Brilon. Hunde, die aus dem Weihwasserbecken trinken, Kondome auf der Kirchenbank - Willi Steffen hat in 25 Jahren als Küster viel erlebt.

Vom Schoßhündchen, das eine Frau auf den Arm nahm und aus dem Weihwasserbecken schleckern ließ. Vom betrunkenen Mann, der in der Kirche unterm Weihnachtsbaum lag und schnarchte. Von den beiden Mädchen, die durch eigenes Verschulden in der Kirche eingeschlossen wurden und den Polizeinotruf auslösten. Oder von der Adidas-Sportunterhose und dem Kondom, die auf der Kirchenbank lagen…Willi Steffen könnte viele Geschichten erzählen. Das wären nur einige aus der Abteilung „Kurioses“. Aber eigentlich ist der 58-Jährige mehr oder weniger im Auftrag des Herrn unterwegs und versieht einen stillen, unspektakulären, aber sehr wichtigen Dienst. Denn seit 25 Jahren arbeitet Steffen als Küster. Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die kaum ein Mensch sieht. Ohne ihn blieben manche Glocken stumm, viele Kerzen aus, hätte Kirche in Brilon ein markantes Gesicht weniger.

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Das Messgewand liegt auf dem Ankleidetisch in der Sakristei der Propsteikirche, die Albe ist frisch gewaschen und gebügelt. Die kleinen Glaskännchen für Wasser und Wein sind gespült. Über der Tür hängt ein Bild vom Papst. Gleich noch das Lektionar an der korrekten Stelle mit der richtigen Tageslesung aufschlagen und die frisch-polierten Schellen für die Messdiener nach vorne bringen. Willi Steffen schaut auf die Uhr: Es ist 11.30 Uhr. „Ich muss die Totenglocke anstellen. Morgen ist Beerdigung. Immer einen Tag vor einem Seelenamt um halb Zwölf erklingt die Glocke eine Viertelstunde lang. ,Ich töne den Lebenden wie den Toten, den Armen wie den Reichen“, zitiert der 58-Jährige die Inschrift des Geläuts und drückt auf den Knopf. Vieles regelt die Läut-Automatik – wie zum Beispiel das Schneeläuten im Winter. Manchmal kann er die Glocken zu besonderen Anlässen auch per Fernbedienung von zu Hause in Schwung bringen. Aber vieles spielt sich ohnehin im Inneren der Kirchen ab. Mehrmals am Tag pendelt Steffen daher zwischen Wohn- und Gotteshaus. Und manchmal verwischen auch die Grenzen zwischen beiden.

Küster-Sonntag

Dienstags ist übrigens Küster-Sonntag, dann hat Willi Steffen frei, weil er ja jeden Sonntag arbeitet.

Für die Kommunionkinder bietet er regelmäßig Sakristei-Führungen an.

Wenn zu hohen kirchlichen Festtagen die Fahnen rausgehängt werden oder wenn das Schwungseil mal wieder vom Glockenjoch abgesprungen ist, dann klettert Willi Steffen die 173 Stufen hoch bis in den Turm. Solche Aktionen sind sehr gefragt und manchmal nimmt der Küster auch Leute mit nach oben.

Zum 25-jährigen Küsterjubiläum hat Propst Dr. Reinhard Richter dem Küster für seine langjährige Treue im Namen der Gemeinde gratuliert und ein Präsent überreicht.

Aus tiefster Überzeugung

Willi Steffen ist Küster und Christ aus tiefster Überzeugung: „Als Kind habe ich in Thülen neben der Kirche gewohnt. Und wenn für den Gottesdienst kein Messdiener da war, sagte meine Oma immer: Willi, geh helfen!“ Daraus wird dann zunächst wenig später eine 12-jährige, nebenamtliche Küster-Tätigkeit in Thülen. „Beruflich wäre ich gerne Florist geworden. Aber mein Vater meinte: Das ist nichts für Jungs. Ein Mann muss was Richtiges lernen und so war ich damals der erste Auszubildende in der Bäckerei Stapper in Brilon“, erinnert sich Willi Steffen.

Kerzen anzünden - das ist nur ein ganz kleiner Teil der vielfältigen Aufgaben, die Küster Willi Steffen in der Propstei und in der Nikolaikirche erledigt.
Kerzen anzünden - das ist nur ein ganz kleiner Teil der vielfältigen Aufgaben, die Küster Willi Steffen in der Propstei und in der Nikolaikirche erledigt. © WP | Thomas Winterberg

Als Junggeselle kann er den Job und die Küsterei noch unter einen Hut bringen. Als dann aber die Familie gegründet wird, ruht das kirchliche Amt. Nach 12 Jahren in Brilon arbeitet er in der Backstube Drilling in Thülen. „Insgesamt 27 Jahre lang war ich Bäcker.“

