Meschede. Müssen kranke Haustiere demnächst eingeschläfert werden? Die EU will den Einsatz von Antibiotika reduzieren. Ein Mescheder Tierarzt warnt.

Hilft künftig nur noch ein Gebet? Oder müssen geliebte Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen oder selbst der Eisbär und der Tiger im Zoo gleich eingeschläfert werden, sobald sie zum Beispiel eine Lungenentzündung haben? Bisher helfen dagegen, wie beim Menschen auch, Antibiotika. Die aber könnte es künftig bald nicht mehr für Hund, Katze, Tiger und Co. geben, wenn im September unverändert eine neue EU-Verordnung über Tierarzneimittel erlassen wird.

Europaabgeordneter Liese: 33.000 Tote, weil Antibiotika Wirkung verlieren

Die EU will den Einsatz von Antibiotika weiter reglementieren, dadurch reduzieren – und so den Menschen schützen: „Jedes Jahr sterben 33.000 Menschen in der EU, weil Antibiotika ihre Wirkung verlieren“, sagt der Mescheder CDU-Europaabgeordnete Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament und selbst Kinderarzt. „Als Arzt muss ich sagen: Meine Kollegen verschreiben immer noch zu großzügig. Wir Patienten wiederum sind zu fordernd, und wollen sofort ein Antibiotikum, anstatt die Beine hochzulegen und heißen Tee zu trinken. Hygiene im Krankenhaus ist das zweite Problem.“ Aber ein drittes Problem sei die Übertragung antibiotikaresistenter Keime vom Tier auf den Menschen. Private Haustierhalter oder Landwirte würden diese Keime mit ins Krankenhaus tragen: „Ein Teil der Toten ist darauf zurückzuführen.“

„Der Antibiotika-Einsatz bei Tieren ist ein Problem. Das wollen wir anpacken“, sagt Liese. Zuletzt habe ihm ein Arzt einer deutschen Uniklinik gesagt: „Es passiert jede Woche, dass Menschen sterben, weil kein Mittel mehr wirkt. Das ist die Riesengefahr, wenn sich diese Keime weiter ausbreiten. Dann wird die Zahl von 33.000 Toten weiter steigen. Es darf nicht mehr werden.“

Tierarzt: „Antibiotika sind unsere schärfste Waffe gegen Infektionen“

Tierärzte sind alarmiert – und empört. Sie sammeln, quasi in letzter Minute, noch Unterschriften gegen die Verordnung, die im September vom EU-Parlament beschlossen werden soll. Lungenentzündungen, Wundinfektionen, alle eiternden Infektionen – da braucht es auch bei Tieren Antibiotika: „Das kann nicht anders behandelt werden“, sagt Dr. Stefan Gabriel, Fachtierarzt in Meschede und Vorstandsmitglied in der Kreisstelle HSK der Tierärztekammer Westfalen-Lippe.

Die EU will den Einsatz von Antibiotika auch bei Haustüren reduzieren. „Antibiotika sind unsere schärfste Waffe gegen Infektionen“, sagt aber der Mescheder Tierarzt Dr. Stefan Gabriel: „Im schlimmsten Fall würde künftig ein geliebtes Haustier unbehandelt sterben oder müsste mangels wirksamer Therapieformen eingeschläfert werden.“
Die EU will den Einsatz von Antibiotika auch bei Haustüren reduzieren. „Antibiotika sind unsere schärfste Waffe gegen Infektionen“, sagt aber der Mescheder Tierarzt Dr. Stefan Gabriel: „Im schlimmsten Fall würde künftig ein geliebtes Haustier unbehandelt sterben oder müsste mangels wirksamer Therapieformen eingeschläfert werden.“ © Jürgen Kortmann

Er betont, Tierärzte setzen Antibiotika gezielter ein als Allgemeinmediziner beim Menschen: Beim Tier wird in der Regel keine ganze Packung verschrieben, sondern es werden einzelne Tabletten für die notwendige Therapiedauer abgezählt. Der Erfolg, die Wirkung wird kontrolliert. „Das geschieht punktgenau. Wir Tierärzte wollen nicht mehr einsetzen, als wir müssen.“ Gabriel sagt, Antibiotika beim Kaninchen, selbst bei der Rennmaus würden zielgerichtet eingesetzt: Bei einer Blasenentzündung gibt es erst eine Urinprobe, dann einen Resistenztest, danach wird die Eignung eines Antibiotikums für jedes Individuum gezielt geprüft.

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„Antibiotika sind unsere schärfste Waffe gegen Infektionen“, sagt der Tierarzt: „Im schlimmsten Fall würde künftig ein geliebtes Haustier unbehandelt sterben oder müsste mangels wirksamer Therapieformen eingeschläfert werden.“ Er sagt auch: Wenn Zoonosen, also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, bei einem Tier unbehandelt bleiben, dann steige die Gefahr, dass Menschen ebenfalls daran erkranken.

