Hochsauerlandkreis. Kinderkliniken am Limit, Eltern in Sorge – und die Politik? HSK-Politiker erklären, welche Maßnahmen die Versorgung jetzt entlasten sollen.

Die Lage fühlt sich für viele Eltern bedrohlich an. Die Kinderkliniken im und rund um den Hochsauerlandkreis sind überfüllt. In der Apotheke werden Mütter mit fiebernden Kindern ohne Fiebersaft nach Hause geschickt. Vor den Kinderarztpraxen sind lange Warteschlangen. Eltern unterzeichnen Petitionen für eine bessere Versorgung. Die Ärztinnen und Ärzte und ihre Teams sind am Limit. Die Paderborner Kinderklinik setzt einen Hilferuf ab, um Pflegepersonal zu akquirieren, das ebenfalls oft krank ist. Die Lippstädter Klinik appelliert an Eltern, nicht in den Notdienst zu kommen, sondern zu den Kinderarztpraxen zu gehen. Die Klinik für Kinder und Jugendmedizin des Klinikums Hochsauerland kann in Einzelfällen Verschiebungen weniger dringlicher Behandlungen oder Verlegungen nicht gänzlich ausschließen. Eine Lage, wie sie bisher für viele Familien neu ist. Die Wut und der Frust sind groß. Die WP hat die HSK-Bundestagsabgeordneten mit den Sorgen der Eltern konfrontiert. Was haben Dirk Wiese (SPD), Friedrich Merz (CDU) und Carl-Julius Cronenberg (FDP) sowie Matthias Kerkhoff (Landtagsmitglied, CDU) zur aktuellen Lage zu sagen? Auf folgende Fragen haben die HSK-Politiker unabhängig voneinander geantwortet.

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Wie erklären Sie Eltern im HSK die Situation? Wie konnte es soweit kommen, dass Eltern sich Sorgen um die gesundheitliche Versorgung ihrer Kinder machen müssen?

Eine richtige Erklärung liefert keiner der befragten Politiker. Matthias Kerkhoff sagt, dass es Virus-Infektionen ähnlich der aktuellen RSV-Infektionswelle auch schon in früheren Jahren gegeben und Kliniken und Personal sehr stark gefordert habe. Friedrich Merz spricht die Überalterung der Gesellschaft an, durch die Personalmangel begünstigt werde. Dass es an Medikamenten fehlt, wie Fiebersaft für Kinder, liege an den schlechten Bedingungen für die Hersteller, die ihre Produktionsstätten nicht mehr in Deutschland aufbauen würden. Carl-Julius Cronenberg sieht als Ursache den Personalausfall. Dirk Wiese erklärt: „Das RS-Virus und andere Infektionskrankheiten sorgen für eine erhöhte Belastung in den Kinderkliniken und den Kinderarztpraxen. Es trifft daher einen Sektor, der sowieso schon aufgrund der letzten Corona-Jahre stark beansprucht ist.“ Er drückt seinen Dank an die Ärztinnen und Ärzte sowie die Praxisteams und ihre Arbeit aus.

Friedrich Merz ist Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis aber vor allem Bundesvorsitzender der CDU.
Friedrich Merz ist Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis aber vor allem Bundesvorsitzender der CDU. © Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net) | Tobias Koch

Wie kann akut geholfen werden. Was kann die Politik jetzt konkret tun? Was können Sie konkret tun?

Friedrich Merz wird in seiner Stellungnahme fordernd gegenüber der Bundesregierung: „Die Bundesregierung muss das Thema medizinische Versorgung zur Chefsache machen. Ein Beschaffungsgipfel könnte zum Beispiel helfen, das Problem der fehlenden Medikamente und Arzneimittel für Kinder zu lindern. Hier hat der Bundesgesundheitsminister zu lange abgewartet.“ Carl-Julius Cronenberg sieht derzeit keine Akut-Lösung: „Die Lage in den Sauerländer Kinderkliniken ist durch den Personalausfall ernst, aber stabil. Kurzfristige Abhilfe zu schaffen, ist schwierig.

Dirk Wiese ist Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Recht und Verbraucherschutz, Innenpolitik, Sport, Kultur und Medien sowie Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
Dirk Wiese ist Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Recht und Verbraucherschutz, Innenpolitik, Sport, Kultur und Medien sowie Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. © www.marco-urban.de | Marco Urban

Das sieht Dirk Wiese anders, der konkret aufzeigt, was die Bundesregierung bisher getan habe: „Die Bundesregierung hat umgehend auf diese Akutsituation reagiert und zunächst die Personaluntergrenze ausgesetzt, um Personal in der Kinderversorgung flexibel dort einzusetzen, wo auch normale Pflegekräfte zum Einsatz kommen können. Für einfache Fälle können so auch Pflegekräfte aus anderen Bereichen aushelfen und die Spezialpflegekräfte bei den besonderen Behandlungen von Kindern eingesetzt werden.“ Zudem solle die Budgetierung für Kinderkliniken und Praxen ausgesetzt werden, damit jede erbrachte Leistung auch zu festen Preisen bezahlt wird. Zusätzlich tätige Honorarkräfte könnten nun auch über Pflegebudgets abgerechnet werden, damit sie kurzfristig eingesetzt und finanziert werden können. Kerkhoff bringt das Kleeblattsystem ins Spiel, dass systematische Verlegungen von Kindern regelt. Verlegungen von erkrankten Kindern mit besonderen Rettungsdiensten in Kliniken mit freien Plätzen sind möglich. „Außerdem wird die Kindermedizin jetzt in das deutschlandweite Kleeblatt-System aufgenommen. Das Kleeblatt-System ist 2020 unter dem Eindruck der ersten Corona-Welle eingeführt worden und besteht aus den fünf Regionen Nord, Ost, West, Südwest und Süd.“ Das System soll Überforderungen bei einzelnen Krankenhäusern vermeiden, indem Patienten zunächst innerhalb eines Kleeblatts verlegt werden. „Wenn das nicht mehr möglich ist, sind auch bundesweite Verlegungen möglich.“

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Was kann und muss die Politik langfristig in den Blick nehmen, um solche Situationen zu vermeiden?