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Hilfsbereites Miteinander

Da kommt 2009 die Stellenausschreibung für einen hauptamtlichen Küster in der Briloner Propsteikirche und für einen Hausmeister im Pfarrzentrum wie gerufen. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, später gesellt sich auch noch der Dienst in St. Nikolai hinzu. Rund 1250 Kirchen und Kapellen im Erzbistum Paderborn benötigen eine Küsterin oder einen Küsters. Aber Vollzeitstellen sind rar. „Ich kannte mich ja mit allem schon sehr gut aus, habe aber trotzdem innerhalb der Familie sorgfältig überlegt, ob ich das machen soll. Schließlich steht man ja auch im öffentlichen Blickpunkt. Dann habe ich mich aber doch beworben und die Stelle bekommen. In Paderborn musste ich dann noch zwei Wochen eine Schulung und zwei Prüfungen machen. Wir haben 2002 in Brilon gebaut. Hier vor Ort bin ich auch Ansprechpartner für meine nebenamtlichen Kollegen und Kolleginnen im ganzen Pastoralen Raum. Sei es beim gemeinsamen Einkauf von Kerzen oder Hostien oder wenn es um Polierpaste für den Kelch geht. Meine Kinder und meine Frau müssen oft mit einspringen. Auch die Schützen oder die Landjugend helfen, wenn es etwa um die Weihnachtsbäume und das Schmücken geht. Wir pflegen hier ein gutes und hilfsbereites Miteinander.“

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Christlicher Job mit oft unchristlichen Arbeitszeiten

Küster sein – das ist ein christlicher Job für Multitalente mit Hang zu unchristlichen Arbeitszeiten. Jeden Sonntag, wenn um 11 Uhr Messe ist, steht Willi Steffen schon um 10 Uhr in der Sakristei, um alles für den Gottesdienst vorzubereiten. Läuten, Licht, Kerzen, Gewänder, Bücher. Die Messe feiert er aus der Sakristei mit – immer ein Auge auf die Messdiener/innen, denen vom langen Stehen und vom Weihrauch auch schon mal flau im Magen wird. Auch deren Ausbildung fällt in sein Ressort; und regelmäßig vor großen Festen steht gemeinsames Üben auf dem Plan. 146 Altardiener waren es mal zu Spitzenzeiten allein in der Propsteigemeinde; heute sind es noch 34. Von jedem hat er die Handy-Nummer der Eltern, damit die schnell kommen können, wenn einem Kind mal schlecht wird. Im Keller der Propstei steht dafür eigens eine Waschmaschine, wo die Wischmopps und eben die Gewänder nach einem Missgeschick gereinigt werden können. Alles Aufgabe des Küsters.

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Und wenn plötzlich mal ein Priester ausfällt, dann springt Willi Steffen ein und gestaltet einen Wortgottesdienst. „Das ist die absolute Ausnahme, aber das ist schon vorgekommen.“ Auch mit dem Kollektenkörbchen ist er während der Opferung unterwegs: „Wenn man den Korb nur in die letzte Bank stellt, tut niemand etwas rein, da muss man schon durch die Reihen gehen.“ Unterm Strich bereitet er jeden Sonntag zwei oder drei Messen vor, werktags einen Gottesdienst, dazu Sondermessen, Beerdigungen und/oder Taufen.

Ein Händchen für Blumen

Wenn Willi Steffen auch kein Florist geworden ist, der besondere Faible für Blumen ist ihm geblieben. „Ich habe auch schon bei der Ausbildung von Küster-Nachwuchs in Paderborn und in Olsberg vierstündige Referate zum Thema Blumenschmuck im Kirchenjahr gehalten. Die Farbgebung spielt eine besondere Rolle: Ostern wird mit gelb-weißen Blumen gearbeitet, Pfingsten hat etwas mit Feuer und mit Rot zu tun, an Marienfesten gehört die Farbe Blau dazu.“ Die Kirchenbesucher spüren, dass er ein Händchen für so was hat: „Manche sagen mir auch, es ist sehr schön geschmückt. Und manche spenden Geld für Blumenschmuck. Das freut einen dann auch.“

Der Mann im Hintergrund

Dass der Kirche aktuell ein schärferer Wind entgegenweht, beobachtet Willi Steffen genau. Manche Kritik kann er nachvollziehen, manche Reaktionen nicht. „Neulich bei der Fronleichnamsprozession haben irgendwelche Leute einfach den vorher mühsam aufgebauten Schlussaltar abgeräumt. Und Messdiener sind angesprochen worden, warum sie bei dem Verein mitmachten. Das ist absolut nicht in Ordnung.“ Viele Dinge hat er von Kindesbeinen gelernt und übernommen. „Aber ich mache mir schon Sorgen, wie es mit der Kirche weitergeht.“

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Auf der Internetseite des Dekanates gibt es einen kleinen Beitrag über den Briloner Küster mit dem Titel „Der Mann im Hintergrund“. Das trifft es: Dort wird Willi Steffen auch mit einem schönen Satz zitiert: „Kirche ist für mich da, wo Menschen zusammentreffen und den Glauben feiern.“ Steht zu hoffen, dass der 58-Jährige noch oft zu besonderen Anlässen seinen eigens für die Hansetage geschneiderten „Kirchenschweizermantel“ anlegen kann. Und dass das Katzenstreu nicht mehr so oft zum Einsatz kommt. „Ja, man mag es nicht glauben, aber immer wieder urinieren Leute in die Kirche.“ Und das sind ganz bestimmt keine schönen Küster-Aufgaben.