Hochsauerlandkreis. Oventrop plant den Abbau von 175 Jobs. Jeder achte Betrieb im HSK denkt auch über Verlagerungen nach. IHK-Experte Stefan Severin erklärt warum.

Jeder vierte mittelständische Unternehmer denkt nach Informationen des Verbandes „Der Mittelstand BVMW“ über eine Produktionsverlagerung ins Ausland nach. Die Firma Oventrop plant nun auch den Abbau von 175 Arbeitsplätzen im Sauerland und den Aufbau von Arbeitsplätzen im polnischen Werk. Stefan Severin, Leiter Volkswirtschaft und Kommunikation bei der Industrie- und Handelskammer Arnsberg, bezieht Stellung zu den Problemen in den mittelständischen Unternehmen.

Welche Gründe spielen Ihrer Meinung nach die tragende Rolle, dass ein großer Teil des deutschen Mittelstands über eine Verlagerung der Produktion jenseits der Landesgrenzen nachdenkt bzw. Anstrebt?

Die Ergebnisse unserer aktuellen Umfragen zeigen, dass insbesondere aufgrund der hohen Energie- und Kraftstoffpreise 14 Prozent der Unternehmen eine Verlagerung in Erwägung ziehen. Hinzu kommen die überbordende Bürokratie, fehlende Fachkräfte, Rohstoff- und Flächenverfügbarkeiten sowie weitere politische Rahmenbedingungen. Darüber hinaus spielen auch immer unternehmensindividuelle Faktoren eine Rolle.

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Oft wird von lähmender Bürokratie als Grund für eine Produktionsverlagerung oder gar einem Umzug ins Ausland gesprochen. Wo sehen Sie Probleme in der deutschen Bürokratie, mit der Unternehmen zu tun haben? Und wo sehen Sie Vorteile?

Die Firma Oventrop plant den Abbau von bis zu 175 Arbeitsplätzen in Brilon und Olsberg. Viele weitere Unternehmen im HSK denken darüber nach zumindest Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern.
Die Firma Oventrop plant den Abbau von bis zu 175 Arbeitsplätzen in Brilon und Olsberg. Viele weitere Unternehmen im HSK denken darüber nach zumindest Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Dass für das Funktionieren wirtschaftlicher Prozesse ein gewisses Maß an Bürokratie erforderlich ist und der Staat für die Einhaltung gesetzlicher Regeln Verwaltungsakte benötigt, ist unstrittig. Nur kosten mittlerweile allein die schiere Masse und Dichte an Dokumentations-, Statistik-, Prüf- oder Nachweispflichten die Wirtschaft immense zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen, und damit Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem stockt es zu oft in den Genehmigungsverfahren, so dass der Umsetzung von Investitionen das notwendige Tempo genommen wird.

Was muss die Politik tun, um dem wirksam entgegen zu steuern?

Zunächst muss schnell gehandelt werden, um für ein Sinken der Strompreise zu sorgen. Dafür muss das Angebot ausgeweitet, Netzentgelte abgeschafft und die Stromsteuer gesenkt werden. Wichtig ist es zudem, den Unternehmen eine längerfristige Perspektive aufzuzeigen. Gerade für Standortentscheidungen sind planbare Rahmenbedingungen entscheidend. Zur Verringerung der Bürokratie hat die deutsche Wirtschaft bereits einen umfangreichen Katalog an Entlastungsvorschlägen vorgelegt. Die Bundesregierung selbst hat mit dem “Deutschland-Pakt” und dem 4. Bürokratieentlastungsgesetz ebenfalls durchaus gute Ansätze angekündigt, und auch aus der Europäischen Union gibt es ambitionierte Vorschläge. Wir sehen durchaus das Bestreben der Politik die Regelungs- und Dokumentationsflut zu reduzieren. In dem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich die Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Habeck, die Berichtspflichten, wie sie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erfordern, auszusetzen. Doch Fakt bleibt leider, dass diese Entlastungen mit dem Tempo, mit der neue Vorschriften erlassen werden, nicht Schritt halten können.

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Der Hochsauerlandkreis lebt vom Mittelstand: Sind Sie vor dem Hintergrund, dass ein so großer Teil mittelständischer Unternehmen über eine Produktionsverlagerung ins Ausland nachdenkt, beunruhigt mit Blick auf den Wohlstand und die Arbeitsplätze in der Region?

Die Ankündigung von Verlagerungsüberlegungen ist überaus besorgniserregend. Zwar bedeutet sie nicht gleich, dass Unternehmen der Region in Gänze der Rücken kehren, denn oft geht es um Teilverlagerungen oder Umschichtungen an andere Unternehmensstandorte. Doch auch dabei würde die Region Wachstum und Arbeitsplätze verlieren. In früheren Phasen gelang es den Unternehmen mit Schaffenshunger, Kreativität und Engagement schwierigen Rahmenbedingungen zu trotzen. Aktuell sind die Herausforderungen aber derart turmhoch, dass einige, auch dem Standort sehr zugeneigte Mittelständler, Verlagerungen nicht mehr ausschließen können.