Winterberg/Hochsauerlandkreis. Die EU will den Einsatz von Antibiotika drastisch reduzieren. Tierärztin Karin Klenner aus Winterberg ist entsetzt. Folgen seien unkalkulierbar.

Müssen Tierbesitzer ihren geliebten Vierbeinern bald bei Krankheiten wie Lungenentzündungen Lebewohl sagen, weil nicht die notwendigen Antibiotika zur Verfügung stehen? Bisher helfen die Medikamente dagegen, Menschen bekommen sie auch verschrieben. Das könnte sich aber schon im kommenden Monat ändern, wenn unverändert eine neue EU-Verordnung über Tierarzneimittel erlassen wird. Tierärztin Karin Klenner aus Winterberg ist deswegen in großer Sorge und fürchtet um viele Leben.

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Der EU-Umweltausschusses fordert mehrheitlich, bestimmte Antibiotika in der Tiermedizin künftig zu verbieten und sie nur noch für die Behandlung von Menschen vorzuhalten. Mit dem Ziel, die Entstehung multiresistenter Keime zu reduzieren. Die entstehen vermehrt, wenn Antibiotika zu häufig oder unsachgemäß verabreicht werden. Die Folge: Antibiotika werden auf Dauer unwirksam. Etwa über Hähnchenfleisch können resistente Keime in den menschlichen Körper eindringen.

Verbot von Reserve-Antibiotika für Tiere

Im Raum steht ein Anwendungsverbot für bestimmte Gruppen, sogenannte Reserve-Antibiotika. Nämlich solche, die laut WHO für den Menschen als von kritisch wichtiger Bedeutung und als höchste Priorität eingestuft wurden. Also Antibiotika, die nur dann noch vergeben werden, wenn gegen andere Antibiotika schon Resistenzen vorliegen und die daher wirkungslos geworden sind.

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„Jedes Jahr sterben 33.000 Menschen in der EU, weil Antibiotika ihre Wirkung verlieren“, sagt der Mescheder CDU-Europaabgeordnete Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament und selbst Kinderarzt. „Als Arzt muss ich sagen: Meine Kollegen verschreiben immer noch zu großzügig. Wir Patienten wiederum sind zu fordernd, und wollen sofort ein Antibiotikum, anstatt die Beine hochzulegen und heißen Tee zu trinken. Hygiene im Krankenhaus ist das zweite Problem.“

Aber ein drittes Problem sei die Übertragung antibiotikaresistenter Keime vom Tier auf den Menschen. Private Haustierhalter oder Landwirte würden diese Keime mit ins Krankenhaus tragen: „Ein Teil der Toten ist darauf zurückzuführen.“„Der Antibiotika-Einsatz bei Tieren ist ein Problem. Das wollen wir anpacken“, sagt Liese. Zuletzt habe ihm ein Arzt einer deutschen Uniklinik gesagt: „Es passiert jede Woche, dass Menschen sterben, weil kein Mittel mehr wirkt. Das ist die Riesengefahr, wenn sich diese Keime weiter ausbreiten. Dann wird die Zahl von 33.000 Toten weiter steigen. Es darf nicht mehr werden.“

Reserveantibiotika werden kaum genutzt

Tierärztin Karin Klenner ist geschockt über die Forderung des EU-Umweltausschusses: „Sie wollen fast alles verbieten. Übrig blieben nur Medikamente, die nicht wirken und keiner kann sich wehren.“ Die Medizinerin erklärt, dass es schon seit Jahren Einschränkungen in ihrem Berufsfeld gibt und Reserveantibiotika nur in Ausnahmen verabreicht werden, wenn keine Alternative zur Verfügung steht. Sie verweist außerdem darauf, dass in ihrem Alltag meist Antibiotika der so genannten ersten Generation verwendet werden, die beim Menschen gar keine Anwendung mehr finden. Der Mensch bekommt Medikamente neuerer Generationen (es gibt insgesamt vier Stück) verschrieben oder verabreicht. Antibiotika der zweiten und dritten Generation nutzen Tiermediziner ihrer Auskunft nach nur selten.

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Medikamente sind für Tierärzte in vielen Fällen von essenzieller Bedeutung. Dafür reicht schon ein Katzenbiss, weil sich in den Mäulern der Tiere viele Bakterien befinden. Ohne eine Behandlung mit Antibiotika kann es hier zum Tode des Tiers kommen. „Ohne Antibiotika sind Hauterkrankungen, Ohrenerkrankungen Augenentzündungen und vieles mehr kaum noch zu behandeln. Wenn können wir noch Penicillin verwenden, aber das führt beispielsweise bei Vögeln, Kaninchen und Meerschweinchen zum Tod. Zootiere können auch nur bestimmte Medikamente verabreicht bekommen“, erklärt Karin Klenner,„Jeder Tierarzt wir den Tieren dann beim sterben zusehen müssen.“ Sie verweist auf die Gefahr von Erkrankungen der Tiere, die auch auf den Menschen übertragbar sind, wenn sie ihnen zu nahe kommen.

Tierhalter wüssten nichts von der Problematik

Besorgte Tierbesitzer sprechen sie bisher nicht auf die Problematik an. Ein Umstand, der sie nicht verwundert. „Die meisten wissen das gar nicht. Das ist ganz still und heimlich vonstatten gegangen.“ Stattdessen klärt sie nun jeden Patienten auf und hat in der Praxis Informationsmaterial aufgehangen. „Es sind alle Besitzer entsetzt. Ich hoffe, wir können noch was erreichen.“

Der Hintergrund

Die Verordnung würde ab dem 22. Januar 2022 verbindlich anzuwenden sein.

Eine Entscheidung darüber trifft das EU-Parlament Mitte September.

Die Bundestierärztekammer hat in einem Schreiben an Tierhalter darum gebeten, aktiv zu werden und beim Europaabgeordneten die eigenen Sorgen zu äußern.