Hochsauerland. Sonja Brands aus Brilon erlebt ein Horrorszenario. Ihre Tochter (8) verliert morgens das Bewusstsein. Erst acht Stunden später bekommt sie Hilfe.
Das eigene Kind ist krank und muss dringend untersucht werden. Doch anstatt schneller Hilfe von Kinderärzten sind überfüllte Warteräume und lange Anfahrtszeiten fast schon normal. Die gesundheitliche Versorgung von Kindern stößt im Hochsauerlandkreis an ihre Grenzen, während sich Beschwerden von besorgten Eltern häufen. Eine junge Mutter berichtet von ihren Erfahrungen.
Sonja Brands aus Brilon erlebt das Horrorszenario schlechthin - ihre achtjährige Tochter verliert eines Morgens plötzlich das Bewusstsein. „Wir konnten uns das nicht erklären und wollten sie natürlich sofort untersuchen lassen“, verrät sie. Einen Kinderarzt hat die Familie schon länger nicht – zu schlecht ist die Versorgung auf dem Land. Sie gehen mit ihren Kindern sonst zum Hausarzt, der ist wegen der Corona-Pandemie jedoch hoffnungslos überlaufen. Das Briloner Krankenhaus in der Nähe ist nicht auf Kinder spezialisiert, daher verweist der Hausarzt die Familie direkt in die Paderborner Kinderklinik.
Von einem Wartezimmer ins Nächste
Dort beginnt die lange Warterei: Paderborn kann keine Patienten mehr aufnehmen; sie schicken Sonja Brands und ihre Tochter nach Lippstadt. Auch da ein ähnliches Prozedere - nach neunzig Minuten im Wartezimmer weist die Klinik die beiden ab. „Gegen Abend sind wir dann in Bielefeld gelandet und kamen dran – rund neun Stunden, nachdem meine Tochter morgens umgekippt ist“, erzählt sie.
An diesem Tag hätten Sonja Brands und ihre Tochter sich schlichtweg allein gelassen gefühlt. „Niemand konnte uns helfen; das war kein schönes Gefühl. Ich hätte mir einfach gewünscht, dass die Versorgung besser gewesen wäre und sich jemand uns angenommen hätte“, erklärt sie.
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Außerdem ist die Entfernung problematisch: Bielefeld ist von Brilon 85 Kilometer entfernt, also zu weit, als dass man mit einem kranken Kind mal eben in die ansässige Klinik fahren kann. Auf der anderen Seite sei die Versorgung durch Kinderarztpraxen im Hochsauerlandkreis schon länger ein Problem. „Genug Bedarf hätten wir, aber stattdessen sind wir abhängig von den paar Ärzten, die es hier gibt“, sagt Sonja Brands.
Ein Kinderarzt für 2864 Kinder verantwortlich
Diese Vorwürfe sieht die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) anders: Im Hochsauerlandkreis stehen aktuell 16,75 kinderärztliche Versorgungsaufträge zur Verfügung, die von 20 Ärztinnen und Ärzten ausgeübt werden. Das bedeutet, dass rund 2864 Kinder und Jugendliche auf einen Arzt kommen. Die kinderärztliche Versorgung wird auf Kreis-Ebene geplant, daher wird der HSK dabei als Ganzes betrachtet.
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„Der KVWL liegt die optimale Versorgung von Patientinnen und Patienten besonders am Herzen. Der Versorgungsgrad im HSK beträgt 113,1 Prozent und ist für einen solchen Landkreis recht gut“, sagt KVWL-Sprecher Stefan Kuster trotz der vielen Beschwerden. Er betont, Eltern würden keine unzumutbaren Wege auf sich nehmen müssen, um einen Kinderarzt zu erreichen.
Das Problem sei eher die angestiegene Zahl an Behandlungen: „Das Patientenaufkommen in den Kinder- und Jugendarztpraxen war zuletzt wegen der Infektwelle im HSK wie in ganz Westfalen-Lippe gestiegen. Das Immunsystem hat durch die Maskenpflicht den Umgang mit Infektionen verlernt, sodass Infekte heute bei vielen stärker wirken und hartnäckiger sind“, so der Pressesprecher. Zudem hätten Kinder mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) und dem Influenza-Virus zu kämpfen gehabt. „Der Höhepunkt der Infektwelle ist aber - auch bundesweit nach Angaben des Robert-Koch-Instituts - mittlerweile überschritten, so dass sich das Geschehen in den Praxen zunehmend normalisiert.“
Viele Kinderarztsitze bleiben unbesetzt
Die Olsberger Kinderärztinnen Dr. Silvia Rummel und Dr. Christiane Bub halten die Lage aus anderen Gründen für schwierig: „Rein rechnerisch ist die Anzahl der aktiven Kinderärzte im HSK ausreichend - da hat die KVWL recht. Es sind jedoch nicht alle Sitze aufgrund von Krankheit oder Elternzeit besetzt.“ Außerdem sei die räumliche Verteilung ungleichmäßig: Der Arnsberger Raum verzeichne deutlich mehr Kinderarztsitze als das östliche Sauerland. Winterberg und Hallenberg hätten hingegen keinen eigenen Kinderarzt.
In den nächsten Jahren gehen allerdings viele Kinderärzte in den Ruhestand – das bereitet den beiden vielmehr Sorge. „Die Suche nach Nachfolgern ist schwierig - der Beruf des Kinderarztes auf dem Land scheint zunehmend unattraktiver für den Nachwuchs zu sein“, so die Ärztinnen Rummel und Bub. „Die KVWL sollte weitere Anreize schaffen, also bei der Nachfolger-Suche aktiv helfen und finanziell unterstützen.“ Nur so sei es auf Dauer möglich, die kinderärztliche Versorgung im HSK zu sichern.
Sonja Brands hofft, so einen Albtraum wie im Herbst vorerst nicht mehr erleben zu müssen. „Aus dem Grund teile ich meinen Erfahrungsbericht, damit die schlechte Versorgung mehr Aufmerksamkeit erhält und sich endlich etwas ändert!“