Bei dem Streit geht es um rund 10 Prozent der Antibiotika auf dem Markt. Die EU will diese so genannten Reserveantibiotika, die für den Menschen lebensnotwendig sind, aber auch für Tiere eingesetzt werden, in der Tiermedizin verbieten.

Dr. Peter Liese aus Meschede ist Europaabgeordneter der CDU und Gesundheitsexperte: „Reserveantibiotika sind die letzte Patrone, wenn man auf der Intensivstation liegt und alles andere nicht wirkt.“
Dr. Peter Liese aus Meschede ist Europaabgeordneter der CDU und Gesundheitsexperte: „Reserveantibiotika sind die letzte Patrone, wenn man auf der Intensivstation liegt und alles andere nicht wirkt.“ © dpa | Henning Kaiser

Auf einen Antrag der Grünen hin wurde diese Verschärfung im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gefordert. Dr. Peter Liese ist dort Sprecher der Christdemokraten, enthielt sich mit seiner Fraktion, sagt aber: „Dafür habe ich eine gewisse Sympathie. Reserveantibiotika sind die letzte Patrone, wenn man auf der Intensivstation liegt und alles andere nicht wirkt.“ Und wenn sonst nichts mehr wirke, müssten diese Medikamente für den Menschen geschützt werden: „Die Frage ist doch: Muss man vielleicht bei einem Tier auf die bestmögliche Behandlung verzichten – oder will man riskieren, dass auch Menschen sterben, weil auch diese Antibiotika irgendwann ihre Wirkung verlieren?“

Liese hat diese Frage für sich beantwortet: Ja, Reserveantibiotika sollen dem Menschen vorbehalten werden – bei der Behandlung von Tieren müsse dann versucht werden, mit normalen Antibiotika zurecht zu kommen: „Im allerschlimmsten Fall muss es eingeschläfert werden. Das ist natürlich hart.“ Tierärzte wie Stefan Gabriel warnen: „Tiere funktionieren anders als Menschen. Sie vertragen normale Antibiotika oft nicht.“ Kaninchen und Meerschweinchen zum Beispiel etwa sterben durch das normale Penicillin, sie brauchen die gut verträglichen Fluorchinolone, die auf der Reserveliste stehen. Bei Hunden wären zum Beispiel Infektionen der Nieren und der Gebärmutter nicht mehr heilbar, bei Pferden keine schweren Atemwegserkrankungen mehr.

Suche nach Kompromiss

Der Gesundheitspolitiker Liese verspricht jetzt, vor der Verabschiedung im Parlament gemeinsam mit Experten einen Kompromiss zu suchen, in letzter Minute. Einzelne Tiere sollen demnach weiterhin auch die Reserveantibiotika erhalten können, deutet er an – dann würde der Hund, der in einer Wohnung lebt, anders beurteilt als das Mastschwein in seiner Gruppe im Stall: „Wenn ein einzelner Hund in einer Familie schwer erkrankt, dann ist das etwas anderes, als wenn man Antibiotika im Schweinestall oder Hühnerstall ausschüttet.“ Gerade in diesen Ställen gebe es die meisten antibiotikaresistenten Keime: „Dann muss man die Tiere dort eben isolieren.“

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Der Antibiotikaverbrauch in der Tiermedizin ist in den letzten Jahren durch die Kontrollen und einen gezielten Einsatz drastisch (um 60 Prozent) zurückgegangen, berichtet Dr. Gabriel: „Das System funktioniert, wir brauchen keine neuen Verbote!“ Der wirkliche Skandal sei, dass die genannten Medikamente in der Humanmedizin eben nicht als Reserveantibiotika behandelt werden, sondern gern bei banalen Infekten und ohne Resistenzprüfung verschrieben werden: „Die genannten Fluorchinolone machen in der Humanmedizin 40 Prozent der Gesamtverbräuche aus, in der Tiermedizin nur 2 Prozent. Echte Reserveantibiotika, die „letzten Patronen“, gehören wirklich unter Verschluss!“

Und dass Tiere die Ursache von Infektionen des Menschen mit Problemkeimen sind, sei ein immer wieder gern zitiertes Märchen, so Gabriel: „Im Gegenteil: 95 Prozent der resistenten Keime werden von Mensch zu Mensch übertragen, leider auch oft auf die Haustiere. Gesundheit ist nicht teilbar, Humanmediziner und Tierärzte müssen an einem Strick ziehen, um die Probleme zu lösen. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind da wenig hilfreich.“