Medebach. Seit 34 Jahren versorgt Maria Grabenbauer Medebachs Tiere. Zum Jahresende hört sie auf – obwohl sie eigentlich gern noch arbeiten würde.

Hundeauge tränt, Katze hat Durchfall, Meerschwein muss kastriert werden – Medebacher Tierbesitzer müssen sich bei solchen Problemen künftig anderswo Hilfe holen. Maria Grabenbauer schließt zum Jahresende ihre Tierarztpraxis – die einzige in der Hansestadt.

Und das, obwohl die 60-Jährige eigentlich ganz gern noch ein paar Jahre lang einige Stunden am Tag arbeiten würde. „Aber es gibt einfach zu Vieles, was mich stört.“

34 Jahre lang Medebachs Tiere versorgt

34 Jahre lang hat Grabenbauer in ihrem Heimatort praktiziert. Anfangs zusammen mit ihrem Mann, einem Fachmann für Rinder. Die bildeten anfangs auch ihren Patientenstamm. „Eine Kleintierpraxis, das musste sich erst einbürgern hier auf dem Land“, erinnert sie sich.

Doch in der Tiermedizin – analog zur Humanmedizin – ging der Trend eindeutig in Richtung Spezialisierung, und seit etwa 20 Jahren konzentriert sie sich auf Heimtiere.

Auch wenn die Praxis nur noch wenige Tage besteht, ist es noch nicht ganz ruhig geworden. Als die WP vorbeikommt, hat Grabenbauer gerade eine Katze mit Ohrenentzündung verabschiedet, und auch während des Gesprächs klingeln das Telefon und die Türglocke.

Viele Patienten, oder vielmehr deren Besitzer, möchten sich noch verabschieden. Vor einigen Tagen seien sogar mehrere mit Glühwein, Fingerfood und Schwedenfeuern vorbeigekommen, um Tschüß und Danke zu sagen.

Länger dokumentieren als behandeln

Genug Arbeit, auch Lust drauf – warum also aufhören? „Wir verwalten uns zu Tode“, bringt sie ihr Hauptärgernis auf den Punkt. Die Dokumentations- und Verwaltungspflichten hätten sich extrem erhöht.

Eine Klage, die vertraut klingt: Humanmediziner, Rettungsdienst, Pflege, aber auch ganz andere Branchen wie das Handwerk stoßen ins selbe Horn. Tierärzte treffe das ebenso, versichert Grabenbauer – und nicht nur solche, die Tiere behandeln, deren Produkte Menschen essen wollen. Es treffe längst auch Hund und Katz’.

Nach Beispielen gefragt, muss sie nicht lange überlegen. „Verabreiche ich einer Katze einmalig ein Antibiotikum, das zehn Tage lang wirkt, ist das durch mehr Dokumentation und mehr vorgeschriebene Untersuchungen deutlich aufwendiger und teurer, als wenn ich den Besitzern Tabletten mitgebe, die sie der Katze zehn Tage lang täglich geben sollen.“

Da hilft nur der Gedanke daran, dass die einmalige Dosis Vorteile für Mensch und Tier hat – weil sie zuverlässiger im Tier ankommt als die Pillen, gegen die sich Mieze daheim erfolgreich wehrt.

Besonders hoher Aufwand bei Betäubungsmitteln

Seien Betäubungsmittel im Spiel, werde es noch aufwendiger. Dann brauche sie für die Dokumentation manchmal doppelt so lange, wie es dauere, das Tier zu behandeln.

„Dokumentiert werden müssen aus meiner Sicht aber sogar völlige Selbstverständlichkeiten. Zum Beispiel, dass ich die Besitzer aufkläre, wenn das Tier eine Erkrankung hat, die auf Menschen übertragbar ist.“ Wie sie dem Wohl des Tieres, aber vor allem auch dem des Menschen diene, habe sie schließlich schon im Studium gelernt.

Zahlreiche Kontrollen stören

Mit der Dokumentation sei es aber noch nicht getan. Auch mit übergeordneten Instanzen habe sie viel zu tun, vom Veterinäramt über die Tierärztekammer bis zur Berufsgenossenschaft. „Dauernd wird kontrolliert, und jeder will Geld dafür“, ärgert sie sich.

Über 400 Euro habe sie einmal für eine Kontrolle des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz ausgeben müssen. „Da ging es unter anderem darum, dass auf Postern in meinem Wartezimmer keine Werbeaufschriften zu sehen sein dürfen.“

Erst recht keine Lust mehr hat sie auf die Einführung eines neuen Kassensystems zum 1. Januar, ähnlich der derzeit viel diskutierten Bonpflicht für den Einzelhandel. „Nicht mehr mein Problem.“ Stattdessen plant sie zunächst ein Sabbatjahr, um dann, mit Abschlägen, Rente zu beantragen.

Nachfolger kaum zu finden

Gern wäre sie stattdessen noch ein paar Jahre mit reduzierten Stunden im Beruf geblieben. Was zu einem weiteren Problem führt: Dafür bräuchte sie einen Nachfolger, aber der sei ebenso wie Personal nicht zu bekommen.

Tierärzte in Nachbarstädten

Im Stadtgebiet Medebach gibt es ab 2020 keine Tierarztpraxis mehr. Die nächstgelegenen befinden sich in Lichtenfels, Willingen, Winterberg und Korbach.

Die Telefonnummern für tierärztliche Notdienste im Altkreis Brilon veröffentlicht die WP jeweils am Samstag auf der Lokalseite 2.

Als sie in den Beruf einstieg, sei eine gut gehende Praxis mit Patientenstamm eine Altersvorsorge gewesen, weil sie sich gut verkaufen ließ. Das sei heute ganz anders. Viele wollten keinen Job mehr, der sich trotz fester Sprechzeiten nicht immer an den Feierabend hält.

Die ländliche Lage Medebachs mache es nicht leichter, Nachfolger anzuziehen. Dazu kämen hohe Einstiegshürden ins Studium und viele, die zwar Tiermedizin studierten, dann aber den Beruf nicht ausübten.

Falsche Vorstellungen vom Tierarztberuf

Viele Jugendliche hätten auch falsche Vorstellungen vom Job. „Ich hatte unzählige Praktikanten. Es hat sich dann bewährt, erstmal alle für einen Probetag kommen zu lassen. Viele hätten die vorgesehenen zwei Wochen nicht durchgehalten.“ Dass man lange stehen und Blut, Ausscheidungen und Eiter sehen und riechen muss, scheine vielen nicht bewusst zu sein.

Im Gespräch kristallisiert sich bald heraus, dass es nicht nur der eigene Beruf ist, um den sich Grabenbauer sorgt – sondern die Entwicklung von Welt und Gesellschaft an sich. Schon viele Kinder seien nicht mehr „geerdet“, hätten zwar Ansprüche – aber keine Vorstellung davon, welche Arbeit nötig sei, um diese zu erfüllen.

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Aber es lasse sich im Kleinen viel bewegen, hin zu einem respektvollen, hilfsbereiten und wertschätzenden Umgang. Sie könnte sich gut vorstellen, künftig öfter die Stimme zu erheben gegen Dinge, die ihrer Ansicht nach falsch laufen. Demnächst hat sie dafür mehr Zeit.