Antfeld. Kunst aus Beton - das klingt kalt und hart. Der Künstler Joachim Schulz aus Antfeld schafft es aber, diesem Baustoff Leben einzuhauchen.
Beton. Grau. Kalt. Leblos. Sture Menschen gelten als Betonköpfe. Triste Landschaften sind Betonwüsten. Trotz all dieser negativ behafteten Attribute hat sich Joachim Schulz in den Baustoff verliebt. Die graue Schlämme ist für ihn mehr als ein Gemenge aus Zement, Wasser und Sand. Wenn der Betonkünstler „JoSch“ seine schöpferische Ursuppe anrührt und mit Speis und Spachtel spricht, erwachen scheinbar tote Gegenstände zum Leben. Halten Figuren mitten in der Bewegung inne, werden Augenblicke zu Momenten der Kunst. Ganz zum Schluss hart wie Beton, auf Dauer mit vielen weichen Zügen und immer neuen Facetten und Schattierungen.
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Betongewordener Stoff
Eine Joppe und eine Kappe hängen im Wiesengrund in Antfeld draußen neben der Eingangstür zum Atelier von Joachim Schulz. Niemand sollte versuchen, die Jacke anzuziehen. Denn sie ist - Verblüffung - nicht aus Stoff, sondern aus Beton. Okay, an der Farbe hätte man es sehen können. Denn „JoSch“ lässt den Beton ganz bewusst so, wie er ist. Streng genommen sind die Kleidungsstücke betongewordener Stoff. Oder doch eher stoffgewordener Beton? Aber dazu später. Eigentlich ist Joachim Schulz (Jahrgang 1961) Schlosser. Das hat er vor 46 Jahren gelernt. Dann war er jahrelang im Rettungsdienst tätig. Als ihm die Gesundheit zweimal einen Strich durch die Rechnung macht, schult er um zum Verwaltungsfachangestellten, arbeitet beim Hochsauerlandkreis, zuletzt in der Bauverwaltung. Noch wenige Wochen hat er bis zur Rente, dann will er sich viel mehr seiner Passion widmen. Das haben seine Frau und er auf dem Jakobsweg besprochen.
„Dann war es um mich geschehen“
„Handwerkliches Geschick hatte ich schon immer. Christbaumschmücken, Geschenke einpacken, Reparaturen vornehmen – alles mein Ding“, erzählt er. Als vor einigen Jahren zu Hause der Garten neu gemacht wird, sucht er dafür etwas Dekoratives: kunstvoll, wetterbeständig und nicht ganz so teuer soll es sein. Im Speisfass rührt er Beton an und macht die ersten zaghaften Versuche. „Ich war anfangs nicht zufrieden damit. Viel später habe ich das Objekt überarbeitet und sogar verkauft.“ Die innere, steinerne Mauer im Kopf reißt aber in den Anfängen seiner kreativen Tätigkeit erst da ein, als er einem Freund helfen soll. „Der hatte beim Künstler Arno Mester in Arnsberg einen Workshop gemacht und ich sollte ihm anpacken, seinen Stelzenvogel aus Beton dort im Atelier abzuholen. Als ich all die Arbeiten dort gesehen habe, war es um mich geschehen.“ Schulz macht selbst mehrere Seminare und ist inzwischen seit 2016 künstlerisch tätig. Gern gibt er sein Wissen auch weiter und macht eigene Workshops.
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Nicht mit Gussformen
„Meine Figuren entstehen durch das Aufspachteln des Betons auf verschiedene Trägermaterialien. Ich arbeite nicht mit Gussformen und somit ist jedes Kunstwerk ein Unikat“, schreibt „JoSch“ auf seiner Homepage. Trägermaterial – das kann ein Gerüst aus Stahl sein. Das kann aber auch ein Styropor-Skelett sein, das der Künstler quasi als Unterkonstruktion aus großen Blöcken sägt und zusammenbaut. Hier und da kommt Gewebematerial dazu: Faserstoffe oder Mull. Mit einem Spachtel oder Pinsel trägt „JoSch“ das vorher in der Küchenmaschine oder von Hand angerührte Material sorgfältig auf. Manchmal arbeitet er mit den Fingern nach: „Aber immer mit Handschuhen. Das Zeug ist wirklich aggressiv zur Haut.“ Das Zeug ist dennoch kein Hexenwerk: Spachtelbeton in Pulverform aus dem Baumarkt.
