die Stimmung ist gut, herzlich und auch gespannt. Redebeiträge der Vertreter aus Land- und Forstwirtschaft bekommen viel Beifall. Bei den Politikern (die WP berichtete) wird auch Unmut laut, dennoch hören alle aufmerksam zu.
Abgrenzung der Veranstalter gegen rechts hat funktioniert
Die deutliche Abgrenzung der Veranstalter gegen rechts hat funktioniert – sofern überhaupt entsprechende Aktionen und Symbole geplant waren. Ein einziger Galgen ist an einem Trecker zu sehen, doch daran baumelt eine Kuhglocke. Viele Plakate üben deutliche, aber sachlich bleibende Kritik an der Regierung – das muss eine Demokratie aushalten. Polizeipressesprecher Michael Schemme attestiert der Demonstration mit ihren vier von der Polizei eskortierten Sternfahrt-Kolonnen und den unzähligen separat angereisten Besuchern einen „absolut störungsfreien Verlauf“. Eine verkehrstechnisch eine große Herausforderung sei hohe Teilnehmerzahl gewesen; durch das disziplinierte Verhalten habe es aber außer zeitlichem Verzug keine Probleme gegeben.
Auch Mitorganisator Bernhard Völlmecke ist absolut zufrieden: „Wir waren von der Anzahl total überrascht, auch von nichtlandwirtschaftlichen Teilnehmern. Leute zu motivieren war im Vorfeld gar nicht nötig, eher musste ausgebremst werden, damit nichts aus dem Ruder läuft. Die Fahrt ist ordentlich und diszipliniert abgelaufen, die politischen Reden fand ich schwach. Allen Teilnehmern ein großer Dank für die Unterstützung.“
So geordnet wie die Anfahrt verläuft auch der Rückweg. Wieder dämmert es, es wird Abend auf dem Trecker. „Es war toll, Teil von etwas so Großem zu sein“, sagt ein Mitfahrer später. Es geht ein Tag zu Ende, der nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Und der jeden einzelnen Bürger daran erinnern sollte, dass er schon beim Einkaufen seinen Teil zu einer guten Landwirtschaft beitragen kann.
Stimmen zum Protest
Wilhelm Kühn, Vorsitzender des Landw. Kreisverbandes HSK: „Der Tag ist friedlich und demokratisch verlaufen, es gab keine Störenfriede und besonderen Vorkommnisse. Dadurch, dass mehr Fahrzeuge in den Kolonnen waren, sind wir in Zeitverzug geraten, was aber der Stimmung keinen Abbruch tat, auch nicht bei der Kälte. Die Politiker haben meines Erachtens keine klaren Aussagen zu unseren Anliegen gemacht. Wir werden also weiter an dem Thema dranbleiben. Ein großer Dank geht an alle Teilnehmer, die sehr diszipliniert waren und alles picobello sauber hinterlassen haben.“
Dirk Wiese, MdB SPD: „Die friedlichen Proteste in Schüren waren vorbildlich organisiert. Die Kritik und Unzufriedenheit sind klar angekommen. Die erfolgten Korrekturen sind ein Schritt auf die Landwirtschaft zu. Wichtig bleibt, dass mehr Einkommen auf den Höfen ankommt und es eine klare Zukunftsperspektive für die nächste Generation gibt. Die von der Großen Koalition eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft oder die Borchert-Kommission hatten dazu gute Vorschläge gemacht. Diese sollten wir uns gemeinsam nochmal vornehmen.“
Dr. Gregor Kaiser, MdL Die Grünen: „Die klare Abgrenzung vom WLV gegen rechte Kräfte war gut und wichtig. Mir wurde im Gegensatz zur Kundgebung in Siegen trotz Buhrufen zugehört. Die Gespräche waren gut, allerdings ist die Verweigerung schwierig, den Kompromiss als Verhandlungsergebnis anzuerkennen. Ich biete den Bauern Gespräche an, um Landwirtschaft nach vorne zu entwickeln, Wertschöpfung auf die Betriebe zu bringen und den ländlichen Raum zu stärken. Auch den Handwerkern, Spediteuren etc. stehe ich gern zur Verfügung. Von Austausch, Akzeptanz und Kompromiss lebt die Demokratie.“
Carl-Julius Cronenberg, MdB FDP: Die jahrelange Frustration der Landwirte war deutlich zu spüren. Gerade unter SPD und CDU wurden zusätzliche Belastungen wie ein Glyphosatverbot oder eine neue Düngeverordnungen eingeführt. Die aktuellen Pläne der Regierung waren für viele Landwirte dann der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Diesen Fehler hat die Koalition jetzt zurecht korrigiert und eine praktikable und faire Lösung gefunden.