Hochsauerlandkreis. Bankautomaten-Sprenger flüchteten spektakulär über Titmaringhausen. Es ist bei weitem nicht der einzige Fall. Banken im HSK werden jetzt kreativ.
Vergangenes Jahr waren es landesweit 153 Fälle. Und das ist schon ein Rückgang von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In 69 Fällen blieb der Angriff im Versuch stecken. Die Rede ist von Sprengattacken auf Geldautomaten. Auch das Sauerland bleibt davon nicht verschont. Zuletzt gab es einen Versuch in Schmallenberg-Oberkirchen, bei dem kein Geld erbeutet, aber hoher Schaden angerichtet wurde. „Es grenzt an ein Wunder, dass bei der Vielzahl an Taten nicht schon Menschen verletzt oder gar getötet wurden“, sagt der Sprecher der Volksbank Sauerland, Frank Segref. Die Banken und Sparkassen müssen viel Geld in die Hand nehmen, um ihr Bares zu sichern. Und sie müssen viele Auflagen beachten, die im Zusammenhang mit der Polizei erarbeitet wurden.
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Die Sprengung von Geldautomaten – das wird ganz oben beim Landeskriminalamt angesiedelt. Zur Bekämpfung dieses Phänomens wurde in NRW eigens die zentrale Sonderkommission BEGAS (Bekämpfung und Ermittlung von Geldautomaten-Sprengungen) ins Leben gerufen. Seit 2015 gibt das LKA Handlungsempfehlungen für Betreiber von Geldautomaten. Außerdem steht die Polizei regelmäßig im Austausch mit den Vertretern der Kreditinstitute, der Geldautomaten-Hersteller, der Werttransportunternehmen und anderen Verantwortungsträgern. Neben Videoüberwachungen durch zentrale Sicherheitsleitstellen wird den Betreibern von Geldautomaten der Einbau von automatisierten Nebelanlagen, bessere mechanische Sicherung der Zugangsmöglichkeiten, der Verschluss des Zugangsbereiches in den Hauptangriffszeiten, der Einsatz von Geldfärbemitteln und die Installation neuartiger Pavillons mit massiver Stahlbetonrundkonstruktion empfohlen. Zudem wird geraten, die verfügbare Bargeldmenge in den Automaten zu reduzieren.
Hohe Schäden durch Sprengungen
Der von vielen geforderte Einsatz von Einfärbemitteln für das Bargeld soll übrigens auch nur noch bedingt Wirkung zeigen. Angeblich gibt es einen Schwarzmarkt wo – sinnbildlich gesehen – das Geld gewaschen wird und zu einem anderen Kurs wieder in Umlauf kommt.
Die Beutesummen und Sachschäden, die durch diese Taten entstehen, liegen im Bereich von mehreren Millionen Euro. So belief sich der durch die Banken angegebene Sachschaden im Jahr 2022 in NRW auf 13.835.412 Euro.
Die Polizei in Dortmund ist seit Juni 2023 zuständig für alle Geldautomaten-Sprengungen zwischen Siegen, Soest, Hagen und Bochum - und damit auch für Sprengungen im HSK. Eine Entscheidung des Innenministeriums. Insgesamt 20-mal versuchten Täter im vergangenen Jahr im Bereich des Kommissariats Dortmund Geldautomaten zu sprengen, so die Pressestelle der Polizei auf Nachfrage. Dabei habe es keine klare Linie gegeben. Es seien sowohl Automaten in Wohnhäusern darunter gewesen, als auch freistehende Pavillons an Bundesstraßen.
Schon Ende 2022 haben Sparkassen und Volksbanken im HSK ein Kooperationsnetzwerk gebildet und die Sicherheitsstandards erhöht. „Nach und nach werden die Vorgaben abgearbeitet. Sofort umgesetzt haben wir die Schließung der SB-Filialen von 23 bis 6 Uhr. Aber es gibt auch eine genaue Standortanalyse aller 29 SB-Filiale. Viel Arbeit, viel Logistik für die Geldinstitute“, so Segref.