Beeindruckend ist der Faltenwurf bei den Objekten – ob auf Stoff oder auf Gesichtern. „Hier beim Dirigenten habe ich mir einen Karnevalsfrack besorgt und den Zwirn in Beton getaucht. Der Korpus steht auf einem Stahlgestell; die Arme sind aus Styropor.“ Es ist, als würde der Maestro mit dem Taktstock aufs Pult klopfen und sein Orchester um Aufmerksamkeit bitten.
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Jede Menge Aufmerksamkeit bekommen die Objekte und Figuren auch von Radfahrern oder Wanderern, die im Garten des Künstlers eine „Kunst“-Pause einlegen und sich die Werke anschauen dürfen. Mal sind die Arbeiten witzig, wenn „JoSch“ zum Beispiel Flügel verleiht und sich der Betrachter fürs Erinnerungsfoto vor ein paar Engels-Schwingen stellen darf. Mal stimmen sie aber auch nachdenklich wie die Frau, die auf einem Koffer sitzt. „Sie ist ganz neu. Ich habe die Szenerie ,Ausharren‘ genannt. Ursprünglich sollte es eine ukrainische Frau sein, die vor dem Krieg geflüchtet ist und nur mit ihrem Koffer auf einem Bahnhof sitzt und wartet. Zu der kleinen ukrainischen Flagge auf dem Koffer habe ich aber weitere Fähnchen hinzugefügt. Kongo, Syrien oder Afghanistan. Es wühlt mich innerlich auf, wie viele Menschen weltweit auf der Flucht sind.“ Ganz bewusst hat die Figur kein Gesicht. Wie ein Vorhang, der den Blick auf das vielfältige Leid der Welt verschließen soll, hängen die Haare über Augen, Nase und Mund.
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Von der zierlichen Ballerina bis zum lebensgroßen Mann, der den Feierabend genießt, hat Joachim Schulz schon unzählige Figuren und Objekte geschaffen. Kleine Objekte drapiert er auf alten Eichenbalken, die er beim Abriss maroder Häuser findet und mitnehmen darf. Neues basiert dann quasi auf Altem, auf Bewährtem. „Auftragsarbeiten mache ich nicht. Ich habe eine Idee im Kopf, setze sie um und gehe dabei manchmal während der Arbeit ganz neue und andere Wege. Es ist ein Prozess, in dem das Werk entsteht. Ich muss Zeit haben und brauche das Gefühl, mich treiben zu lassen. Wenn meine Frau mich fragt: ,Für wann soll ich denn das Essen machen?‘, sage ich oft: ,Ich weiß es noch nicht.‘ Denn wenn es gerade läuft, kann ich unmöglich unterbrechen.“
Workshops, Köpfe, Masken, Engel
Unter www.josch-betonkunst.de findet man weitere Einblicke in die Arbeit des Künstlers. Dort findet sich eine Übersicht über die Workshops, die er anbietet und in denen kleine Skulpturen, Köpfe, Masken oder Engel gestaltet werden.Die Kurse bestehen aus maximal sechs Teilnehmern, für das leibliche Wohl ist dabei gesorgt. Anmeldung und Kontakt über Info@josch-betonkunst.de
Apropos Ehefrau: „Bei dieser ganzen Kunst-Geschichte stehe immer ich im Vordergrund. Dabei ist das unser gemeinsames Ding. Meine Frau ist handwerklich nicht beteiligt, aber meine größte Kritikerin. Und sie unterstützt mich, wo es nur geht. Das ist übrigens ihre Lieblingsfigur“, sagt „JoSch“ und zeigt auf ein dünnes Männchen, das ein Kind an den ausgestreckten Armen hält und es im Kreis drehen lässt: Engelchen flieg!
Die nächste Figur ist in Arbeit. „Wenn es irgendwie geht, bitte kein Foto von dem Objekt machen. Ich mag es nicht, wenn es noch so unfertig ist“, sagt „Josch“. Nur so viel: Es wird „Single Malt“ heißen. „Ich bin selbst ein großer Whisky-Fan. Mit den Namen ist das so eine Sache. Viele tun das nicht. Für mich steckt aber eine Idee dahinter; an der lasse ich den Betrachter durch den Titel teilhaben. Wer etwas anderes darin sieht – gerne!“
Grau. Kalt. Leblos. Ja, im ersten Moment sieht Beton wirklich so aus, aber nicht mehr, wenn er durch die behandschuhten Finger von Joachim Schulz gegangen ist…