Hochsauerlandkreis. Mit ihrem dringenden Hilferuf ist die Paderborner Kinderklinik nicht allein: Die HSK-Krankenhäuser sind am Limit, Eltern besorgt. So ist die Lage

Die Lage ist beängstigend für Eltern von Kindern. Bei Twitter trendet der Hashtag #kindheitbrennt, aus Berlin heißt es, es gebe keine freien Betten mehr in den Kinderkliniken und ein Hilferuf der Paderborner Kinderklinik St. Louise verbreitet sich in den Whatsapp-Gruppen im HSK wie ein Lauffeuer: Eine massive Welle an RSV-Erkrankungen trifft auf einen akuten Personalnotstand. „Diejeningen, die noch gesund sind, arbeiten bis zur Erschöpfung in einem Ausmaß, was auf Dauer nicht durchzuhalten ist.“ Es werde zwingend personelle Unterstützung gebraucht. Wer in der Pflege ausgebildet sei und nicht bereits als Kinderkrankenpfleger arbeite, solle sich bei der St. Louise Klinik in Paderborn melden“. Die Versorgung von Kindern scheint vor einem Kollaps zu stehen.

Besonders starke RS-Virus-Welle geht durch den Hochsauerlandkreis

Die Lage in der Kinderklinik St. Louise ist derzeit sehr angespannt, wie eine Sprecherin auf WP-Anfrage bekannt gibt. Derzeit seien um die 70 Kinder in stationärer Behandlung, die täglichen Aufnahmen betragen bis zu 17 Patienten. Am letzten Wochenende seien es ca. 150 Patientenkontakte und zahlreiche Telefonate für das Team gewesen. Durch die Pandemie wurden die Infektionsketten unterbrochen. In den letzten Jahren fehlte die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Viruserregern. Das wir nun nachgeholt. Das ist seitens der Klinik als wichtiger Grund für die in diesem Jahr besonders starke Wellen des RS-Virus und der Influenza identifiziert worden. Die Betten von denjenigen, die entlassen werden konnten, wurden sofort mit neuen kleinen Patienten belegt.

Die Frauen- und Kinderklinik St. Louise in Paderborn. Hier waren am Wochenende allein 150 Patienten in der Pediatrie.
Die Frauen- und Kinderklinik St. Louise in Paderborn. Hier waren am Wochenende allein 150 Patienten in der Pediatrie. © WP | St. Vincenz-Krankenhaus GmbH

Sämtliche umgebenden Kinderklinken haben ebenfalls keine Aufnahmekapazität. Die Paderborner Kinderklinik erhält Anfragen aus weit entfernten Kinderkliniken z. B. Hannover, Osnabrück, Düsseldorf oder Neuss. Mit einem Aufruf in allen Paderborner Zeitungen ersucht die Klinikleitung Hilfe. „Viele Kinder haben aufgrund ihrer Virusinfektion einen hohen Sauerstoffbedarf, müssen teilweise beatmet werden − für die Pflegefachkräfte ist diese intensive Betreuung hochaufwendig, zumal für die Versorgung von Kindern mit RSV-Virus spezielle Schutzkleidung getragen werden muss. Sämtliche Stationen sind deutlich überbelegt, alle Mitarbeiter gehen gerade an ihre Belastungsgrenze. Wir haben es mit ernsthaft erkrankten kleinen Patienten zu tun. Gleichzeitig haben wir viel zu wenig Personal“, schildert Chefarzt PD Dr. Friedrich Ebinger die aktuelle Situation in dem Aufruf. Pflegedienstleiterin Pia Lages kommt in den Berichten ebenfalls zu Wort: „Zum bestehenden Fachkräftemangel in der Pflege kommt ein hoher und immer weiter ansteigender Krankenstand bei den Mitarbeitenden. Diejenigen, die noch gesund sind, arbeiten anhaltend an ihrer Belastungsgrenze. Die Infektionswelle macht auch vor ihnen keinen Halt. Tagtäglich müssen wir schauen, wie wir die Lücken nachbesetzen können. Wir benötigen dringend personelle Unterstützung.“ Wer in der Pflege kranker Kinder ausgebildet sei und derzeit nicht bereits als Kinderkrankenpfleger/in arbeite, möge sich bitte melden, so der Appell. Man kontaktiere bereits Mitarbeitende in Elternzeit und „frische“ Ruheständler. Einige unter ihnen haben ihren Dienst bereits aufgenommen. Auch für die sogenannten „patientenfernen Tätigkeiten“ wie Essen verteilen oder Betten aufbereiten sucht die Klinik Unterstützung, um so die examinierten Pflegefachkräfte in der Kinderheilkunde zu entlasten.