Dort, wo die Automaten in Häusern untergebracht sind, die außerdem von Menschen bewohnt werden, sollen die Geräte nach und nach ganz verschwinden. „Ein markantes Beispiel hatten wir in Bad Fredeburg. Dort gibt es nach wie vor eine Bankfiliale, die mit Personal besetzt ist. Aber an der Stelle haben wir den Geldautomaten entfernt, weil oben drüber Wohnungen sind“, sagt Frank Segref. Eine Bankfiliale ohne Bargeld - eine Entscheidung, die manchem erst auf dem zweiten Blick einleuchtet. „Wir folgen damit auch den dringenden Empfehlungen der Deutschen Kreditwirtschaft und des Innenministeriums, aus Sicherheitsgründen konsequent zu handeln, damit keine Personen verletzt und weitere Sachschäden vermieden werden“, so Bankvorstand Andreas Ermeke. Die Bargeldversorgung in Bad Fredeburg ist aber weiterhin sichergestellt. An einer zentralen Stelle wurde ein neuer, speziell gesicherter Automat installiert. Vermehrt kommen inzwischen auch die empfohlenen Beton-Rotunden zum Einsatz. Sie kosten um die 80.000 Euro; die Herstellerfirma soll Lieferzeiten von einigen Monaten haben. In Schmallenberg-Dorlar wurde der ebenfalls in einem bewohnten Haus befindliche, gemeinsam mit der Sparkasse betriebene Automat deinstalliert. Stattdessen gibt es nun in einer benachbarten Bäckerei eine Terminal-Station, an der Geld abgehoben werden kann.
Volksbank-Sprecher Segref: „Wir sind gezwungen, flexibel und offen für neue Lösungen zu sein. Bei dem skrupellosen Vorgehen der Täter spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Jede Maßnahme, die wir ergreifen, zielt darauf ab, dass die Täter für einen Anschlag immer mehr Zeit benötigen und sie von vornherein erkennen, dass sie erfolglos bleiben werden. Je mehr Vorkehrungen getroffen werden, desto aufwändiger und zeitraubender wird es für potenzielle Täter. Und an der Stelle wird weiter intensiv gearbeitet.“
Ob die Attacke auf Geldautomaten langfristig auch zu einem anderen Zahlungsverhalten führt, wird sich zeigen. „Der Deutsche an sich und auch der Sauerländer lieben Bargeld. Aber schon bei Corona hat sich gezeigt, dass das umschlagen kann. Vor der Pandemie wäre es undenkbar gewesen, die Sonntagsbrötchen mit Karte zu bezahlen. Das ist inzwischen gang und gäbe. In Holland hat der bargeldlose Zahlungsverkehr schon seit geraumer Zeit einen ganz anderen Stellenwert. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, warum es vornehmlich Banden aus den Niederlanden sind, die hier die Geldautomaten sprengen“, mutmaßt Segref.
In der Tat, denn dass NRW das am stärksten betroffene Bundesland im Bereich der Sprengung von Geldautomaten ist, liegt unter anderem an der Grenznähe zu den Niederlanden und an der Vielzahl von Tatgelegenheiten (mehr als 10.000 Geldautomaten). Laut BKA werden circa zwei Drittel der Angriffe auf Geldautomaten durch niederländische Tätergruppierungen verübt. Allein aufgrund der Grenznähe und der Länge der nordrhein-westfälischen Grenze zu den Niederlanden dürfte der Anteil in NRW höher sein.
Auch die spektakuläre Automatensprengung vom Juli 2023 in Kassel-Vellmar geht möglicherweise auf das Konto einer solchen Bande. Das Täter-Trio war in einem gestohlenen Audi RS5 geflüchtet, hatte in Usseln ihr Fluchtauto verlassen, war zu Fuß über Titmaringhausen weiter abgetaucht und von dort seelenruhig mit dem Bus nach Winterberg verschwunden. Das wusste allerdings das SEK aus Kassel zu dem Zeitpunkt noch nicht. Denn es war mit zahlreichen Einsatzkräften und Polizeihubschrauber den ganzen Tag über in dem Medebacher Ortsteil und dessen Umfeld unterwegs, um die Täter aufzuspüren. Nach wie vor ist der Fall nicht abgeschlossen: „Die Ermittlungen dauern noch an. Weitergehende Auskünfte können derzeit nicht erteilt werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden“, so Oberstaatsanwalt Georg Ungefuk Ende Dezember auf Nachfrage unserer Zeitung.
Dieser Fall und nicht zuletzt auch die Sprengung jüngst in Willingen haben dafür gesorgt, dass auch die hessischen Nachbarn in puncto Sicherheitsvorkehrungen in die gleiche Kerbe wie NRW schlagen. Die Sparkasse Waldeck-Frankenberg verstärkt in Rücksprache mit der Polizei und dem Landeskriminalamt die Präventionsmaßnahmen, um das Sprengen von Geldautomaten mühsam, zeitintensiv und unattraktiv zu machen. „Insbesondere möchten wir vermeiden, dass Menschen vor Ort bei einer möglichen Sprengung zu Schaden kommen. Daher haben wir gemeinsam mit dem Hessischen Landeskriminalamt eine Risikoeinstufung unserer Automatenstandorte durchgeführt und auf dieser Basis zusätzliche Maßnahmen veranlasst, die auf potenzielle Täter abschreckend wirken“, erläuterte der Vorstandsvorsitzende Michael Bott das überarbeitete Sicherheitskonzept.