Carl-Julius Cronenberg legt einen Drei-Punkte-Plan vor, wie man die Lage langfristig verändern kann. „Erstens werden wir die Fachkräftezuwanderung und -ausbildung forcieren. Das Klinikum investiert in erforderliche Bildungsangebote und wir als Koalition schaffen den notwendigen rechtlichen Rahmen.“ Hierzu sei er persönlich im engen Austausch mit der Geschäftsführung des Klinikums Hochsauerland. Auch Merz hält eine qualifizierte Zuwanderung von dringend benötigten Fachkräften für eine Lösung, dafür setze sich die Union mit Nachdruck ein. „Zweitens bezweifle ich, dass die Abschaffung der Kinderpflege-Ausbildung hilfreich war.“ Als letzten Punkt betont Cronenberg die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Versorgung mit Kinderarztpraxen und ambulanten Behandlungsangeboten in Kliniken. „Kürzungen bei der Vergütung von Kinderärzten halte ich für kontraproduktiv.“

Carl-Julius Cronenberg (FDP) ist Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis.
Carl-Julius Cronenberg (FDP) ist Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis. © Cronenberg | FDP

Dirk Wiese sagt: „Um den Bereich der Kindermedizin zukunftsfest zu gestalten und für junge Fachärztinnen und Fachärzte attraktiver zu machen, soll mithilfe einer Reform die Budgetierung von Kinderheilkunde in Praxen dauerhaft ausgesetzt werden.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe angekündigt, dass die Gesetzesgrundlagen für diese Maßnahmen so schnell wie möglich vorgelegt würden. „Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz haben wir außerdem wichtige und große Weichen für eine zuverlässige und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung gestellt. Es ist nur richtig, dass die SPD-geführte Bundesregierung den Handlungsbedarf erkannt hat und nun Lösungen vorlegen wird. Im Bundestag werden wir diese Vorhaben begleiten und dafür Sorge tragen, dass die Gesetze zu Entlastungen führen, die auch dringend gebraucht werden“, verspricht er. Er mahnt: „Es muss aber auch in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die Bundesländer ebenfalls in der Verantwortung stehen, eine flächendeckende Versorgung auch im pädiatrischen Bereich sicherzustellen. Die Landesregierung muss ihren Worten auch Taten folgen lassen und bei den bevorstehenden Reformen mitziehen.“

Matthias Kerkhoff, Landtagsabgeordneter für die CDU.
Matthias Kerkhoff, Landtagsabgeordneter für die CDU. © Frank Wiesemann

Kerkhoff erklärt: „Die neue Krankenhausplanung in NRW plant nicht mehr mit Betten, sondern nach regionalen Bedarfen. Sie differenziert auch die verschiedenen medizinischen Leistungen in der Kinder- und Jugendmedizin viel stärker und macht Qualitätsvorgaben.“ Gegen den bestehenden Fachkräftemangel seien mit der neuen generalistischen Pflegeausbildung zusätzliche Ausbildungskapazitäten geschaffen. „So konnten für das Jahr 2020 15.837 Ausbildungseintritte verzeichnet werden.“ Eine zehnprozentige Steigerung gegenüber 2019. Die Ausbildungseintritte im Jahr 2021 lagen mit 17.385 rund 9,5 Prozent über denen des Vorjahres. Eine Gesamtzahl für das Jahr 2022 liegt erst Anfang des Jahres 2023 vor.

Friedrich Merz geht zuletzt noch einmal auf den Mangel an Medikamenten für Kinder ein: „Außerdem brauchen wir wieder mehr pharmazeutische Industrie mit Produktionsstätten in Deutschland. Das hat schon Corona gezeigt. Von den zehn größten Pharmazieunternehmen Europas produziert keines mehr bei uns, dabei war Deutschland früher die Apotheke der Welt. Die Bedingungen für Hersteller müssten verbessert werden. Leider tut die Ampel zurzeit das Gegenteil, indem sie den Unternehmen zusätzliche Belastungen auferlegt.“

Was sagen Sie besorgten und verängstigten Eltern, die mit ihren Sorgen an die Öffentlichkeit treten?

Die Politiker äußern Verständnis für die Eltern, wie sie es selbst ausdrücken. „Die Frage, ob das eigene kranke Kind überhaupt versorgt werden kann, sollte sich kein Elternteil hierzulande stellen müssen“, sagt Dirk Wiese. Friedrich Merz betont: „Die Situation in den Kinderkliniken macht mir große Sorgen. Viele Eltern sind verzweifelt, aber auch die Beschäftigten in den Krankenhäusern arbeiten an der Belastungsgrenze. Es darf nicht sein, dass die jüngsten und schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, unsere Kinder und Enkel, gesundheitlich unterversorgt sind.“