Kranke Kinder: Kliniken in Lippstadt und Paderborn an Kapazitätsgrenze

Die Lage, wie sie in den Paderborner Zeitungen beschrieben wird, geht im Kreis Paderborn aber auch im Hochsauerlandkreis viral. Zahlreiche Eltern reposten den Hilferuf, diskutieren über Lösungen. Denn: Rund um Brilon, Olsberg oder Marsberg ist die Kinderklinik in Paderborn eine derjenigen, die am nahesten liegen. Hinzu kommt noch die Klinik in Lippstadt im Evangelischen Krankenhaus. Auch hier arbeitet die Klinik bis an die Kapazitätsgrenze, wie eine Sprecherin auf WP-Anfrage mitteilt und wie auch die Klinikleitung in mehreren öffentlichen Statements bekannt gibt. Auch in Arnsberg gibt es eine Kinderklinik, die viele Eltern aus dem HSK ansteuern.

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Aufruf der Paderborner Kinderklinik erfolgreich, mehr als 80 Rückmeldungen

Der Aufruf des Paderborner Krankenhauses ist erfolgreich, wie eine Sprecherin nun gegenüber der WP mitteilt. Pia Lages habe rund 80 E-Mails am Wochenende erhalten, das Telefon stehe nicht still. Darunter seien auch Hilfsangebote von Menschen mit Erfahrungen im Gesundheitswesen. Auch für die geschilderten patientenfernen Tätigkeiten habe es zahlreiche Unterstützungsangebote gegeben. Derzeit werte sie alle Emails aus und verschaffe sich einen Überblick.

„Spätestens ab 21 Uhr – also mit Schließen der Bereitschaftsdienstpraxis im Medico – steigt die Patientenzahl in der Notaufnahme sprunghaft an. Die Folge sind Wartezeiten von 4 bis 6 und im Einzelfall bis zu 8 Stunden für Eltern mit Kindern, die nur leicht erkrankt sind. Dazu zählen einfache Infekte der oberen Luftwege mit Schnupfen, Husten oder erhöhter Temperatur“, schildert der Paderborner Oberarzt André Wilken aus Sicht der Klinik. Das gesamte Team der Paderborner Pediatrie appelliert öffentlich an die Eltern, rechtzeitig während der Öffnungszeit der niedergelassenen Kinderärzte dort vorstellig zu werden, wenn ein Infekt behandlungspflichtig zu werden droht, und nicht auf die Abendstunden oder das Wochenende zu warten. Dieser Bitte schließt sich auch die Lippstädter Kinderklinik an, die ebenfalls unter dem hohen Aufkommen der Patienten ächzt. Erste Anlaufstelle sei immer der Kinderarzt oder der kinderärztliche Notdienst.

Fallzahlen in der Pediatrie schwankend – und nicht planbar

In der Pädiatrie sind die Fallzahlen sehr schwankend und weitgehend nicht planbar. Um Krankheitswellen oder auch Notfällen gewappnet zu sein, entstehen hohe Vorhaltekosten, die durch das DRG-System nicht abgebildet sind. Dadurch schreiben Kinderkliniken vielerorts rote Zahlen. Die Finanzierung der hohen Vorhaltekosten ist dringend notwendig. Das Problem scheint in der Politik endlich erkannt worden zu sein. Große Sorgen mache der Pediatrie in Paderborn das drohende völlige Verschwinden der Ausbildung zur „Kinderkrankenschwester“. Nach einer generalistischen Pflegeausbildung sind die Pflegefachkräfte für den Einsatz in der Kinder- und Jugendmedizin nicht ausreichend vorbereitet. Hierfür sind zusätzliche Schulungen notwendig. Auch wenden sich junge Menschen, die speziell einen Beruf mit Kindern suchen, dann anderen Berufsfeldern zu und fehlen in der Gesundheits- und Krankenpflege.